Rendite mit der Miete
Wie die Finanzmärkte die Wohnungskrise in Deutschland befeuern
- Das Phänomen der Finanzialisierung greift immer mehr um sich. Eine neue Studie von Finanzwende Recherche untersucht, welche Auswirkungen finanzialisierte Wohnungsunternehmen für Mieter*innen und den Wohnungsmarkt haben.
- Die Finanzialisierung hat den deutschen Wohnungsmarkt instabiler gemacht. Rund 41 Prozent der gezahlten Miete floss direkt in die Taschen der Aktionär*innen.
- Bezahlbarer Neubau war nicht der Fokus des auf Finanzanleger*innen ausgerichteten Geschäftsmodells. Die Studie diskutiert Maßnahmen, um diese Entwicklung einzudämmen.
Große Teile des Wohnungsmarkts waren früher nicht vom Auf und Ab der Finanzmärkte betroffen. Aber durch den Einzug einer Finanzmarktlogik und den Interessen der Anteilseigner*innen werden sie mehr und mehr zum Anlageprodukt. Eine neue Studie von Finanzwende Recherche analysiert die Geschäftsmodelle solcher finanzialisierter Wohnungsunternehmen und untersucht, welche Auswirkungen die Profitlogik für die Mieter*innen, den Immobilienmarkt und die drängende Wohnungsfrage hat.
Die „Finanzialisierung“ des Wohnens bezeichnet einen Prozess, bei dem Wohnungen und Immobilien zunehmend als Finanzanlagen betrachtet werden, bei denen allein der Gewinn im Vordergrund steht. Die Erfüllung der Wohnbedürfnisse der Menschen ist zweitrangig. Entscheidungen über Investitionen in Neubau oder Verbesserung des Wohnungsbestandes unterliegen einem strengen Renditedruck.
Die Finanzialisierung steht gesellschaftlichen Zielen im Weg
Entgegen der öffentlichen Selbstdarstellung machen finanzialisierte Wohnungsunternehmen ihr Geld nicht, indem sie neue Wohnungen bauen. Der Neubau bezahlbarer Wohnungen war nie der Fokus ihrer Geschäftsmodelle. In der aktuellen Wohnungs- und Immobilienkrise zeigt sich das besonders deutlich. Die Geschäftsberichte von Vonovia, LEG und Co. geben Aufschluss über Kostendruck und die Priorisierung von Aktionärsinteressen über Mieterinteressen – mitten in der aktuellen Wohnungs- und Immobilienkrise und immer dort, wo Wohnraum knapp ist: in den Städten Deutschlands.
Eine Zahl illustriert die Folge dieser Geschäftspraktiken besonders gut: die Abschöpfungsquote. Durchschnittlich 41 Prozent der Miete 2021 ging als Gewinn an die Aktionär*innen der untersuchten Unternehmen. Von einem Euro gezahlter Miete flossen also 41 Cent direkt an die Finanzmarktakteur*innen.
Wachsende Finanzialisierung = wachsende Instabilität
Die Finanzialisierung hat den deutschen Wohnungsmarkt instabiler gemacht. Die finanzialisierten Wohnungsunternehmen haben auf große Wertsteigerungen ihres jeweiligen Portfolios gesetzt, um den Unternehmenswert und somit den Shareholder Value zu steigern. Diese Strategie fällt ihnen jetzt auf die Füße. Seit Anfang 2022 sind die Kurse infolge von Zinswende, Inflation und fallenden Immobilienpreisen rasant abgestürzt. Das bringt die Konzerne stark unter Druck und zwingt sie zu Einsparungen, Wohnungsverkäufen und Mieterhöhungen.
Die Finanzialisierung nimmt zu
Zwischen 2009 und 2020 ist das Gesamtvolumen der Kapitalanlagen in Wohnimmobilien in Europa um fast 700 Prozent auf über 60 Milliarden Euro gestiegen. Beim Thema Wohnen zeigt sich mal wieder: Die Logik der Finanzmärkte greift zunehmend auch auf Gemeingüter über. Diese Finanzialisierung im Bereich Wohnen bedeutet, dass eine kurzfristige, hohe Rendite an den Aktienmärkten wegweisend ist. Börsennotierten Wohnungsunternehmen geht es so weniger um das Wohl der Mieter*innen und mehr um ihren Shareholder Value.
Die lange Zeit niedrigen Zinsen haben Immobilien für professionelle Anleger*innen attraktiver gemacht. Und je aktiver solche professionellen Anleger*innen beispielsweise in Regionen wie Berlin sind, desto schneller steigen die Immobilienpreise in der Regel. Für die betroffenen Regionen bedeutet das: steigende Mieten, weitere Wohnungsknappheit und eine starke Machtkonzentration der finanzialisierten Unternehmen.
Mietmaximierung, eine besonders hohe Abschöpfungsquote und Steuervermeidung
Die Orientierung am Shareholder Value beinhaltet maximale Gewinnsteigerung durch maximale Miete. Damit gehen bestimmte Strategien für die gekauften Wohnungen einher. Diese führen oft zu Nachteilen für ihre Mieter*innen, denn bei ihrer Betreuung wird häufig gespart. Statt notwendiger Instandhaltung setzen die untersuchten Unternehmen beispielsweise häufig nur auf teure Modernisierungen, die auf die Miete umgelegt werden. Insourcing von Handwerks- und Modernisierungsmaßnahmen ist eine weitere Strategie. So erwirtschaften die Unternehmen eine besonders hohe Rendite – ganz im Sinne der Aktionär*innen.
Um Steuern in Deutschland zu vermeiden, sitzen die Firmen oft in Schattenfinanzzentren wie Luxemburg. Das ist nicht der einzige Trick, mit dem sie Steuern sparen: In großem Stil nutzen sie sogenannte Share Deals. Damit können die Unternehmen beim Kauf von mehreren Wohnungen auf einmal die Grunderwerbsteuer umgehen.
Gezielte Regulierung kann die Finanzialisierung ausbremsen
Diese negativen Entwicklungen könnten mit gezielter Regulierung eingedämmt werden. Die Studie diskutiert unterschiedliche Maßnahmen, die extraktive Geschäftsmodelle ausbremsen könnten, Wohnraum als Anlageklasse weniger attraktiv machen würden und mehr Transparenz und Standards schaffen könnten. Lesen sie jetzt mehr dazu in unserer neuen Studie.
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