Nachhaltige Finanzmärkte

Nachhaltige Finanzmärkte

11.07.2022

In Zeiten der Klimakrise wird die Beziehung zwischen Finanzwirtschaft und Nachhaltigkeit zu einem immer heißer diskutierten Thema. Dazu gehören nachhaltige Geldanlagen und die Frage, welcher Bank wir unser Geld anvertrauen, genauso wie die Bedrohung des Finanzsystems als Ganzes durch den Klimawandel.

Denn Geld und Investitionen sind entscheidende Stellschrauben für eine nachhaltige Zukunft. Die Finanzierungsentscheidungen von Banken und Investor*innen bestimmen die Investitionen von heute und damit unser Wirtschaftssystem von morgen.

Umso wichtiger ist es daher, dass Finanzmärkte nachhaltig ausgerichtet sind. Diese nachhaltige Ausrichtung wird oft unter dem Begriff Sustainable Finance zusammengefasst.

Was ist Sustainable Finance? 

Sustainable Finance (deutsch: nachhaltiges Finanzwesen) beschreibt die nachhaltige Ausrichtung des Finanzsystems von der Geldanlage bis zur Bankenaufsicht. Oft stehen dabei drei zentrale Bereiche – Umwelt („Environment“), Soziales („Social“) und Unternehmensführung („Governance“) – im Vordergrund. Das Ziel ist, dass Finanzmärkte ESG-Risiken berücksichtigen oder sogar einen positiven Beitrag für Menschen und Umwelt leisten.

Fragile Finanzmärkte in Zeiten der Klimakrise

Laut Weltklimarat IPCC bedeutet schon eine Erderwärmung von 1,5 °C dramatische Folgen für das Leben auf der Erde. Sollten die Ambitionen nicht über das aktuell Geplante hinausgehen, steuern wir ungefähr auf einen Anstieg auf bis zu 3,5 °C bis Ende des Jahrhunderts zu. In einem solchen Szenario wären viele küstennahe Regionen überflutet und zahlreiche Landstriche gänzlich unbewohnbar. Zentralbanker*innen sehen die Klimakrise deshalb als eine der größten Bedrohungen für Finanzstabilität und Volkswirtschaften insgesamt.

Nachhaltigkeitsrisiken sind heute nicht ausreichend transparent und deshalb an den Finanzmärkten noch nicht richtig eingepreist. Dieser Fehlanreiz führt dazu, dass viel Geld in Unternehmen und Projekten steckt, die an Wert verlieren dürften – entweder durch einen Umbau der Wirtschaft oder durch direkte Folgen der Klimakrise wie dem Meeresspiegelanstieg.

Drängt die Politik zum Beispiel auf einen schnelleren Ausstieg aus fossilen Energien als aktuell erwartet wird, können bestehende Vermögensgegenstände wie Kohlekraftwerke auf einen Schlag stark an Wert verlieren. Diese werden dann zu sogenannten „Stranded Assets“ (deutsch: gestrandete Vermögenswerte), die Finanzakteur*innen in Schwierigkeiten bringen können. Das wiederum kann zu ausgewachsenen Finanzkrisen führen. Untersuchungen zeigen: Die Risiken für die Finanzmärkte sind erheblich – über eine Billion Euro Anlagen allein in Europa könnten zu Stranded Assets werden.

Nachhaltigkeit wird nicht mitbedacht

Eine Ursache für die schlummernden Risiken im Finanzsektor ist die Risikobetrachtung der Finanzakteur*innen. Sie sind schlicht nicht auf Klimarisiken ausgerichtet, denn sie arbeiten größtenteils mit historischen Daten. Dadurch werden die in der Zukunft liegenden Auswirkungen der Klimakrise nicht abgebildet. Das gefährdet die Finanzstabilität.

Gleichzeitig werden große Mengen an Kapital benötigt, um die Transformation der Wirtschaft schnellstmöglich auf den Weg zu bringen. Das fehlerhafte Risikoverständnis und unzureichender Klimaschutz führen allerdings dazu, dass Investitionen in fossile Energieträger wie Kohle und Öl weiterhin profitabel sind. Währenddessen bleiben wichtige, langfristige Investitionen auf der Strecke.

Greenwashing bei „nachhaltigen“ Geldanlagen

Viele Menschen möchten Nachhaltigkeit in ihren Investitionsentscheidungen berücksichtigen. Als nachhaltig titulierte Fonds und Geldanlagen boomen am Finanzmarkt. Allerdings unterschieden sie sich leider in ihrer Zusammensetzung meist kaum von konventionellen Fonds, wie eine Studie von Finanzwende Recherche zeigt. Über 70 Prozent der Investitionen in Energie liegen in fossilen Energieträgern. So ist die transformative Wirkung der Anlagen fraglich. Wegen fehlender einheitlicher Standards ist es für Anleger*innen oft schwer zu bewerten, wie nachhaltig eine Geldanlage wirklich ist. Diese Intransparenz ist ein Einfallstor für Greenwashing: Anbieter*innen bieten Produkte an, die nicht so „grün“ sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen. 

Am grauen Kapitalmarkt, wo Anbieter*innen nicht unter staatlicher Aufsicht stehen, entpuppen sich als „ökologisch“ beworbene Anlagen oft auch finanziell als Reinfall. In den letzten 10 Jahren haben Anleger*innen knapp zwei Milliarden Euro durch Investment-Flops verloren. Eine detaillierte Auswertung liefert eine Untersuchung von Finanzwende Recherche.

Der öffentliche Sektor sollte eigentlich als Vorreiter vorangehen. Doch auch die Bundesregierung legt immer noch Geld in Fossile an, zum Beispiel über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL). Die VBL ist zuständig für die betriebliche Altersvorsorge von fast fünf Millionen Angestellten des Öffentlichen Dienstes und verwaltet 38,5 Milliarden Euro.

Den Finanzsektor nachhaltig umbauen

Sustainable-Finance-Regeln sollen als Leitplanken für den Finanzsektor dafür sorgen, dass Nachhaltigkeitsrisiken richtig eingepreist und berücksichtigt werden. So soll einerseits die Finanzstabilität gesichert, andererseits Kapital von schädlichen in grüne Investitionen umgelenkt werden. Es gibt zahlreiche Vorschläge, wie das erreicht werden kann – unter anderem:

  • Unternehmen sollten einheitliche und umfassendere Nachhaltigkeitsinformationen offenlegen, damit deren Nachhaltigkeitsrisiken richtig bewertet werden können.
  • Finanzmarktakteur*innen sollten vorausschauende Risikomodelle nutzen.
  • Die Aufsicht sollte für Klimarisiken höhere Eigenkapitalunterlegungen verlangen, sodass Investitionen mit hohem Risiko teurer werden.
  • Zentralbanken wie die EZB und Förderbanken wie die KfW sollten sich am 1,5-C°-Ziel ausrichten.

Der erste Schritt für neue Regeln gegen das Greenwashing soll eine klare Definition von Nachhaltigkeit sein. Auf EU-Ebene ist dafür die EU-Taxonomie entscheidend, die festlegt, welche Investitionen am Ende in einem nachhaltigen Finanzprodukt stecken dürfen. Die geplante Einstufung von fossilem Gas und Atomkraft als „grün“ wird dabei heftig kritisiert. Eine von Finanzwende Recherche in Auftrag gegebene Umfrage zeigt: 82 Prozent der deutschen Bevölkerung bezeichnet Geldanlagen in Atomkraft als „nicht nachhaltig“.

In Deutschland berät der Sustainable Finance Beirat die Bundesregierung zu einer nachhaltigen Finanzpolitik. Finanzwende ist in dieser Legislaturperiode als Beobachterin dabei und drängt auf ambitionierte Regeln. Der erste Sustainable Finance Beirat hat zwischen 2019 und 2021 bereits umfassende Empfehlungen für eine deutsche Sustainable-Finance-Strategie vorgelegt. Der Beirat forderte unter anderem eine nachhaltige Ausrichtung von öffentlich-rechtlichen Banken wie den Sparkassen und nachhaltige Anlagekriterien für Kapitalanlagen des Bundes. Wie die abstrakten Empfehlungen konkret rechtlich umgesetzt werden könnten, zeigt ein Gutachten von WWF Deutschland und Finanzwende Recherche.

Nachhaltige Finanzmärkte schaffen keine Wunder

Ein grüner Umbau des Finanzsystems löst jedoch nicht alle Probleme. Auch in nachhaltigen Finanzmärkten wird es höchstwahrscheinlich den Anreiz geben, kurzfristig zu handeln. Dadurch gelangen wichtige, langfristige Investitionen ins Hintertreffen. Solange sich dreckige Investitionen also lohnen, werden sie auch getätigt. Außerdem werden nachhaltige Finanzmärkte ohne grundlegende Reformen weiter krisenanfällig sein und können zu einer Umverteilung von unten nach oben führen.

Die Wirksamkeit der Nachhaltigkeitsbestrebungen hängt also auch davon ab, wie mit den grundlegenden Defiziten der Finanzmärkte umgegangen wird. Wenn die „klassischen“ Baustellen am Finanzmarkt nicht angegangen werden, sind die Grenzen von Sustainable Finance schnell erreicht. Eine Analyse, wie Sustainable Finance zu einem effektiven Hebel für die Transformation werden kann, liefert ein Bericht von Finanzwende Recherche.

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