Private Equity und Arztpraxen

Private-Equity-Beteiligungen an Arztpraxen in Deutschland

Profite vor Patientenwohl

16.05.2023

  • Das Eindringen der Finanzmarktlogik betrifft viele Bereiche. Auch Arztpraxen sind immer öfter Zielscheibe von Private-Equity-Firmen.
  • Finanzwende Recherche hat sich fünf Beispiele angeschaut. In diesen Fällen weist die Mehrheit eine hohe Verschuldung auf. Laut anderer Untersuchungen können durch die Aufkäufe sogar regional monopolartige Strukturen entstehen.
  • Private Equity gefährdet so nicht nur die freie Arztwahl und die Qualität der medizinischen Versorgung, sondern auch die Versorgungssicherheit.

Schon die Finanzwende-Studie zu Private-Equity-Firmen im Pflegebereich hat gezeigt: Immer öfter kaufen sich solche Geldgeber*innen auch in Bereiche der Daseinsfürsorge ein. Eine neue Studie von Finanzwende Recherche zeigt nun, welche Auswirkungen die Profitlogik von Private-Equity-Investor*innen auf Arztpraxen und damit die medizinische Versorgung hat.

Private-Equity-Firmen sind Unternehmen, die Gelder von Dritten in einem Fonds bündeln – zum Beispiel von Pensionsfonds. Für diese legen sie Gelder mit dem Versprechen auf hohe Renditen an. Sie kaufen Unternehmen in verschiedenen Sektoren auf, sei es im verarbeitenden Gewerbe, in der IT-Branche oder wie hier im Gesundheitswesen. Um hohe Renditen zu erreichen, verändern sie die Geschäftsmodelle der aufgekauften Firmen, beispielsweise durch die Aufnahme hoher Schulden für weitere Aufkäufe.​

Die Studie

Im Gesundheitswesen gibt es enormen Investitionsbedarf. Dabei setzt die deutsche Gesundheitspolitik auch auf private Investitionen. Und so nehmen Private-Equity-Investitionen auch in der ambulanten Gesundheitsversorgung, also in Arztpraxen, zu. Von ihrem Einstieg erwarten die Geldgebenden oft eine Rendite um die 20 Prozent.

Private-Equity-Firmen strukturieren dabei das Geschäftsmodell der aufgekauften Praxen oft nach der Buy-and-Build-Strategie um: Dabei wird eine Praxis mit anderen Praxen in sogenannten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zusammengelegt. Die maßgebliche Rendite für Private Equity wird in der Regel vor allem beim Weiterverkauf des Praxen-Konzerns erzielt.

Finanzwende Recherche hat im Rahmen der neuen Studie „Profite vor Patientenwohl – Private-Equity-Beteiligungen an Arztpraxen in Deutschland“ an fünf Beispielfällen aus unterschiedlichen medizinischen Bereichen genauer beleuchtet, mit welchen Mitteln Private Equity Profite im Gesundheitsbereich erzielt.

Die Ergebnisse

Die Fallbeispiele der Studie verdeutlichen: Private-Equity-Firmen können nicht nur zu hohen Schulden bei den Praxen-Konzernen führen. Sie können auch negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit und die Qualität der ärztlichen Behandlung haben.

Denn Interessenskonflikte werden wahrscheinlicher, wenn ein neu gebildeter Konzern wie im Fall Zytoservice ärztliche Versorgung und Medikamentenherstellung verbindet. Der Private-Equity-Besitz der Dr. med. Kielstein Praxen-Unternehmen verdeutlicht zusätzlich, wie eine Bündelung verschiedener medizinischer Bereiche in einem Medizinischen Versorgungszentrum dazu führen kann, dass die Allgemeinmedizin eine Art „Verteilerfunktion“ zwischen Allgemein- und Fachärzt*in einnimmt. So kann die freie Wahl der ärztlichen Behandlung für Patient*innen eingeschränkt werden, die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen ist in Gefahr.

Der Fall des Augenheilkunde-Konzerns Ober Scharrer macht die Kurzlebigkeit der Private-Equity-Beteiligungen deutlich: Trotz operativer Verluste wurde das Unternehmen immer wieder profitabel weiterverkauft. Dabei sieht Ober Scharrer Operationen als „Werttreiber“ und nutzt die Anzahl bestimmter Operationen als Steuerungsgröße. Solche gezielten Anreize zu bestimmten Eingriffen erhöhen den Renditedruck der behandelnden Ärzt*innen und rücken damit den Profit und nicht das Wohlergehen der Patient*innen in den Fokus der medizinischen Behandlung.

Die Beteiligung sehr profitorientierter Investor*innen kann wie im Fall des Konzerns Artemis auch zu einer negativen Kapitalentwicklung führen. Rund die Hälfte der Kredite entfallen auf Gesellschafter-Darlehen und die Eigenkapitalquote liegt mittlerweile im negativen Bereich, was auf eine stark angespannte wirtschaftliche Lage des Konzerns hindeutet.

In einigen Regionen in Deutschland haben Private-Equity-Firmen durch Zukäufe außerdem bereits heute monopolartige Strukturen geschaffen.

Handlungsmöglichkeiten

Die Studie analysiert Handlungsmöglichkeiten, die den Einfluss von Private Equity im Bereich der Arztpraxen einschränken könnten.

Einmal könnten die politischen Entscheidungsträger*innen die Umstände, unter welchen Praxisaufkäufe zulässig sind, stärker regulieren. Momentan reicht es, eine Klinik in Süddeutschland zu besitzen, um in Norddeutschland Medizinische Versorgungszentren aufzubauen. Damit solche Zentren ihrem ursprünglichen Sinn dienen und den Patient*innen einen Mehrwert bieten, indem sie beispielsweise Überweisungen erleichtern, könnten regionale Beschränkungen der Praxiszukäufe sinnvoll sein. Auch die Anzahl der Arztsitze, welche von einem einzelnen Konzern betrieben werden, könnte die Politik einschränken.

Zudem könnten strengere Regeln dafür sorgen, dass Private-Equity-Firmen Arztpraxen nicht langfristig schaden können. Dazu gehört eine Begrenzung der Kreditaufnahme der Praxen-Konzerne, damit diese sich nicht übermäßig verschulden. Zudem könnte es Haftungsregeln geben, damit die Geldgebenden nach dem Verkauf des Unternehmens nicht direkt aus der Verantwortung sind.

An vielen Stellen ist im Moment unklar, wer überhaupt in deutsche Praxen investiert hat. Um das ganze Ausmaß des Einflusses von Private Equity im deutschen Gesundheitssektor zu ermitteln, wäre ein Transparenzregister eine Möglichkeit. Dieses müsste die wirtschaftlichen Berechtigten und damit die Eigentümer*innen der Medizinischen Versorgungszentren erfassen. Transparente Eigentumsstrukturen sind wesentlich für wettbewerbsrechtliche Maßnahmen – denn sonst entstehen womöglich Praxen-Monopole unter dem Radar der Aufsicht. Außerdem würde ein Transparenzregister sichtbar machen, wenn Eigentümer*innen aus steuerrechtlichen Gründen in Offshore-Finanzzentren sitzen.

Die Möglichkeit zur Umsetzung der aufgezeigten Handlungsoptionen besteht direkt:  Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat einen Gesetzentwurf angekündigt, durch den der Einfluss von Finanzinvestor*innen im Bereich der Arztpraxen zurückgedrängt werden soll.

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