Real- und Finanzwirtschaft

Vermögens­konzentration: Wichtige Ursache für Finanzmarkt­instabilität​

09.09.2021

  • Die starke Konzentration der Vermögen führt auch zu Instabilitäten an den Finanzmärkten.
  • Das Finanzsystem wird instabiler, wenn Schulden und Geldvermögen schneller wachsen als die Realwirtschaft.
  • Ohne eine bessere Verteilung von Vermögen wird es schwierig, aus dem Dauerkrisenmodus der Finanzmärkte heraus zu kommen.

In den letzten Jahren war eigentlich ständig Finanzmarktkrise. In den 1980ern waren es die Savings-and-Loans-Krise in den USA sowie die lateinamerikanische Schuldenkrise. 1990 platzte die japanische Immobilien- und Aktienblase, danach geriet der mexikanische Peso in die Krise. Schon drei Jahre später erlebten wir die Asien-Krise und wieder drei Jahre später platzte die Dotcom-Blase. Nach der Bankenkrise in 2008 und 2009 begann 2010 die Eurokrise und im März 2020 die Corona-Finanzkrise.[1] Eine Ursache dafür ist die massive Deregulierung an den Finanzmärkten, die das Entstehen von Finanzmarktblasen erleichtert hat.

Es gibt jedoch eine weitere wichtige Ursache der Instabilität an den Finanzmärkten, über die bislang kaum geredet wird. Teils aus Unwissenheit, teils aus Kalkül: die Vermögensverteilung.

Finanzkrisen von 1980 bis 2010

Finanzkrisen von 1980 bis 2010

Ungleichheit in der Vermögensverteilung

Dabei ist die Thematik der starken Konzentration der Vermögen durchaus präsent. Beispielsweise zeigen die Studien von Oxfam, dass eine kleine Hand voll Menschen mehr besitzt als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Ähnliche Zahlen wurden vom DIW vor kurzer Zeit auch für Deutschland publiziert. Demnach besitzt das reichste Prozent 35 Prozent des Gesamtvermögens, die untere Hälfte der Vermögensschere kommt zusammen hingegen auf lediglich 1,4 Prozent.

Eine bessere Vergleichbarkeit der Situation ermöglicht der sogenannte Gini-Koeffizient. Dieser misst in einem Intervall von null bis eins die Konzentration einer Verteilung. Liegt er im Fall der Vermögensverteilung bei eins, besitzt eine Person alles, der Rest nichts. Bei null würden entsprechend alle Personen gleich viel ihr Eigen nennen. In Deutschland lag der Gini-Koeffizient 2019 bei 0,816, was nicht nur den dritthöchsten Wert der OECD-Länder darstellt, sondern auch einen Anstieg von fast 20 Prozent seit 2010.[2]

Wenig präsent in der öffentlichen Debatte ist jedoch, dass diese Entwicklung nicht nur ein Gerechtigkeitsproblem darstellt, sondern auch eine Gefahr für die Stabilität von Finanzmärkten.

Zwei Seiten derselben Medaille

Erstaunlicherweise neigen viele ausgerechnet bei Fragen des Geldes dazu, nur eine Seite zu betrachten. Besonders häufig lässt sich das in der Diskussion um die Staatsverschuldung beobachten, in der regelmäßig vergessen wird, dass den Schulden des Staates wiederum Guthaben auf anderen Bilanzen gegenüberstehen. Die Staatsanleihen sind einerseits Schulden des Staates und andererseits Vermögen von Privatleuten, Banken und Versicherungen, die diese Anleihen gekauft haben.

Auch wenn man verstehen möchte, wie Vermögensverteilung und Finanzmarktstabilität zusammenhängen, müssen beide Seiten betrachtet werden: Die hoch konzentrierten Vermögen auf der einen sowie Armut und Überschuldung auf der anderen Seite.

Vermögenskonzentration und Verschuldung im Verlauf der Zeit

Während ärmere Haushalte einen großen Anteil des ihnen zur Verfügung stehenden Geldes aufwenden müssen, um ihr tägliches Leben zu finanzieren und kaum oder gar keine Möglichkeit haben zu sparen, ist es bei sehr großen Vermögen umgekehrt. Selbst wenn man es darauf anlegen würde, wäre es praktisch unmöglich, das ganze Vermögen zu verkonsumieren. Übrig bleiben enorme Summen, die auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten sind. Eine Anlagemöglichkeit sind Schulden, die diejenigen aufnehmen, die kein ausreichendes Einkommen für ihre Ausgaben haben, sei es der Staat oder private Haushalte.

Beispiel: Sinkende Löhne und die Finanzmarktkrise 2008

Für die Finanzkrise 2008 hat der Ökonom Raghuram Rajan in seinem Buch „Fault Lines“ aufgezeigt, wie daraus ein Problem für die Finanzstabilität wird:

  1. Die Lohnentwicklung blieb hinter dem Wirtschaftswachstum zurück. Real sanken die Löhne für relevante Teile der amerikanischen Bevölkerung.
  2. Viele US-amerikanische Haushalte kompensierten diese sinkenden Realeinkommen dadurch, dass sie sich höher verschuldeten, um ihren Lebensstandard halten zu können.
  3. Diese Schulden wurden dann zu Finanztiteln verpackt und an den Finanzmärkten von denjenigen gekauft, die auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten waren. Da die Nachfrage hier groß war, war es leicht, auch Kredite an einkommensschwache Haushalte zu vergeben.
  4. Als die finanzschwächeren Haushalte nicht mehr in der Lage waren, die Kredite zu bedienen, verloren die Finanztitel an Wert und brachten Banken weltweit ins Kippen – die Finanzkrise von 2008.

Wären die Löhne in den USA mit der wirtschaftlichen Entwicklung gestiegen wie in früheren Jahrzehnten, wäre von der gesamten Wertschöpfung der Volkswirtschaft weniger für die Mehrung schon großer Geldvermögen verblieben. Auf beiden Seiten der Medaille hätte das die Entwicklung in Richtung Finanzkrise gebremst: Es hätte weder so hohe Vermögen auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten gegeben, noch wären so viele Haushalte in Schwierigkeiten bei der Bedienung ihrer Kredite gekommen. Das Finanzsystem wird also instabiler, wenn Schulden und Geldvermögen schneller wachsen als die Realwirtschaft.

Aktuelle Lohn- und Schuldenentwicklung

Die Fehlentwicklung einer immer stärkeren Konzentration von Vermögen bei wenigen und einer schwachen Entwicklung der Löhne für die breite Masse der Menschen wurde seither nicht wirklich korrigiert. Während in den letzten Jahren die Geldvermögen auch in Deutschland ständig neue Rekordhöhen erreichten, gab es kaum Wachstum und die Löhne der unteren 95 Prozent stagnieren oder sinken sogar.[3][4][5] In der Folge bekommen immer mehr Menschen Probleme, ihren (sowieso schon sinkenden) Lebensstandard zu finanzieren, und die Realwirtschaft hat umgekehrt Schwierigkeiten, Abnehmer für ihre Produkte zu finden.

Ein ähnliches Bild zeichnet sich in den USA ab: Dort werden viele Autokäufe über Kredit finanziert. So nahmen die Amerikaner*innen allein 2018 für 584 Milliarden Dollar Autokredite auf. Schon vor der Corona-Krise waren über sieben Millionen amerikanische Autobesitzer*innen mehr als drei Monate in Zahlungsverzug mit ihren Kreditraten.

Auch in Deutschland ist die Situation der privaten Haushalte alarmierend: Knapp sieben Millionen Menschen sind nach Berechnungen des Schuldneratlas von Creditreform überschuldet, wodurch auch die Realwirtschaft gefährdet wird: Ohne neue Kredite für ihre Konsument*innen droht der Absatz einzubrechen.

Auf und Ab an den Finanzmärkten in Schwellenländern besonders stark

In Zeiten von Digitalisierung und der jahrzehntelang vorangetriebenen Freizügigkeit des Kapitals jagen täglich Milliarden um den Globus auf der Suche nach Rendite. Mehr Anlagekapital in einer Region kann verschiedene Effekte haben. Auf der einen Seite kann das Geld die wirtschaftliche Entwicklung stimulieren, sinnvolle Projekte finanzieren und den Lebensstandard der Menschen vor Ort erhöhen. Auf der anderen Seite führt die Suche nach Rendite zu einer zunehmenden Finanzialisierung wichtiger Bereiche wie dem Gesundheitswesen oder der Pflege.

Destruktive Dynamik in so genannten Schwellenländern

Doch so wie 2008 viel Anlagekapital in die so genannten Schwellenländer wie Brasilien oder die Türkei umgeschichtet wurde, gibt es dann wieder Zeiten, in denen umgekehrt Anlagekapital in die sicheren Häfen USA und EU wandert.

So entsteht häufig in Entwicklungs- und Schwellenländern eine destruktive Dynamik: Die Refinanzierung begonnener Projekte wird schlagartig teurer, es kommt zu Liquiditätsengpässen und Kreditausfällen. Das vormals produktive Zusammenspiel von Finanz- und Realwirtschaft wird zum Teufelskreis.

Die betroffenen Regionen brauchen dann Jahre, um sich von einem solchen Schock zu erholen – wenn es überhaupt gelingt. Dies trifft insbesondere Regionen, die als „aufstrebende Märkte“ bezeichnet werden. So auch beim Ausbruch der COVID-19-Pandemie, als schlagartig Milliarden abflossen.[6]

Zusammenhang zwischen Einkommens- und Vermögensungleichheiten in der Forschung

Während Finanzstabilität und Einkommens- bzw. Vermögensungleichheiten für sich genommen in der ökonomischen Forschung eine prominente Rolle spielen, findet die Wechselwirkung der beiden Aspekte auch in diesem Bereich selten Beachtung.

Zu Unrecht, wie unter anderem die Studien von Schularick & Taylor (2012) oder Kumhof, Rancière, & Winant (2015) zeigen. Erstere konnten im wachsenden Kreditvolumen einen wirkungsvollen Prädiktor für Finanzkrisen identifizieren, während die letztere Forschungsgruppe zunächst in einem empirischen Vergleich der Weltwirtschaftskrise von 1929 und der Finanzkrise 2008 große Gemeinsamkeiten in der zunehmenden Einkommensungleichheit, der Privatverschuldung und einer hohen Anzahl an ausfallenden Krediten aufzeigt. Wichtig ist auch, den Zusammenhang zwischen Vermögenskonzentration und niedrigen Zinsen zu sehen.[7]

Fazit

Seit 2008 wurde viel Zeit und Energie aufgewendet, um zu verstehen, was auf Seiten der (De-)Regulierung geschehen war und wie und wo feuerfeste Wände in unser Finanzsystem gezogen werden sollten. Viele der vorgeschlagenen Regeln konnte die Finanzlobby zwar verhindern, doch zumindest wurde die Notwendigkeit besserer Finanzmarktregeln weitgehend akzeptiert.

Bei der Vermögenskonzentration als einer zweiten wichtigen Ursache für Finanzmarktinstabilität fehlt es noch anzuerkennen, dass ohne eine Korrektur der extremen Ungleichverteilung von Vermögen die Finanzmärkte aus ihrem Dauerkrisenmodus kaum herausfinden werden.

Quellen

[1] Gerhard Schick (2020), Die Bank gewinnt immer, Wie der Finanzmarkt die Gesellschaft vergiftet, Campus Verlag, Frankfurt

[2] DGB Verteilungsbericht 2021: Ungleichheiten in Zeiten von Corona S. 73 (Download)

[3] Statista: „Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland vom 3. Quartal 2015 bis zum 3. Quartal 2020“

[4] Boeckler Impuls: „Die Wirtschaft wächst, die Löhne kaum“, Ausgabe 13/2017

[5] Kumhof, Michael, Romain Rancière, and Pablo Winant. 2015. „Inequality, Leverage, and Crises.“ American Economic Review, 105 (3): 1217-45

[6] Sebnem Kalemli-Ozcan: „Emerging Market Capital Flows under COVID: What to Expect Given What We Know“, in IMF Research, 16.09.2020.

[7] Atif Mian, Ludwig Straub & Amir Sufi: „What explains the decline in r*? Rising income inequality versus demographic shifts“ August 2021.

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