Politisch steuern in Krisenzeiten

Politisch steuern in Krisenzeiten

12.08.2021

  • Systemische Krisen haben die politischen Entscheidungen der letzten Jahre geprägt. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auch in den nächsten Jahren Politik in starkem Maße krisengetrieben sein wird.
  • Dennoch verharren politische Entscheidungsträger*innen in der Vorstellung von einer Rückkehr zur Normalität und schreiben Parteiprogramme für normale Zeiten. So kann eine Politik der Resilienz und Krisenvermeidung nicht gelingen.
  • Krisenvermeidende Politik muss deshalb die Krisenhaftigkeit mitdenken und gezielt Vorbereitung treffen, um Krisenmomente für zukunftsfähige Politik zu nutzen.

Krisen in Angela Merkels Amtszeit

Betrachtet man die 16-jährige Amtszeit der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, so stellt man fest, dass diese Zeit durch die Konfrontation mit verschiedenen systemischen Krisen geprägt war – die Finanzkrise 2008/09, die Eurokrise 2010-13, die Migrationskrise 2015/16, die COVID-Krise 2020/21 und natürlich die fortschreitende Klimakrise.

Diese Krisen sind insofern systemischer Natur gewesen, als sie einerseits die Gefahr eines Zusammenbruchs relevanter Institutionen bargen und andererseits nicht mit dem vorhandenen politischen Instrumentarium gelöst werden konnten. Die üblichen Eingreifmechanismen der Zentralbanken in Form von Zinssenkungen oder Ähnlichem reichten beispielsweise in der Finanzkrise nicht aus, um eine Implosion des Weltfinanzsystems zu verhindern. Nötig waren völlig neue Institutionen, das Aussetzen von herrschenden Regeln etc. Insofern unterscheiden sich die genannten Krisen von dem normalen Schwanken der Konjunktur oder außenpolitischen Krisen früherer Jahre.

Insbesondere die anhaltende Instabilität des Finanzmarkts und die voranschreitende Klimakrise machen es sehr wahrscheinlich, dass auch die nächsten Jahre von systematischen Krisen geprägt sein werden.

Krisen sind miteinander verbunden

Aus diesen Krisen kann man nicht nur lernen, dass es sinnvoll wäre, Notfallpläne mit der nötigen Qualität zu entwickeln und auch ernst zu nehmen. Vielmehr zeigen sich wichtige Erkenntnisse für die Zukunft.

Es besteht die Gefahr, dass die kurzfristig zur Bekämpfung einer Krise durchgeführten Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit neuer Krisen erhöht. Die massiven Rettungsmaßnahmen und die lockere Geldpolitik nach 2008 sowie in den Jahren 2020/21 haben die destabilisierende Vermögensungleichheit nochmals vergrößert. So ist die Zahl der Milliardär*innen im Jahr 2021 weltweit um 700 auf insgesamt mehr als 2700 angestiegen. Die Programme zur Stützung der Konjunktur erhielten vielfach klimaschädliche Subventionen.

Außerdem sind Krisen miteinander verbunden. Nehmen wir die Themen Weltklima und biologische Artenvielfalt: Da unsere Systeme miteinander verknüpft sind, ist davon auszugehen, dass die Klimakrise massive Auswirkungen auf Wirtschafts- und Finanzsystem haben dürfte. Schon allein bei Naturkatastrophen waren die verursachten wirtschaftlichen Verluste zwischen 2000 und 2019 fast doppelt so hoch wie in den zwanzig Jahren zuvor (angepasst an die Inflation für den US-Dollar 2019).

Herausforderung für eine Politik der Krisenprävention

Eine der wichtigsten Lehren jedoch dürfte darin liegen zu erkennen, dass gerade eine Politik der Krisenprävention aufgrund der Krisenhaftigkeit auf neue Herausforderungen stößt:

Die kurzen Aufmerksamkeitsfenster sind für eine langfristige Politik der ökologisch-sozialen Transformation schon in normalen Zeiten ein Problem. Krisenhafte Zuspitzungen mit Gefahr für die gesellschaftlichen Systeme führen jedoch noch viel stärker als in normalen Zeiten dazu, dass nur noch ein Thema die Medien dominiert und kurzfristige Krisenbekämpfung im Vordergrund steht. Langfristige Politikziele aus anderen Bereichen drohen dann unter die Räder zu kommen.

Dann werden etwa Maßnahmen zur Krisenvermeidung aufgrund neuerlicher Krisen nicht ergriffen oder ausgesetzt. Beispielsweise wurde nach der Finanzkrise von 2008 ein antizyklischer Puffer eingeführt, um in wirtschaftlich stabilen Zeiten das Eigenkapital zu erhöhen. In Deutschland wurde der Mechanismus allerdings erst Mitte 2019 in Kraft gesetzt mit Wirkung zu Juli 2020, um dann im Lichte der COVID-19-Krise wieder zurückgenommen zu werden. Die Krise verunmöglichte die Krisenprävention.

Umgekehrt gelang nur durch die Krisen überhaupt das Durchbrechen der restriktiven Fiskalpolitik und die Finanzierung von Investitionen. Diese aber wurden dann nicht nach den langfristigen Prioritäten der ökologisch-sozialen Transformation ausgerichtet, sondern hektisch als Kriseninterventionsprogramm aufgesetzt. Insgesamt folgte die Fiskalpolitik damit einem Pfad, in dem in vielen Jahren ökonomisch sinnvolle staatliche Investitionen unterbleiben, während in Krisenjahren selbst unsinnige Projekte leicht Finanzierungen bekamen. In der Summe wurde damit weder das politische Ziel des Schuldenabbaus noch das Transformationsziel erreicht.

Wir müssen uns systemische Krisen zunutze machen

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die nächsten Jahre turbulent bleiben und Krisen den politischen Raum bestimmen werden.

Umso wichtiger ist deshalb, diese Krisenhaftigkeit mitzudenken und als Charakteristikum des politischen Handlungsraums zu akzeptieren, gerade wenn es um die langfristige Überwindung dieser Krisenhaftigkeit geht. Denn darin liegen auch Chancen, können doch in Krisenmomenten leichter starke Lobbygruppen ausgebremst und große politische Lösungen durchgesetzt werden, die in Zeiten normaler Politik nie durchkommen.

Wir plädieren also dafür, den politischen Handlungsspielraum, der sich immer wieder in einer Krise zeigt, gezielt für grundsätzliche sozial-ökologische Reformen zu nutzen.

Das klingt trivialer, als es ist. Denn es müssen mögliche transformatorische Ansätze für Krisenzeiten vorgedacht und entwickelt werden zu einer Zeit, in der für diese Maßnahmen keinerlei politische Umsetzungschance besteht. Potentielle Maßnahmen zur Überwindung einer künftigen Krise müssen auf ihre möglichen Rückwirkungen auf andere Sektoren abgeklopft werden zu einer Zeit, in der niemand solche Maßnahmen fordert oder umsetzen will. Außerdem müssen bei Übergangsfristen oder Stufen-Plänen mögliche Krisenreaktionen mitgedacht werden. So funktioniert Politik bisher nicht.

Langfristige politische Ziele zu verfolgen, darunter die Krisenprävention selbst, wird allerdings nur erfolgreich sein, wenn diese Herausforderung angenommen und systematisch politische Programmatik in jedem Politikfeld sowohl für Normalzeiten als auch für Zeiten der Krisenreaktion entwickelt wird.

Hier finden Sie ein umfassenderes Papier zu diesem Ansatz (englischsprachig).

Dieses ist in Zusammenarbeit zwischen Finanzwende Recherche und E3G im Rahmen des Projektes Transformative Responses To The Crises ausgearbeitet worden.

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