Digitalisierung

Bigtech meets Finance

Wie die Technologie-Giganten in den Finanzsektor dringen

01.09.2022

Große Tech-Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook versuchen immer mehr Finanzdienstleistungen anzubieten, die sonst von Banken und anderen Finanzdienstleistern angeboten werden. Das bringt einige Vorteile, wie individualisierte Angebote und einfacheren Zugang für alle Gesellschaftsschichten.

Sollten sich Bigtechs aber im Finanzsektor etablieren, birgt dies große Gefahren für den Verbraucherschutz, einen fairen Wettbewerb und letztendlich sogar die Finanzstabilität. Aber woher kommt das Interesse der Bigtechs an Finanzangeboten, wie gehen Sie bei der Einführung vor und welche Konsequenzen hat das für den Markt und die Verbraucher?

Als Facebook 2019 ankündigte, seine eigene Kryptowährung Libra herauszugeben, war die Aufregung groß. Verbraucherschützer sorgten sich um Datenschutz und Privatsphäre. Die Politik und Zentralbanken sahen nicht nur die Finanzstabilität gefährdet, sondern gleich die staatliche Souveränität über das ganze Währungssystem. Der politische und zivilgesellschaftliche Widerstand gegen das Libra-Projekt war enorm. Und erfolgreich. Anfang des Jahres 2022 stampfte Facebook das Projekt Libra/Diem ein.

Bigtechs unbeirrter Vorstoß in den Finanzsektor

Trotzdem dringen Tech-Giganten wie Microsoft, Apple und Amazon weiter in den Finanzsektor vor. Sie tun dies vor allem über zwei Wege: erstens über eigene Finanzangebote. Insbesondere Zahlungsdienstleistungen sind eine beliebte und rentable Eintrittspforte. So haben fast alle Bigtechs mittlerweile ihren eigenen Zahlungsdienst oder ihre digitale Brieftasche (zum Beispiel Google Pay, Apple Pay, Amazon Pay, Google Wallet). Facebook plant eine Wallet, mit der Kryptowerte gehalten und international versendet werden können (Novi). Zweitens bieten Bigtechs Cloudsysteme und Softwarelösungen wie Kernbankensysteme an. Diese werden mittlerweile von einer Vielzahl an Banken und Finanzinstituten genutzt.

Der Einstieg in den Finanzsektor über Zahlungsdienstleistungen ist für Bigtechs besonders attraktiv. Denn die Nachfrage nach bequemen Zahlungsmethoden wächst durch Onlinehandel und Smartphone-Nutzung stetig. Traditionelle Banken haben dem Zahlungsverkehr in den letzten Jahren wenig Aufmerksamkeit geschenkt – eine Lücke, die die Bigtechs nur zu gerne füllen. Dazu kommt, dass der Zahlungsverkehr im Vergleich zum Bankgeschäft extrem lukrativ ist. Er bringt Eigenkapitalrenditen von bis zu 20 Prozent gegenüber dem Bankgeschäft mit fünf bis sechs Prozent.

Neben dem Zahlungsverkehr weiten Bigtechs ihr Finanzangebot auch in andere Richtungen aus. Dazu gehören Kreditvergabe und -vermittlung (zum Beispiel die in den USA verfügbare Kreditkarte Apple Card von Apple oder die Amazon Prime Kreditkarte), Versicherungsprodukte und Vermittlung (zum Beispiel Amazons Insurance Accelerator) sowie digitale Geldbörsen und Kryptoanwendungen. Dabei kooperieren die Tech-Unternehmen zu Beginn oft mit Partnerbanken. Die traditionellen Banken verlieren dabei den direkten Kontakt zum Kund*innen.

Stand 2021 machten Finanzdienstleistungen zwar nur elf Prozent des Umsatzes von Bigtechs aus. Dennoch ist zu erwarten, dass die Zahl rapide anwächst.

Daten von Kund*innen sind das digitale Gold der Bigtechs

Die Sprengkraft der Bigtechs im Finanzsektor rührt oft von einem entscheidenden Vorteil gegenüber traditionellen Banken: ihren Kundendaten. Das breite Angebot von Suchmaschinen, E-Mail-Konten, Einkaufs- und Chatmöglichkeiten verschafft ihnen unterschiedlichste Informationen zum Verhalten und den Präferenzen ihrer Kund*innen.

Mit diesen Informationen können sie ihre Produkte an die Bedürfnisse ihrer Nutzer*innen anpassen. So könnten sie auch deren Kreditwürdigkeit mitunter besser analysieren, da sie eine viel breitere Datenlage zur Evaluation heranziehen könnten. Im besten Fall könnte dies die notwendigen Keditbesicherungen senken und somit den Zugang zu Krediten erweitern.

Außerdem zeichnen sich die Produkte Bigtechs häufig durch eine besonders hohe Nutzerfreundlichkeit und gute Praktikabilität aus. Dadurch erfreuen sie sich besonderer Beliebtheit bei den Nutzer*innen.

Finanzangebot der Bigtechs wird zum Problem für Markt und Verbraucher*innen

Das Wachstum der Finanzangebote der Bigtechs birgt gleich mehrere Risiken für Markt und Verbraucher*innen: Die enorme Vernetzung und Größe der Bigtechs könnte sie zu den nächsten too-big-to-fail-Kandidaten (deutsch: „zu groß zum Scheitern“) machen. Bei einem Ausfall der Softwarelösungen und Cloudspeicher-Angebote der Bigtechs könnte ein Systemausfall verheerende Folgen für viele Institute und den ganzen Finanzsektor haben.

Der indirekte politische Einfluss der Bigtechs steigt durch die wachsenden Finanzangebote ebenfalls an. Seit 2011 sind die Staatsanleihen und hochliquiden Mittel, die Alphabet (Mutterkonzern von Google), Apple, Facebook und Amazon halten, um das Vierfache angewachsen. Als wichtige Halter*innen von Staatsanleihen könnten sie in Krisenzeiten sogar politischen Druck ausüben. Laut Fabio Panetta, Direktor der Europäischen Zentralbank, hatten sie im Oktober 2021 „damit mehr hochqualitative Assets als fünf der acht global tätigen und systemisch wichtigen Großbanken des Euroraums“.

Die Machtkonzentration der Bigtechs im Finanzsektor gefährdet außerdem fairen Wettbewerb. Ihre enormen finanziellen Ressourcen erlauben es ihnen, ihre Konkurrenz durch Fusionen und Akquisitionen auszuschalten. Dabei spielt ihnen die Beschaffenheit von digitalen Märkten in die Karten, die große Teilnehmer*innen durch Netzwerkeffekte stärken.

Für die Verbraucher*innen sind insbesondere der Datenschutz und die fehlende Privatsphäre durch Big Data ein Problem. Wenn zu den Shopping-, Kommunikations- und Suchdaten auch noch Finanzdaten dazukommen, kann das Verhalten der Nutzer*innen möglicherweise vorhergesagt und manipuliert werden. Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) kann das die Privatsphäre, den politischen Diskurs und auch die Konsumfreiheit schädigen. Dies erfolgt in erster Linie über platzierte Werbung und selektive Anzeige von Kaufangeboten.

Bigtechs brauchen strenge (internationale) Spielregeln

Diese Entwicklung politisch und gesetzlich zu begleiten, ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Herausforderung besteht darin, die jeweilige Risiken der Bigtechs zu erkennen. Denn das Risikoprofil der einzelnen Bigtechs ist aufgrund ihrer einzigartigen Geschäftsmodelle sehr individuell. Ein und dieselbe Aktivität kann bei einer traditionellen Bank und einem Bigtech unterschiedliche Risiken hervorbringen.

Eine Möglichkeit ist daher, unternehmensbasierte, also individuell angepasste regulatorische Vorgaben, für Bigtechs zu erarbeiten („entity based regulation“). Die Herausforderungen dabei sind groß. Erstens müssen die sich schnell verändernden Geschäftsmodelle erfasst werden. Zweitens braucht es eine stärkere internationale Kooperation in der Aufsicht. Denn die Bigtechs agieren international und nationale Gesetze können nur begrenzt wirken. Wo angebracht, braucht es drittens regulatorische Vorgaben, die technologieneutral sind und sich nach der Art des Angebots oder der Aktivität richten („activity based regulation“).

Die EU ist Vorreiterin und hat zuletzt Vorstöße unternommen, Bigtechs zu regulieren. So wurden wichtige Rechtsakte erlassen, die den fairen Wettbewerb schützen sollen. Auf internationaler Ebene kann aber noch viel passieren. Denn die Risiken für Verbraucher*innen, Markt und Demokratie sind schon heute enorm.

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