Überschuldung

Überschuldung im toten Winkel

Warum der Staat zu wenig über private Geldprobleme weiß

27.03.2024

  • Überschuldung ist ein großes soziales Problem in Deutschland – und wird dennoch kaum ergründet. Zentrale Daten fehlen.
  • Eine belastbare Datenlage ist Voraussetzung für fundierte Entscheidungen von politischen Akteur*innen in der Überschuldungsbekämpfung.
  • Finanzwende Recherche hat die aktuelle Datenlage zur Überschuldung analysiert und skizziert, wie diese verbessert werden könnte.

Wer überschuldet ist, hat mehr Probleme als nur finanzielle Sorgen. Oft geht die Geldnot einher mit sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen. Der Besuch bei den weit entfernt wohnenden Eltern wird zu teuer, die Mitgliedschaft im Sportverein auch. Wenn dann auch noch wichtige Rechnungen unbezahlt bleiben, drohen massive Einschränkungen wie Energiesperren. Manche verlieren gar ihre Wohnung.

Private Überschuldung ist ein ernstes soziales Problem in Deutschland. Im Jahr 2023 gab es wohl mehr als doppelt so viele überschuldete Menschen wie Arbeitslose. Ganz genau weiß das aber niemand. Während Behörden die Arbeitslosenzahlen penibel dokumentieren und die Öffentlichkeit sie leidenschaftlich debattiert, wird in Sachen Überschuldung überwiegend weggeschaut.

Zu viel Unklarheit

Fest steht: Millionen Menschen sind in Deutschland überschuldet. Ihnen fehlt dauerhaft das Einkommen oder Vermögen, um an sie gerichtete Forderungen zu bezahlen. Eine amtliche Gesamtzahl überschuldeter Personen existiert nicht. Schätzungen sprechen von mehr als 5,5 Millionen überschuldeten Menschen für das Jahr 2023.

Wer überschuldet ist, soll in Schuldnerberatungen Hilfe bekommen. Viele Beratungsstellen berichten von steigendem Andrang. Allerdings ist unklar, wie viele Menschen insgesamt jährlich bei den Beratungsstellen anklopfen. Schätzungsweise weniger als 10 Prozent der Überschuldeten werden von Berater*innen betreut. Viele Schuldner*innen warten auf eine Beratung, müssen die Kosten dafür selbst schultern oder erhalten womöglich gar keine Hilfe. Ein Gesamtüberblick zur Beratungsnachfrage in Deutschland fehlt.

Schätzungsweise weniger als 10 Prozent aller Überschuldeten werden in Deutschlad von Schulnderberater*innen betreut.
Hinzu kommt: Auch das Beratungsangebot selbst ist bundesweit kaum erfasst, also die personellen und finanziellen Kapazitäten der Beratungsstellen. In der Folge lässt sich kaum beziffern, welche Investitionen nötig sind, um die Nachfrage an Beratung zu erfüllen. Weder die tatsächliche Beratungsnachfrage noch das derzeitige Beratungsangebot sind also bekannt.

Die schlechte Datenlage erschwert es politischen Entscheidungsträger*innen, eine erfolgreiche staatliche Strategie in der Überschuldungsbekämpfung umzusetzen. Eine aktuelle und belastbare Zahlengrundlage ist auch dringend notwendig, um die nötige politische Aufmerksamkeit auf das soziale Problem der Überschuldung zu lenken.

Probleme sehen, Lösungen entwickeln

Klar ist: Die politische Diskussion zur Überschuldung braucht zusätzliche zentrale Kennziffern, die bislang fehlen. Um gezielt handeln zu können, sollten politische Akteur*innen die Entwicklungstendenz von Überschuldungszahlen mittels relevanter Indikatoren zeitnah verfolgen. So könnten Entscheider*innen – in Abwesenheit einer Gesamtzahl überschuldeter Personen – Handlungsbedarfe besser erkennen und adressieren.

Die Quellenlage bei Überschuldung ist kompliziert, mögliche Indikatoren sollten daher pragmatisch ausgewählt werden. Im besten Fall beruhen sie auf vergleichsweise aussagekräftigen Datenquellen und decken unterschiedliche Zeitpunkte eines Überschuldungsverlaufs ab. Derartige Indikatoren könnten etwa auftretende Zahlungsstörungen oder eröffnete Verbraucherinsolvenzverfahren sein.

Es braucht außerdem mehr Transparenz mit Blick auf Angebot und Nachfrage von Schuldnerberatung. Es wäre wünschenswert, wenn das Beratungsangebot die tatsächliche Beratungsnachfrage bedienen kann. Schließlich geraten überschuldete Menschen immer wieder in – teils existenzielle – Not. Um für sie ein Hilfsangebot bereitstellen zu können, ist es wichtig, den Bedarf an Beratung möglichst korrekt zu identifizieren.

Überschuldung ist als soziales Problem zu ernst, um es nachlässig zu behandeln. Eine verbesserte Zahlengrundlage ist nötig, um eine geeignete staatliche Strategie in der Überschuldungsbekämpfung entwickeln zu können.

Im vorliegenden Report „Private Schulden, staatliche Misere“ hat Finanzwende Recherche die aktuelle Datenlage zur Überschuldung in Deutschland eingehend analysiert. Darauf basierend werden Handlungsempfehlungen abgeleitet, die zu einer verbesserten Datenlage bei Überschuldung führen und eine erfolgreiche staatliche Strategie in der Überschuldungsbekämpfung befördern könnten.

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