Finanzlobbyismus

Finanzlobbyismus

12.01.2022

Ein deutliches Ungleichgewicht in der Interessenvertretung wird für jede Demokratie auf Dauer zum Problem. Wenn Meinungen mächtiger Unternehmen immer wieder auf offene Ohren stoßen, während Meinungen aus der Zivilgesellschaft untergehen, dann entsteht oft ein Schaden für unser Gemeinwohl.

Gerade im Finanzmarktbereich ist der dominante Einfluss der Finanzbranche immer wieder zu beobachten. In der Folge unterbleibt mitunter eine Regulierung des Bereichs oder vorgenommene Maßnahmen werden abgeschwächt. In der Vergangenheit wurden Partikularinteressen von Finanzinstituten zu Lasten der Interessen der Allgemeinheit beispielsweise bei CumEx durchgesetzt. Dort gelang es Teilen der Branche sogar, dass ein Gesetzentwurf praktisch eins zu eins in ein Gesetz überführt wurde, durch das die CumEx-Geschäfte weiterbetrieben werden konnten.

Wirecard als Musterbeispiel für Lobbyismus

Aber CumEx ist nicht das einzige Beispiel. Denken wir an Wirecard. Der mittlerweile insolvente Aschheimer Zahlungsdienstleister, dessen Kartenhaus im Juni 2020 zusammenbrach, hatte ein üppiges Lobbybudget und beste Kontakte in die deutsche Bundesregierung.

Zur Erinnerung: Ein ehemaliges Vorstandsmitglied von Wirecard, Jan Marsalek, wird wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs in Milliardenhöhe sowie weiterer Vermögens- und Wirtschaftsdelikte immer noch mit einem internationalen Haftbefehl gesucht. Der ehemalige Konzernchef sitzt derweil weiter in Untersuchungshaft. Mindestens 1,9 Milliarden Euro fehlten in den Wirecard-Büchern. Durch die Insolvenz des Konzerns ging zum ersten Mal ein Dax-Konzern pleite und es entstand ein Milliardenschaden für Anleger*innen.

Die Beeinflussung der Politik ließ sich der Konzern zwischen 2016 und seiner Insolvenz immerhin 62,4 Millionen Euro kosten. Für ein gutes Verhältnis in die Politik sorgten unter anderem die Ex-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg, Ole von Beust und Klaus-Dieter Fritsche. Der ehemalige Verteidigungsminister Guttenberg lobbyierte bei der Kanzlerin für das Unternehmen und seine Expansionspläne – bis die Blase platzte und sich Wirecard als Betrugsfall herausstellte.

Behörden und Politik griffen viel zu lang beim Konzern nicht durch, sondern warben bis hin zur Kanzlerin sogar noch für Wirecard. Viele Anleger*innen standen am Ende mit fast leeren Händen da. Ein Musterbeispiel des Lobbyismus und seiner Schäden.

Schäden für die Allgemeinheit

Ob nun die Debatte um ein mögliches Provisionsverbot oder die lang schwelende Diskussion um eine Finanztransaktionssteuer. Oft erreicht die Finanzbranche in Deutschland eine Verwässerung oder Blockade wichtiger Reformvorhaben in ihrem Interesse. Fonds, Banken und Versicherern stehen Lobbybudgets und -personal zur Verfügung, die ihnen den Versuch einer systematischen Beeinflussung der Politik zu ihren Gunsten deutlich einfacher machen.

Es existiert ein erschreckendes Ungleichgewicht der Interessenvertretung zwischen Gesellschaft und Finanzlobby. Eine Studie der Bürgerbewegung Finanzwende von 2020 fand heraus, dass sowohl in der Frühphase der Gesetzgebung in Ministerien als auch in der parlamentarischen Debatte der Einfluss der Finanzlobby deutlich stärker ist als der der Zivilgesellschaft. Auf eine Stellungnahme aus der Zivilgesellschaft kommen im Durchschnitt neun aus dem Finanzbereich. Und die gesamte Finanzlobby verfügt über mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr, um die Politik in Deutschland möglichst zu ihren Gunsten zu verändern.

Das Ungleichgewicht lässt sich zum Teil sogar in der Justiz ausmachen. In einer jüngst erschienenen Studie zeigt Finanzwende Recherche, dass es bedenkliche Einfallstore im deutschen Rechtssystem gibt, aus denen Interessenkonflikte resultieren können. Fehlende Regeln zu Nebeneinkünften und Seitenwechseln von Richter*innen machen es möglich, dass der Eindruck entstehen kann, vor dem Gesetz sei die Finanzbranche etwas gleicher als alle anderen gesellschaftlichen Gruppen.

Finanzwende verklagt Olaf Scholz

Transparenz ist die Mindestforderung in diesem Umfeld. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht zu erfahren, welche Interessen in der Politik Gehör finden und welche nicht. Finanzwende Recherche bemüht sich deshalb, Transparenz über die Lobbytreffen des Bundeskanzlers und ehemaligen Finanzministers Olaf Scholz herzustellen.

Mit einer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) wollten wir im Sommer 2021 wissen, welche Lobbyvertreter*innen Olaf Scholz von 2018 bis 2021 traf. Unsere Anfrage wurde abgelehnt (Briefwechsel zwischen Finanzwende Recherche und dem Bundesfinanzministerium).

Aufgrund der weiter ablehnenden Haltung des Ministeriums haben wir im November 2021 eine Klage gegen das Ministerium eingereicht. Es geht an dieser Stelle um ein Mindestmaß an Transparenz, das wir schaffen wollen.

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