Digitalisierung

Digitalisierung im Finanzsektor

Wie Blockchain, Neobroker und Co. die Finanzwelt verändern

10.05.2022

Die Digitalisierung verändert den Finanzsektor radikal: Neue Geschäftsmodelle, Technologien und Produkte kommen täglich auf den Markt. Die Entwicklung verläuft rasant mit enormen Folgen für Finanzsektor und Gesellschaft. Finanzwende Recherche beleuchtet die Fragen rund um die Chancen und Risiken der Digitalisierung für Finanzmarkt, Unternehmen und Verbraucher*innen.

Neue Player, alte Player – die Struktur des Finanzmarkts ändert sich

Zu der klassischen Universalbank für Einlagen und Kredite gesellt sich dank digitaler Geschäftsmodelle nun ein Blumenstrauß an neuartigen Finanzunternehmen. Deren Konzepte basieren oft entweder auf kleinen, spezialisierten Produktpaletten (Fintechs) oder auf allumfassenden Angeboten, die über Finanzdienstleistungen hinausgehen (Bigtechs). Letztere sind insbesondere internationale Online-Plattformen wie Google, Facebook und Amazon, die ihr Angebot derzeit um Finanzdienstleistungen erweitern. Ob groß oder klein – die neuen Akteure positionieren sich meist nahe am Kunden und bieten bequeme, kostengünstige und oft individuelle Produkte an.

Bigtechs

Bigtechs könnten die neuen Megaplayer des Finanzsektors werden. Sie profitieren von erheblichen Netzwerkeffekten und Big Data, denn sie verfügen bereits über einen enormen Kundenstamm. Die Nachfrage ist hoch, weil die Idee eines einzigen Accounts für Finanzen, Shopping und Social Media für viele Verbraucher*innen sehr attraktiv ist. Die großen Datenbestände der Bigtechs erlauben ihnen außerdem, das Risikoprofil ihrer Kund*innen besser als jede traditionelle Bank zu analysieren und perfekt angepasste Finanzprodukte zu entwickeln.

Bigtechs können durch ihre schiere Größe sogar mit Staaten konkurrieren. So scheiterte Facebook im Jahr 2022 zwar mit dem ambitionierten Plan, eine globale Währung namens „Libra“ (später umbenannt in „Diem“) einzuführen. Regulator*innen und Politik waren aber alarmiert und sahen sogar das Währungssystem in Gefahr. Am Ende war der Widerstand erfolgreich.

Dennoch steigt die Zahl der Finanzangebote von Bigtechs stetig an, etwa im Zahlungsverkehr (Google, Apple), bei Kreditvergabe und -vermittlung (Apple) und bei Versicherungsprodukten und -vermittlung (Amazon). Auch Bankkonten wurden schon anvisiert, wenn auch bisher ohne Erfolg (Google). So entstehen neue, einflussreiche Anbieter im Finanzsektor – womöglich mit dem bekannten Problem systemischer Bedeutung (too-big-to-fail).

Fintechs

Auch kleine, hoch spezialisierte Fintechs bestechen durch einfache und kostengünstige Finanzdienstleistungen. Ihr Trick: Sie fangen klein an und nutzen Vorteile der Skalierung. Nach dem Baukastenprinzip können Fintechs zum Beispiel eine Online-Banking-App entwickeln, ohne das eigentliche Bankgeschäft selbst zu führen. Es wird an eine andere Bank ausgelagert. Sobald genügend Ressourcen und Kund*innen aufgebaut sind, wird das Bankgeschäft selbst übernommen.

So betrieb die Wirecard Bank anfangs das eigentliche Bankgeschäft von N26. N26 kümmerte sich um Marketing und das Onlinebanking per App. Im Jahr 2016 war der N26-Kundenstamm groß genug, dass das Fintech eine Banklizenz beantragte und die Geschäfte integrierte. Spezialisierung und Skalierung ermöglichen es Fintechs, sich auf Produktentwicklung und Kundenbindung zu konzentrieren. Wie Bigtechs schaffen sie es damit oft besonders ansprechende Produkte zu entwickeln.

Für die Politik bedeutet das Aufkommen neuartiger Finanzunternehmen eine Anpassung von Gesetzen und Aufsicht. Sie muss sich einerseits auf komplexere Geschäftsmodelle einstellen, wo Fintechs Prozesse an andere auslagern. Andererseits gilt es über neue Regeln für Bigtechs nachzudenken, wo die alten Regeln aufgrund der Größe der Unternehmen zu kurz greifen.

Und was haben die Verbraucher*innen davon?

Für Verbraucher*innen bedeuten digitale Geschäfte in vielerlei Hinsicht eine Verbesserung. Fin- und Bigtechs bauen auf einfache Bedienung, individuellere Produkte und geringere Kosten für Kund*innen. So werden die Einstiegshürden für Verbraucher*innen in den Finanzmarkt erheblich gesenkt. Neobroker wie Trade Republic und Co. ermöglichen es Kleinanleger*innen etwa Kleinstbeträge gegen sehr geringe Gebühren anzulegen. Bei traditionellen Banken würde der gleiche Service so viel kosten, dass kleine Investitionen unrentabel wären.

Darüber hinaus können Fintechs auch für Start-ups und kleinere Unternehmen Finanzierungslücken schließen. Crowdfunding-Plattformen können dort eine Finanzierung ermöglichen, wo die Traditionsbanken aufgrund von Risikovorgaben ablehnen oder der Zugang zu den Kapitalmärkten verwehrt ist.

Die Entwicklungen sind aber auch mit Risiken verbunden. Denn manche Geschäftspraktiken der Fintechs – zum Beispiel von Neobrokern – sind höchst umstritten. Geldwäscheprävention, regulatorische Standards und Cybersicherheit sind aufwändig und können bei limitierten Ressourcen immer wieder zu kurz kommen. Zudem ist das Speichern, Verarbeiten und der Verkauf der Kundendaten immer wieder ein wichtiger Teil der Geschäftseinnahmen. Dies ist nicht nur aus Gründen des Datenschutzes problematisch, es kann auch die Marktintegrität schädigen – vor allem im Wertpapierhandel.

Krypto – das schnelle Geld für alle?

Neuartige Risiken für Verbraucher*innen bringt der Kryptobereich, der zuletzt einen großen Hype erlebte. Allein im Zeitraum von 2020 bis 2021 wuchs die Anzahl der Apps zum Kryptohandel weltweit um 902 Prozent. Investitionen in Kryptoanlagen versprechen schnelles Geld, denn die Kurse sind volatil und Preise können binnen Stunden stark schwanken. Damit lässt sich viel Geld verdienen – und verlieren.

Die Aufsicht tut sich schwer mit den neuen Kryptoanlagen, die gesetzlichen Vorgaben sind (noch) unzureichend. Das liegt insbesondere am dezentralen Charakter der zugrunde liegenden Blockchain-Technologie. Weil die Daten von Krypto-Transaktionen auf Computern in der ganzen Welt gespeichert werden, gibt es keine zentrale Partei, die das Netzwerk kontrolliert und Gebühren, Zinsen oder Konditionen festlegen kann.

Theoretisch ermöglicht dieser Fakt die Unabhängigkeit von Banken und einen einfachen Zugang für alle. Darin liegen große Chancen, zum Beispiel für Menschen in Entwicklungsländern mit schlechter Finanzinfrastruktur. Und auch in Industrieländern kann die Blockchain-Technologie durch ihre charakteristischen Merkmale wie Fälschungssicherheit helfen, Schlupflöcher für Finanzkriminalität zu schließen.

Praktisch ist es für die Aufsicht aber schwer, das System zu beaufsichtigen und damit Risiken zu minimieren. Daher überwiegen diese für viele Verbraucher*innen beim Kryptohandel bisher. Die Risiken sind vor allem mangelnder Verbraucherschutz, hohe Kriminalitätsrate und Missbrauch wie Betrug oder Geldwäsche. So kann laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) die Hälfte aller Transaktionen in Bitcoin, dem bekanntesten Kryptowert, auf die Finanzierung illegaler Aktivitäten zurückgeführt werden.

Außerdem sind der Handel und das Schürfen (also die Schaffung) von Kryptowerten derzeit stark zentralisiert. Mehr als 90 Prozent der Transaktionen in Kryptowerten finden auf wenigen, großen Kryptobörsen statt. Dieser Trend steht jedenfalls im krassen Widerspruch zur propagierten Unabhängigkeit und Dezentralität des Netzwerks. Zusätzlich ist der massive Energieverbrauch von Bitcoin ein großes Problem für Umwelt und Klima.

Muss sich auch der Euro an das digitale Zeitalter anpassen?

Um einigen Risiken digitaler Geschäftsmodelle entgegenzuwirken, überdenken Zentralbanken und Regierungen die Rolle staatlichen Geldes im digitalen Bereich. Bislang existiert staatliches Geld, also Zentralbankgeld, digital nur für Banken in Form von Zentralbankreserven. In der analogen Welt ist Zentralbankgeld für Nicht-Banken derzeit nur in Form von Bargeld zugänglich. Bargeldzahlungen ermöglichen es Bürger*innen, Zahlungen anonym und sicher zu tätigen. Anonym, weil es keine Datenspur hinterlässt und kein privates Unternehmen in der Transaktion involviert ist. Sicher, weil die Zahlung in keinem Moment vom wirtschaftlichen Zustand eines Drittanbieters wie einer Bank abhängig ist.

Diese Privilegien existieren im digitalen Bereich nicht. Angesichts des rapiden Wachstums von Onlinehandel und bargeldlosen Zahlungsmethoden werden daher Forderungen laut, die Privilegien von Bargeld in den digitalen Bereich zu übertragen.

Digitales Zentralbankgeld für Bürger*innen und Unternehmen soll Abhilfe schaffen. Es soll eine sichere und (zumindest gegenüber Drittanbietern) anonyme und digitale Zahlung ermöglichen. Der Großteil der Zentralbanken weltweit arbeitet daran, das Geldsystem entsprechend anzupassen. In der Europäischen Union erörtert die Europäische Zentralbank derzeit die Möglichkeiten eines digitalen Euros und möchte 2023 eine Ankündigung zu einer möglichen Einführung machen. Wie genau ein digitaler Euro aussehen könnte, ist noch nicht klar. Die Ausgestaltung hängt maßgeblich davon ab, welche der oben genannten Probleme man genau adressieren möchte.

Eins ist aber klar: Die Digitalisierung verändert den Finanzsektor grundlegend. Damit sich die Chancen dieser Veränderung voll entfalten können, müssen die Risiken identifiziert und adressiert werden. Durch gezielte Aufklärung, Informationen und Analysen im Bereich Digitalisierung im Finanzsektor, möchte Finanzwende Recherche dazu beitragen.

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