CumEx CumCum

Anhörung im CumEx-Untersuchungs­ausschuss

16.06.2021

  • Am 28.05.2021 war unser Geschäftsführer Gerhard Schick als Sachverständiger in den CumEx-Untersuchungsausschuss der Bürgerschaft Hamburg eingeladen.
  • Dieser befasst sich mit dem CumEx-Skandal um die Warburg Bank und die mögliche politische Einflussnahme in diesem Zusammenhang.
  • Im Ausschuss berichtete Gerhard Schick über seine Erfahrungen bei der Aufklärung von CumEx und welche Rolle der CumEx-Untersuchungsausschuss des Bundestags bei der Aufarbeitung des Milliardenraubs spielte und spielt.

Überarbeitetes Statement von Gerhard Schick vor dem CumEx-Untersuchungsausschuss in Hamburg:

Ich habe bei CumEx und CumCum persönlich Dinge erlebt, die ich bei keinem anderen Thema erlebt habe und die ich in Deutschland nicht für möglich gehalten hätte.

Wie es zum Untersuchungsausschuss kam

In der Zeit bis 2011, während die CumEx-Geschäfte liefen, hatte ich wie alle Parlamentarier*innen von dem Thema zunächst wenig mitbekommen. Der Passus zu CumEx im Jahressteuergesetz 2007, der sich als hoch problematisch herausstellen sollte, spielte bei den Beratungen im Bundestags-Finanzausschuss keine Rolle. Die Berichterstattung für dieses Gesetz hatte eine Kollegin übernommen. Über die verschiedenen vergeblichen Versuche des Bundesfinanzministeriums ab Frühjahr 2009, die CumEx-Geschäfte einzudämmen, wurde der Finanzausschuss des Bundestags nicht informiert. Das Ministerium wollte dieses unangenehme Thema offenbar gegenüber Parlament und Öffentlichkeit verheimlichen. Dabei wäre es natürlich sinnvoll gewesen, spätestens 2009 klar öffentlich zu kommunizieren, dass diese Geschäfte stattfinden und dass das Bundesfinanzministerium sie für illegal hält und bekämpfen wird.

Erst ab 2011 sprachen mich Brancheninsider*innen auf das wilde Geschäftemachen zu Lasten der Steuerzahler*innen an. Der 2011 von der Regierung vorgeschlagene Lösungsansatz fand bei diesen Expert*innen Zustimmung, deshalb problematisierte ich das damals im Rahmen der Diskussion der entsprechenden Gesetzgebung nicht weiter, nahm mir aber vor, mich intensiver mit dem Thema zu befassen. Das tat ich dann auch mit zahlreichen Gesprächen, sowohl mit Kritiker*innen der CumEx-Geschäfte als auch mit solchen Menschen, die dabei gewesen waren in verschiedenen Rollen, teilweise unter sehr speziellen Bedingungen.

Öffentliche Informationen gab es dazu zunächst praktisch keine

Erst nach und nach wurden einzelne Fälle publik, so etwa die Rolle der HSH Nordbank. Diese zahlte an die Finanzbehörden 127 Millionen Euro zurück und gab einen Auftrag an Clifford Chance zu untersuchen, wie es zu diesen Geschäften kommen konnte. Dieser Bericht muss dem Aufsichtsrat der HSH Nordbank vorgelegen haben. Der damalige Finanzsenator und heutige Hamburger Bürgermeister Tschentscher war dann auch einer der ersten Politiker*innen, die sich öffentlich zu den CumEx-Geschäften äußerten. In einer Stellungnahme am 17. Dezember 2013 anlässlich der öffentlichen Berichterstattung zu dem Ergebnis des Clifford Chance-Berichts sagte er:

„Bankgeschäfte, die darauf abzielen, den Steuerzahler zu schädigen, sind für eine Landesbank und jedes andere seriöse Finanzinstitut völlig unvertretbar.“

Zu diesem Zeitpunkt war allerdings die rechtliche Lage noch völlig unklar. Mich erreichte ein Schreiben einer Anwaltskanzlei, die mir auf vielen Seiten ausführlich darzulegen versuchte, dass CumEx legal gewesen sei. Ich stellte mich dem Gespräch, merkte aber, dass es für einen Ökonomen wie mich nicht einfach ist, bei diesem Thema gegen juristische Profis zu punkten. Im Ergebnis schien mir das alles keinen Sinn zu geben, was die Anwält*innen vortrugen. Im Einzelnen war es für mich schwierig, die Fehler in der juristischen Häkelarbeit zu finden. Vor allem aber gab es noch praktisch keine Gerichtsentscheidungen, vor allem keine höchstrichterliche Entscheidung dazu. Wer von den Jurist*innen recht hatte, war offen.

Mit großer Spannung erwarteten deshalb diejenigen, die CumEx im Blick hatten, das Musterverfahren, das die Steuerverwaltung Hamburg im Falle eines Fonds führte, und zwar bis zum Bundesfinanzhof. Es war klar, dass dieses Urteil Rechtsgeschichte schreiben würde. Das Finanzamt Hamburg ging damals durchaus ein Risiko ein, denn das Urteil hätte auch anders ausgehen können, wenn man Berichten über den Verlauf der Beratungen im Bundesfinanzhof Glauben schenken darf. Am 16.04.2014 beendete der Bundesfinanzhof die Phase der rechtlichen Unsicherheit insofern, als erstmals ein oberstes Gericht in Deutschland zu einem CumEx-Fall geurteilt hatte. Das Urteil fiel klar zugunsten der Staatskasse aus. Uff.

Die Öffentlichkeit nahm zu dieser Zeit noch weitgehend keine Notiz von CumEx. Das wollte ich ändern. Zunächst über eine parlamentarische Anfrage, dann über einen Antrag auf Einsetzung eines*einer Sonderermittelnden versuchte ich ab 2014, im Bundestag die Aufklärung voranzutreiben. Doch die Regierungs-Fraktionen aus CDU/CSU und SPD lehnten meinen Vorstoß ab. So sagte Lothar Binding (SPD) bei den Beratungen zu dem entsprechenden Antrag der Grünen Fraktion Anfang 2015:

„Der Blick zurück hilft hier überhaupt nicht weiter. Lasst uns doch nach vorne schauen. (…) Ich frage einmal die Grünen, insbesondere Gerhard Schick: Passiert denn gegenwärtig in ähnlicher Weise irgendetwas wie vor zwölf Jahren, das wir jetzt nicht erkennen? (…) Aufzuklären gibt es nichts“.

Lothar Binding ließ damals leider meine Zwischenfrage nicht zu. Heute wissen wir, dass während diese Debatte stattfand, CumEx-ähnliche Geschäfte mit American Depository Receipts stattfanden, die so genannten CumFake-Geschäfte.

Ich bemühte mich trotzdem weiter um eine gemeinsame Aufklärungsarbeit mit allen Fraktionen. Ein Gespräch im Büro der Finanzausschuss-Vorsitzenden mit Vertreter*innen aller Fraktionen im Sommer 2015 endete allerdings ergebnislos. Die Koalitions-Fraktionen CDU/CSU und SPD zeigten keinerlei Interesse daran, den größten Steuerraub in der Geschichte der Bundesrepublik aufzuarbeiten.

Einsetzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses

Im Frühjahr 2016 wurde dann der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) eingesetzt, weil Grüne und Linksfraktion als Minderheit diesen auch gegen die Regierungskoalition erzwingen konnten. Das war durchaus bemerkenswert. Denn der CumEx-Untersuchungsausschuss war nicht von einer Welle öffentlicher Berichterstattung getragen, die kam erst später. Dem SPIEGEL war die Nachricht über seine Einsetzung nur ein paar dünne Zeilen wert, viele Medien berichteten zunächst gar nicht. Ich bin bis heute meiner Fraktion wie auch der Linksfraktion sehr dankbar, dass sie die Bereitschaft hatten, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, obwohl es zum damaligen Zeitpunkt keinen öffentlichen Druck nach Aufklärung gab.

Der CumEx-Untersuchungsausschuss

Mit dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA), der 2016 eingesetzt wurde, verfolgte ich drei Ziele:

1. Der Ausschuss sollte den Skandal bekannt machen und die benötigte Aufklärungsarbeit leisten, um politische Verantwortlichkeiten zu klären.

Das Ziel wurde erreicht. In meinem Sondervotum zum Abschlussbericht konnte ich das enorme Versagen in der Finanzaufsichtsbehörde BaFin und im Bundesfinanzministerium unter Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble herausarbeiten.

2. Es sollten Konsequenzen durchgesetzt werden, damit sich so etwas wie CumEx nicht wiederholen kann.

Dieses Ziel haben wir bisher nur bedingt erreicht. Zwar wurden einzelne Vorschläge aufgegriffen, wie die Einrichtung einer Taskforce zur Bündelung von Finanzmarkt- und Steuer-Know-how zwischen Bundeszentralamt für Steuern und Finanzaufsichtsbehörde BaFin. Doch bis heute hat der deutsche Staat keine Erkenntnis darüber, ob er zu viel Kapitalertragsteuer zurückerstattet. Dabei wäre das mit einer entsprechenden IT möglich, wie ich zusammen mit Prof. Dr. Lorenz Jarass dargelegt habe.

Nachdem die Bundesregierung mit dem Abzugs­steuer­entlastungs­modernisierungs­gesetz leider die Chance verpasst hatte, endlich den Vorschlag von Lorenz Jarass und mir umzusetzen, gab es zuletzt zumindest positive Töne aus Hessen, das Börsengesetz anzupassen, sodass die Börsenaufsicht mit den Finanzbehörden bei der Aufklärung von Finanzkriminalität zusammenarbeiten muss.

3. Außerdem wollten wir die CumCum-Geschäfte stoppen.

CumCum-Geschäfte sind gesellschaftlich völlig nutzlose Milliardengeschäfte, die bei Einrichtung des Untersuchungsausschusses noch in vollem Schwung waren und deren Renditen wie bei CumEx ausschließlich daher kommen, dass Banken und Fonds Steuern aus der Staatskasse als ihre Profite generieren.

Dies gelang, wodurch den Steuerzahlenden ein Milliardenschaden erspart blieb. Dazu aber später mehr.

Hemmungslose Gier, Gegenspieler*innen und lustlose Aufklärung

Es war eine spannende Arbeit im Ausschuss. Beim Aufbau der Arbeitsstrukturen stellte ich fest, dass ein Jurist, der sich zur Mitarbeit angeboten hatte, auf Seiten der CumEx-Akteur*innen stand. Ich habe ihn schnell wieder ausgeladen. Er bewarb sich auch bei der Linksfraktion. Aufgrund der guten Zusammenarbeit mit meinem dortigen Kollegen Richard Pitterle konnte ich ihn jedoch warnen, dass es sich hier eher um ein U-Boot handeln würde. Der Versuch der Unterwanderung gelang nicht.

2016 schrieb mich Christian Olearius an. Wir hatten uns einmal 2010 in Hamburg über die Finanzkrise und die nötigen Konsequenzen daraus unterhalten. Allerdings war ich enttäuscht, dass seinen klaren öffentlichen Statements wenig Bereitschaft folgte, wirklich an der Neuordnung des Finanzsystems mitzuwirken. Nun sollte es um CumEx gehen. Ich hatte einem Gespräch mit der Bedingung zugestimmt, dass unser Fraktions-Justiziar ebenfalls daran teilnehme. Das Gespräch kam jedoch nicht zustande. Wir trafen erst am 07.11.2016 im Untersuchungssausschuss aufeinander – wenn Blicke töten könnten, seine hätten es gekonnt.

Unangenehmer war ein Schreiben der Anwaltskanzlei Winter im Auftrag von Hanno Berger im Dezember 2016. Mir wurde – um es kurz zu fassen – eine Schadenersatzforderung von 200.000 Euro angedroht, da ich Hanno Berger auf meiner Internetseite als „wohl größten CumEx-Betrüger“ bezeichnet hatte, der gezielt die herrschende Rechtsmeinung beeinflusse und illegale Geschäfte als legal darstelle. Ich wusste nun, ich muss mit jedem Wort aufpassen. Das machte die Arbeit anstrengend.

Alle drei Ereignisse zeigten mir, dass die Menschen, mit denen ich es zu tun hatte, alle Hebel in Bewegung setzen, um ihre Interessen durchzusetzen, viel Geld haben und es auch gewohnt sind, mit ihrer Strategie Erfolg zu haben.

Innerhalb der Regierung gab es nur ein begrenztes Aufklärungsinteresse

Allein als es um die Wirtschaftskanzlei Freshfields ging, war auch bei Union und SPD relevantes Engagement zu erkennen. Für mich war das teilweise irritierend, weil insbesondere in der SPD-Fraktion es durchaus auch engagierte Aufklärer*innen gab. Der SPD-Obmann Andreas Schwarz war wie ich entsetzt über die hemmungslose Gier, die von einzelnen Vertreter*innen der Branche ausgestrahlt wurde, und wollte diesen Leuten das Handwerk legen. Allerdings gab es offenbar in der SPD-Fraktion auch andere Kräfte. Seit der Berichterstattung über die Rolle von Johannes Kahrs kann ich das nun einordnen, woher diese Kräfte wohl kamen.

Aber zurück zu den CumEx-Akteur*innen, die wir vernahmen: Diesen Menschen war jedes Mittel recht. Ich darf über nicht-öffentliche Sitzungen nicht berichten. Ich kann aber sagen, dass sich Mitarbeiter*innen aus den anderen Fraktionen und der Verwaltung nach mancher Sitzung bei mir bedankten, dass und wie ich die Auseinandersetzung führte. Sie waren selbst sprachlos über die Überheblichkeit und die skrupellose Bereitschaft, unsere Gesellschaft auszuplündern.

Das abschließende Mehrheitsvotum der Koalitions-Fraktionen wurde sehr schnell und sehr eindeutig von der journalistischen Aufklärungsarbeit, von der Justiz und von Aussagen des Bundesfinanzministeriums widerlegt. Im Bericht wurde zum Beispiel der Schaden der CumEx-Geschäfte auf eine Milliarde Euro heruntergerechnet. Letztlich argumentierten die Koalitions-Fraktionen, dass keine Fehler gemacht wurden. Schon komisch, wie dann so ein großer Schaden für die Steuerzahlenden über Jahre entstehen konnte.

Im Rückblick war der gemeinsame Versuch von CDU/CSU und SPD, die jeweiligen Finanzminister Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble vor Vorwürfen zu schützen, mehr als peinlich. Und peinlich war auch, wie Wolfgang Schäuble alles daran setzte, zu diesem Thema nicht mit Journalist*innen in Kontakt zu kommen: Zu seiner Befragung im Untersuchungsausschuss nutzte er auf Hin- wie Rückweg den Hintereingang.

CumCum

Mir war klar, dass ich mit einem Versuch über einen Bundestagsantrag, die CumCum-Geschäfte zu stoppen, scheitern würde. In einem Gespräch mit dem Mannheimer Steuerexperten Christoph Spengel entstand deshalb 2015 die Idee, über die Aufarbeitung von CumEx endlich dieser schädlichen Praxis ein Ende zu bereiten. Herr Spengel hatte im Frühjahr 2015 über die Wirtschaftswoche die skandalöse Praxis der CumCum-Geschäfte öffentlich gemacht. Für mich ist es der wichtigste politische Erfolg meiner Bundestagszeit, über den Untersuchungsausschuss CumEx dazu beigetragen zu haben, diese Milliardengeschäfte zu Lasten der deutschen Steuerzahlenden weitgehend zu stoppen.

Um das zu erreichen, musste ich im Einsetzungsbeschluss dieses Thema verankern. Die Koalitions-Fraktionen rochen den Braten, stimmten aber letztlich zu, dass auch „ähnliche Geschäfte“ untersucht werden mussten. Es gelang uns, diese inhaltlich sehr eng verbundenen, aber juristisch doch unterschiedlich zu bewertenden Geschäfte öffentlich zu thematisieren. Als die heute-show beides zusammen als einen Hütchenspielertrick darstellte, mit dem das Finanzamt ausgetrickst wurde, wusste ich, dass die Strategie funktionierte.

Im Frühjahr 2016 wurden im Rahmen des Investmentsteuerreformgesetzes CumCum rückwirkend zum 01.01.2016 weitgehend verhindert. Das gelang nur, nachdem der lückenhafte Gesetzentwurf des Bundesfinanzministeriums im Finanzausschuss massiv nachgebessert wurde. Hier zeigte sich schon der Druck der Aufarbeitung von CumEx. Niemand wollte sich vorwerfen lassen, solche Geschäfte für die Zukunft nicht ausschließen zu wollen.

Ebenfalls gelang es, CumCum-Geschäfte der Commerzbank zu beenden, weil man im Bundesfinanzministerium verstand, dass man die öffentliche Diskussion, ob eine Bank mit Bundesbeteiligung solche Geschäfte machen sollte, verlieren würde. Vor dem öffentlichen Druck scheint aber im Bundesfinanzministerium keine größere Aktivität entwickelt worden zu sein, bei den Banken mit öffentlicher Beteiligung CumEx oder CumCum zu unterbinden. Für die Deka-Bank konnten wir das im Untersuchungsausschuss gut herausarbeiten.

Der große Streit um die CumCum-Geschäfte kam dann später, im November 2016, als es darum ging, ob die Finanzverwaltung die CumCum-Geschäfte vor 2016 aufgreifen sollte und versuchen sollte, das Geld für die Steuerzahlenden zurückzuholen. In dieser Auseinandersetzung arbeitete ich sehr eng und vertrauensvoll mit Norbert Walter-Borjans zusammen, der wie ich klar auf Seiten der Bürger*innen stand, während andere die Banken schonen wollten.

CumEx bei Finanzwende

Nach meinem Wechsel zu Finanzwende ging die Arbeit zu CumEx weiter.

Ein Grund für die Gründung von Finanzwende war, dass sich die verschiedenen Streiter*innen für faire Finanzmärkte besser vernetzen, strategisch zusammenarbeiten, aber auch aktiv unterstützen können, wenn einer angegriffen wird. Letzteres traf auf Eckart Seith zu. Schon in meiner Bundestagszeit hatte ich mich in mehreren Briefen und Gesprächen, bis hin zu Wolfgang Schäuble und Olaf Scholz, für Eckart Seith eingesetzt. Ziel war im Kern, dass sich die Bundesregierung an die Seite dieses wichtigen Hinweisgebers stellt bei seiner Auseinandersetzung mit der Schweizer Bank Sarasin. Bis dahin vergebens. Deswegen startete die Bürgerbewegung Finanzwende eine öffentliche Kampagne.

Als im Jahr 2020 bekannt wurde, dass bei der strafrechtlichen Aufarbeitung der CumEx-Geschäfte Verjährungen drohen, startete Finanzwende eine erfolgreiche Kampagne, damit die zuständigen Behörden in NRW mehr Personal erhalten.

Kurz davor, im Juli 2020 reichte ich erstmals im meinem Leben eine Strafanzeige ein – gegen Mitarbeiter*innen des Bundeszentralamt für Steuern (BZSt). Denn es war öffentlich geworden, dass wichtige Informationen zur Aufklärung von CumEx, konkret: eine Liste mit über 500 Tatverdächtigen, beim BZSt vorlagen, aber nicht an die ermittelnde Staatsanwaltschaft weitergeleitet wurden. Meines Erachtens ein klarer Fall von Strafvereitelung im Amt.

Wichtige Lehren aus CumEx und CumCum

1) Bei CumEx waren mehrere staatliche Akteur*innen oder Akteur*innen aus dem öffentlichen Raum eindeutig auf der falschen Seite unterwegs.

  • Landesbanken haben CumEx-Geschäfte gemacht: HSH Nordbank und LBBW haben es zumindest nachher offengelegt und von sich aus Geld zurückgezahlt. WestLB und Helaba waren dazu offenbar nicht bereit.
  • Sparkassen haben CumCum-Geschäfte gemacht.
  • Professor*innen von öffentlichen Hochschulen haben Gefälligkeitsgutachten geschrieben, die die Legalität von CumEx behauptet haben. Diese Argumentationen waren extrem gut bezahlt, hatten aber vor den Gerichten keinerlei Bestand.
  • Die Finanzaufsichtsbehörde BaFin erhielt 2007 wertvolle Hinweise über konkrete CumEx-Geschäfte der WestLB. Aber anstatt das entsprechend weiterzuverfolgen und an die Staatsanwaltschaft zu geben, ließ sie es nach einer Rückfrage bei der Bank auf sich beruhen. Wäre man diesem Hinweis nachgegangen, hätten die Milliardengeschäfte zu Lasten der deutschen Steuerzahlerenden in den Jahren 2008 bis 2011 verhindert werden können.
  • Die Staatsanwaltschaft Köln wurde durch die BaFin und das BZSt nicht vollumfänglich und engagiert unterstützt bei der Aufklärung von CumEx, vielmehr wurden Informationen zurückgehalten.
  • Das Finanzministerium aus Hessen und das Bundesfinanzministerium versuchten 2016 zu erreichen, dass die Banken bei CumCum vor Rückzahlungen geschützt werden.
  • Der „Maulwurf“ Herr Ramackers unterstützte, teilweise bezahlt von den Banken, 2005, 2007 und 2011 CumEx-Geschäfte durch sein Agieren im Bundesfinanzministerium.
  • Das Hamburger Finanzamt entschied 2016 und 2017, von der Warburg-Bank die CumEx-Gelder nicht zurückzufordern.

All das ist extrem irritierend. Die Darstellung eines WDR-Films kann ich nur unterstreichen: CumEx war als Organisierte Kriminalität nur möglich, weil es Unterstützung aus dem staatlichen Raum gab. Das blieb bisher ohne Konsequenzen für die handelnden Personen auf staatlicher Seite.

Und es geht weiter: Vertreter*innen unseres Staates sind gerne bereit, zum Geburtstag von Banken zu sprechen, die mitgemacht haben bei CumEx. So Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Deutschen Bank. Aber für ein Gespräch mit Eckart Seith, der ganz wichtig war für die Aufklärung und deshalb rechtlich unter Druck gesetzt wird, hatten keine führenden Vertreter*innen unseres Staates bisher Zeit. Geschweige denn, dass die Bundesregierung als Prozessbeobachterin in Zürich auftritt und ihn unterstützt gegen die Bank, die CumEx gemacht hat.

2) So wie CumEx-Akteur*innen bei den Geschäften selbst versuchten, die aus ihrer Sicht dummen Finanzbehörden auszutricksen, genauso wurde versucht, die politischen Akteur*innen, die Gerichte, die Medien und die Öffentlichkeit bezüglich diverser Phänomene bei CumEx zu täuschen.

Es gab nachweislich mehrere Versuche Politiker*innen und Öffentlichkeit zu täuschen oder unter Druck zu setzen mit Schutzbehauptungen, Lügen und verqueren rechtlichen Argumentationen. Das wurde mit viel Geld unterstützt.

  • Anwält*innen und Rechtsprofessor*innen haben, beauftragt von den CumEx-Akteur*innen, viele Seiten juristische Argumentation aufgeschrieben, die in keinem einzigen Rechtsstreit Erfolg hatten.
  • Die Rolle von EY bei der früheren WestLB wirft diesbezüglich ebenfalls Fragen auf. Es scheint den für CumEx verantwortlichen Personen der Bank gelungen zu sein, das Gegenteil der Wahrheit rüberzubringen. So sagte der frühere NRW-Finanzminister Linssen im Untersuchungsausschuss mit Verweis auf die internen Untersuchungen, die WestLB habe keine CumEx-Geschäfte gemacht. Tatsächlich hatte der Aufsichtsrat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY mit einer Überprüfung beauftragt. Das Ergebnis wurde von den Verantwortlichen dann so interpretiert, dass es keine CumEx-Geschäfte gegeben habe. Ich warf den Vorständen des Portigon (Nachfolgeinstitut der WestLB) vor, die Öffentlichkeit zu täuschen und forderte die Offenlegung des Gutachtens. Heute ist sichtbar, dass ich Recht hatte: 2017 wurden von der Portigon Rückstellungen wegen CumEx gebildet, und es scheint, dass die WestLB sogar eine ganz große Akteurin bei CumEx war.
  • Ich wurde mehrfach von Banker*innen klar angelogen, die mir weißmachen wollten, dass die CumCum-Geschäfte eigentlich eine Folge der Finanzmarktregulierung seien, sodass man zu bestimmten Stichtagen bestimmte Wertpapiere tausche.
  • Die Jurist*innen der Deka-Bank (das ist eine Tochtergesellschaft der Sparkassen und eine Anstalt öffentlichen Rechts) behaupteten, sie wollten eigentlich nur CumCum machen, aber versehentlich seien die Aktien zu spät geliefert worden, sodass es CumEx wurde.
  • Die Vertreter*innen der Deutschen Bank erweckten im Ausschuss den Eindruck, an den CumEx-Geschäften kaum beteiligt gewesen zu sein. Inzwischen ist für die Bank klar, dass das so nicht stimmt. Es dürfte aber auch für die einzelnen Zeug*innen nicht der Wahrheit entsprochen haben.
  • Der Versuch, unter Vorspiegelung falscher Tatsachen sich in die Fraktionen von Grünen und Linkspartei einzuschleichen, muss in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden.

3) Die Aufklärung war deshalb erfolgreich, weil sie sich auf die behördlichen Abläufe und politischen Entscheidungen konzentriert hat und sich nicht auf das Verwirrspiel der CumEx-Jurist*innen eingelassen hat.

Der Untersuchungsausschuss war dort erfolgreich, wo er sich auf die behördlichen Abläufe und politischen Entscheidungen konzentriert hat und sich nicht auf das Verwirrspiel der Jurist*innen eingelassen hat.

CumEx wie CumCum sind für Laien schwer verständlich. CumEx und CumCum sind Fälle von Dividendenstripping, das heißt, dem Wertpapierhandel um den Ausschüttungstag der Dividende. Dieses unterliegt wie ein Virus ständigen Mutationen. Es gibt nicht das eine CumEx, sondern verschiedene Ausprägungen, weil sich die Akteur*innen ständig an die sich ändernden Rechtslagen in den beteiligten Ländern anpassen. Es gibt nicht das eine CumCum, sondern sehr verschiedene Gestaltungen. Wer sich nicht ständig mit der Börse und mit Steuerrecht beschäftigt, kann da leicht den Überblick verlieren. Genau das machten sich die CumEx-Akteur*innn zunutze.

Immer wieder wurde mit einer Gesetzeslücke argumentiert, sodass diese Geschäfte, da nicht explizit verboten, legal seien. Diese Lücke gab es aber nie. Die Rechtslage, dass man auf Kapitalerträge Steuern zahlen muss und sich nur etwas erstatten lassen kann, was auch tatsächlich gezahlt wurde, war immer gleich. Genauso wie es nicht legal ist, Arbeitgeber*innen ein Bahnticket von einer privaten Fahrt als Dienstreisebeleg zur Erstattung vorzulegen, ist es illegal, sich Steuern erstatten zu lassen, die nie gezahlt wurden. Es mag aber Arbeitgeber*innen geben, die sich mangels guter Verfahren bei Dienstreiseabrechnungen austricksen lassen. So eine Möglichkeit zu tricksen, gab und gibt es durch bestimmte Schwächen des Besteuerungsverfahrens bei Kapitalerträgen beim Staat. Das ist sehr ärgerlich. Sie zu nutzen ist trotzdem kriminell.

Es war vor dem Hintergrund dieser Komplexitäten wichtig, dass der Ausschuss sich auf die politischen und administrativen Fehler konzentrierte und die Aufarbeitung der Geschäfte selbst wie auch die juristische Einschätzung Expert*innen von außerhalb überließ. Ein Gutachten von Prof. Christoph Spengel über die Art der Geschäfte und zur rechtlichen Lage im Auftrag des Untersuchungsausschusses war da sehr hilfreich. Er quantifizierte auch für uns die Dimension der Geschäfte. Bei der rechtlichen Bewertung der CumEx-Geschäfte als kriminell waren sich alle Fraktionen im Bundestag dann auch einig. Insofern konnten wir uns da längere Auseinandersetzungen mit den CumEx-Jurist*innen sparen. Die Durchsicht vieler Unterlagen zu den einzelnen Fällen überließ der Untersuchungsausschuss dem Ermittlungsbeauftragten Herrn Kapischke, wenn auch an dieser Stelle mit begrenztem Erfolg.

Aber so konnte der Ausschuss erfolgreich die Fehler in den politischen Entscheidungsprozessen sowie im Aufsichtshandeln aufklären, darunter die Rolle des ehemaligen Finanzrichters Herrn Ramackers, der Finanzaufsicht BaFin, des Bundeszentralamts für Steuern und der beteiligten Minister*innen. Wichtig war auch, die große Bedeutung von Hinweisgeber*innen herauszuarbeiten.

Schlussbemerkung

Der Untersuchungsausschuss CumEx des Deutschen Bundestags konnte nicht genauer die Landesebene und deren Verwaltungshandeln bei CumEx beleuchten. Wir haben nur die Rolle von drei ehemaligen Landesminister*innen bei den jeweiligen Landesbanken zu klären versucht. Es bleiben aber Fragen auf Landesebene offen, weshalb der Hamburger Untersuchungsausschuss extrem wichtig ist und eigentlich weitere Aufklärungsarbeit auch in anderen Bundesländern nötig wäre:

 

  • Warum sind die Staatsanwaltschaften nicht oder nicht früher aktiv geworden? Warum dauerte es in NRW so lange, eine angemessene Personalausstattung für diesen wichtigen Kriminalitätskomplex durchzusetzen?
  • Warum fehlt es in anderen Bundesländern noch heute an einer angemessenen Ausstattung der Justiz in diesem Bereich, etwa in Hessen, zumal es doch um extrem viel Geld geht?
  • Warum begannen die Finanzbehörden erst so spät mit Rückforderungen, weswegen Verjährungen drohen? Wie kann es sein, dass Landesbanken kriminelle Geschäfte zu Lasten der Steuerzahler*innen machen, obwohl sie doch im öffentlichen Eigentum sind und Minister*innen in ihren Aufsichtsräten sitzen?
  • Nimmt die Politik Einfluss auf Steuerbescheide und wenn ja, wie häufig, in welchem Ausmaß und mit welchem Ziel? Was kann getan werden, damit nicht finanzielle Interessen und Parteispenden hier handlungsleitend sind, sondern das Gemeinwohl (etwa durch Einführung eines Vier-Augen-Prinzips, bestimmte Dokumentations­pflichten, routinemäßige Rechnungshof-Kontrollen bei Einbeziehung von Minister*innen etc.)?

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