Bericht zur Finanzlobby: Im Auftrag des Geldes

Tausend Tode eines Jahrhundertprojekts

Wie die Finanzlobby die Finanztransaktionssteuer bekämpfte

09.12.2022

Nach der Finanzkrise 2008 schien die Zeit reif für eine Steuer auf Finanztransaktionen. Spekulation eindämmen, die Banken an den Kosten der Krise beteiligen, Geld in geschröpfte Staatskassen spülen – all das hätte sie leisten können. Entsprechend groß war die Unterstützung für die sogenannte Robin-Hood-Steuer in Öffentlichkeit und Politik. Doch mit einer massiven Kampagne gelang es der Finanzlobby, die Steuer erst zu verzögern und zu verwässern und sie schließlich ganz im Sande verlaufen zu lassen.

Der Finanzsektor genießt in Deutschland und anderswo ein seltenes Privileg: Er zahlt keine Umsatzsteuer. Für jeden noch so kleinen Konsumartikel zahlen Bürger*innen Mehrwertsteuer. Aber Wertpapiere und Derivate werden im Wert von Billionen gehandelt, ohne dass Steuern erhoben werden. Die Finanzbranche profitiert so von milliardenschweren Steuervorteilen.

Die Finanztransaktionssteuer (Financial Transaction Tax, FTT) sollte das ändern. Gleichzeitig sollte sie den Handel von Wertpapieren im Millisekundentakt unattraktiv und so die Kapitalmärkte stabiler machen. Die Idee: Jeder Kauf und Verkauf eines Finanzprodukts sollte mit einer kleinen Steuer belegt werden – je nach Produkt in Höhe von 0,01 bis 0,1 Prozent. So zumindest sah es der Vorschlag vor, den die Europäische Kommission für eine EU-weite FTT 2011 veröffentlichte. 2014 sollte sie eingeführt werden und 57 Milliarden Euro jährlich einbringen. Eine „Frage der Fairness“ nannte das der damalige Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Denn: „Es ist Zeit, dass der Finanzsektor der Gesellschaft einen Beitrag zurückgibt“, so Barroso.

Doch es kam anders.

Aufmarsch der Lobby

Die Finanzlobby hatte die FTT lange nicht ganz ernst genommen. Und anders als vor der Finanzkrise 2008 war sie während der Vorbereitung des Vorschlags mit ihrem Widerstand bei der EU-Kommission auf taube Ohren gestoßen. Es sei „eine sehr harte Zeit“ gewesen, um in der Politik Gehör zu finden, sagte ein Finanzlobbyist später. Die Expertise seiner Branche war der Politik nach dem großen Crash 2008 anscheinend erst einmal suspekt. Ihr schlechter Ruf führte auch dazu, dass die Finanzlobby bis zum Kommissions-Vorschlag von 2011 weitgehend auf eine öffentliche Kampagne gegen die FTT verzichtete: „Für den Bankensektor ist es sehr schwierig, sich gegen eine Finanztransaktionssteuer auszusprechen, wenn die Banken von staatlichen Rettungsmaßnahmen profitieren“, beschrieb ein Finanzlobbyist das Dilemma.

„Finanzorganisationen […] lehnen grundsätzlich jede zusätzliche steuerliche Belastung des Finanzsektors oder der Finanzmärkte im Allgemeinen ab.“

Im Kampf gegen die FTT mussten die Banken also Verbündete finden, die in der Finanzkrise weniger in Verruf geraten waren. Im März 2012 berichtete Der Spiegel, dass es ihnen gelungen war, die Lobbyist*innen der „eher unverdächtigen“ Fondsbranche für den „Aufmarsch“ zu gewinnen. Der Bundesverband Investment und Asset Management (BVI) hatte kurz zuvor erschreckende Zahlen veröffentlicht. Sie sollten zeigen, dass die FTT vor allem diejenigen treffen würde, die weder Verursacher*innen der Finanzkrise waren, noch staatliche Krisen-Unterstützung bekommen hatten: Unternehmen der Realwirtschaft, Investor*innen mit Sitz in Deutschland und Bürger*innen, die privat fürs Alter vorsorgen. Sparer*innen, die ihr Geld in Riester-Fonds zur Altersvorsorge einzahlen, würden mit Steuern von bis zu 14.000 Euro belastet, so der Lobby-Verband. Dabei zeigten Berechnungen von Wissenschaftler*innen schon damals, dass Fondsgebühren und Bankprovisionen die Anleger*innen um ein Vielfaches mehr kosteten als die vorgeschlagene Steuer.

Schützenhilfe von Realwirtschaft und Zentralbanker*innen

Das Deutsche Aktieninstitut (DAI), bis heute eine der lautesten Stimmen gegen eine FTT in Deutschland, schlug in die gleiche Kerbe. „Quer durch die Volkswirtschaft werden Bürger und Unternehmen von dieser Steuer betroffen sein“, behauptete die Leiterin des Instituts im November 2013. Die FTT würde die größten Industrieunternehmen mit Mehrkosten von jährlich bis zu 1,5 Milliarden Euro belasten. Davon entfielen angeblich 45 Millionen Euro auf den Chemie- und Pharmakonzern Bayer und ganze 100 Millionen Euro auf Siemens. Vertreter*innen beider Konzerne sprachen sich daher auch gegen die FTT aus. Im November 2013 warnten vor einer Anhörung zur FTT im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages ganze acht Wirtschaftsverbände, die Steuer hätte „schädliche Folgen für Unternehmen, Beschäftige und die Wirtschaft insgesamt“. Die gesamtgesellschaftlichen Vorteile der FTT durch mehr Steuereinnahmen und ein krisenfesteres Finanzsystem wurden geflissentlich verschwiegen.

Dass es der Finanzindustrie gelang, Unternehmen und Verbände der Realwirtschaft für ihre Kampagne gegen die FTT zu gewinnen, trug wesentlich zu ihrem Erfolg bei. Ein Finanz-Lobbyist erläuterte die Strategie so: „Der bessere Weg für den Finanzsektor, dieses Thema anzugehen, ist, andere Parteien ins Boot zu holen. Wenn sich die Deutsche Bank über etwas beschwert, denken die Leute, dass es etwas Gutes sein muss, aber wenn Siemens sagt, dass es schädlich für seine Kund*innen ist, dann hat man ein starkes Argument.“

„Nach der Krise gab es eine breite Unterstützung für eine Finanztransaktionssteuer in Europa. Aber die Finanzindustrie hat erfolgreich lobbyiert, um die Vorschläge zu verwässern und zu verzögern.“

Lisa Kastner, Politologin

Auch Zentralbanker*innen ließen sich vor den Lobby-Karren der Finanzindustrie spannen. In einem Papier an ausgewählte Politiker*innen behauptete die Investmentbank Goldman Sachs, eine FTT würde sich negativ auf die Geschäfte von Zentralbanken und insbesondere die Bereitstellung von Liquidität auswirken. Mehrere europäische und internationale Finanzlobby-Gruppen schrieben entsprechende Briefe an Zentralbanker*innen in ganz Europa. Kurz darauf positionierten sich hochrangige Notenbanker*innen gegen die FTT, darunter der damalige Bundesbankchef Jens Weidmann. Die Botschaft kam an: Die EU-Mitgliedstaaten, die zu diesem Zeitpunkt aktiv über eine FTT verhandelten, nahmen weitere Geschäfte aus dem Anwendungsbereich der Steuer heraus.

Zweifel sähen, Politik verunsichern

Zu diesem Zeitpunkt war das Projekt einer EU-weiten FTT bereits gestorben. Großbritannien, Luxemburg und andere EU-Mitgliedstaaten hatten ihr Veto gegen den ersten Vorschlag der EUKommission eingelegt. Aber die öffentliche Unterstützung für die Steuer war ungebrochen. 64 Prozent der EU-Bevölkerung befürworteten laut einer Umfrage das Projekt, tausend Ökonom*innen, viele Organisationen der Zivilgesellschaft und das Europaparlament ebenfalls. 2012 sprachen sich sogar 50 Promi-Banker*innen öffentlich für die Steuer aus: „Finanztransaktionssteuern […] bieten eine echte Chance, dem Finanzsektor wieder zu seiner eigentlichen Rolle zu verhelfen und gleichzeitig enorme Einnahmen für Menschen in Not […] zu erzielen“, schrieben sie. Gleichzeitig entkräfteten sie in ihrem Brief diverse Schein-Argumente der FTT-Gegner*innen, darunter die Behauptung, die Steuer schade dem Wirtschaftswachstum und der Liquidität. Es gebe immer mehr Anzeichen dafür, dass die FTT das Funktionieren der Märkte verbessern und sich durch Mehreinnahmen und weniger Volatilität positiv auf das Wachstum auswirken würde, so die Banker*innen.

Trotzdem begannen nur noch elf EU-Mitgliedsländer, darunter Deutschland und Frankreich, im Februar 2013 Verhandlungen über die Steuer im Rahmen der so genannten „verstärkten Zusammenarbeit“ der EU. Die Finanzlobby war perfekt vorbereitet. Im Akkord brachten Banken, Verbände und Unternehmensberatungen Studien über die vermeintlich negativen Auswirkungen der FTT heraus. „Zeitweise kam wöchentlich eine neue Studie heraus, wonach die Steuer angeblich den einfachen Sparern schade“, erinnert sich der damalige Europaabgeordnete Sven Giegold (Grüne). Parallel suchten die Lobbyist*innen immer wieder das persönliche Gespräch. Bundestagsabgeordnete berichteten von etlichen Besuchen der Finanzlobby.

„Die Finanzlobby bombardierte […] die Öffentlichkeit mit wilden Behauptungen über die verheerenden Wirkungen der Steuer. Die waren zwar weder neu noch empirisch fundiert, aber ihre schiere Zahl hatte die Wirkung eines Flächenbombardements.“

Ökonomen wie Stephan Schulmeister vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO bemühten sich, die gravierenden methodischen Fehler hinter den Horrorszenarien der Industrie offenzulegen. Immer wieder wurden die Einwände gegen die FTT widerlegt. Aber um die Qualität der Argumente ging es nicht. Die schiere Masse der Gutachten sollte die Politik verunsichern. Und das gelang. Der FTT-Vorschlag wurde während der Verhandlungen zunehmend verwässert. Im Mai 2014 erklärte der damalige Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), die Situation sei so verfahren, dass die Verhandler*innen mit der Einführung einer begrenzten Steuer auf Aktien und einige Derivate beginnen sollten – also auf nur einen Bruchteil der Finanzprodukte am Markt. „Die Lobbystrategie der Finanzbranche […] hatte sich offensichtlich ausgezahlt“, so das Urteil der Politologin Lisa Kastner, die zur Auseinandersetzung um die FTT geforscht hat.

Der Anfang vom Ende

Das vorläufige Ende der FTT kam dann Ende 2018. Gemeinsam mit seinem französischen Kollegen schlug der damalige Finanzminister Olaf Scholz (SPD) eine Aktiensteuer vor. Alle anderen Finanzinstrumente – mehr als 90 Prozent aller Transaktionen und ausgerechnet der spekulative Handel mit Derivaten – sollten steuerfrei bleiben. Die FTT als zentrales Instrument zur Zähmung der Finanzmärkte würde so in ihr Gegenteil verkehrt. Denn es würden eher private Sparer*innen und nicht der Finanzsektor zahlen – und der Gewinn für die Stabilität des Finanzsystems wäre dahin. Viele Befürworter*innen der FTT wandten sich daher explizit gegen den Plan von Olaf Scholz. Der Journalist Harald Schumann nannte ihn einen „Etikettenschwindel“ und fragte fast verzweifelt: „Warum sabotieren die EU-Regierungen ein Vorhaben, das zwei Drittel der Bürger und die große Mehrheit des EU-Parlaments immer unterstützt haben?“

Die Finanzlobby wetterte trotzdem weiter. „Die Finanztransaktionssteuer muss endlich beerdigt werden“, forderte das Deutsche Aktieninstitut in zig Papieren und Presse-Interviews. Und der damalige Präsident des Bankenverbands zeichnete 2021 ein besonders düsteres Szenario von Regulierungen wie dem „Schreckgespenst“ FTT: „Jeder, der die Banken in einem schwierigen Marktumfeld zusätzlich belastet, muss sich im Klaren sein, welche Folgen das hat. Wenn wir nicht aufpassen, gibt es in fünf Jahren keine europäische Bank mehr mit internationaler Bedeutung“, so Hans-Walter Peters im Handelsblatt.

„Die Transaktionssteuer zeigt wie kaum ein anderes politisches Vorhaben, wie groß der Einfluss der Finanzindustrie ist.“

Carla Neuhaus, Journalistin

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP von 2021 tauchte die FTT gar nicht mehr auf. Die Zeitung Die Welt berichtete, dass Finanzminister Christian Lindner (FDP) der Gruppe der EU-Staaten, die eine FTT weiter unterstützten, „sanft“ den Rücken kehren wolle. Zehn Jahre nach dem ersten Vorschlag der Europäischen Kommission war die Finanzlobby am Ziel.

Hinweis: Dieser Text ist ein Auszug aus der Studie "Im Auftrag des Geldes" von Finanzwende Recherche. Die vollständige Studie inkl. aller Links und weiterer Quellenangaben finden Sie hier:

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