Acht Prozent – wir hatten einen Deal!

Christian M. Stiefmüller

18.09.2023
Die Acht-Prozent-Regel der EU soll dafür sorgen, dass Staaten und Steuerzahler*innen im Falle einer Bankenschieflage weniger haften müssen. Sie verlangt von den Aktionär*innen der Banken, dass sie für Verluste mit bis zu acht Prozent der Bilanzsumme aufkommen. Diese Regel steht für das Versprechen, dass die Steuerzahler*innen nie wieder für die riskanten Geschäfte der Banken würden zahlen müssen. Nun ist sie in Gefahr.

  • Der neueste Vorschlag der Europäischen Kommission zum Rahmenwerk für Krisenmanagement und Einlagensicherung für Banken (CMDI) nimmt die Aktionär*innen aus der Verantwortung bei Schieflage für einen Teil der Verluste aufzukommen.
  • Demnach sollen die Mitgliedsstaaten auf ihre nationalen Einlagensicherungsfonds zurückgreifen dürfen. Diese waren eigentlich dazu gedacht, Bankkund*innen im Falle einer Insolvenz vor dem Verlust ihres eingezahlten Geldes zu schützen.
  • Das Festhalten an der Acht-Prozent-Regel ist notwendig, denn dabei geht es um die Frage, wer die Kosten der nächsten Bankenkrise tragen wird.

Anmerkung: Dieser Text ist im Original in englischer Sprache erschienen.

Erinnern Sie sich noch an die Finanzkrise?

Vor 15 Jahren wurden die Steuerzahler*innen der EU aufgefordert, einen Blankoscheck auszustellen. Und zwar, um den Finanzsektor und insbesondere einige der größten europäischen Banken zu stützen, als diese nach jahrzehntelanger Deregulierung und ungehemmter Risikobereitschaft in Schwierigkeiten gerieten. Am Ende standen auf diesem Scheck rund eine Billion (1.000 Milliarden!) Euro. Die reichten gerade so aus, um die direkten Kosten zu decken – von den weiteren Kosten der nachfolgenden Schuldenkrise in der Eurozone ganz zu schweigen. Es folgte ein verlorenes Jahrzehnt mit niedrigem Wachstum, Nullzinsen und aufgeblähten Zentralbankbilanzen, das die politische und wirtschaftliche Stabilität des Kontinents dauerhaft verändert haben dürfte.

Was war schiefgelaufen?

Es stellte sich heraus, dass es den Banken in Europa und anderswo erlaubt war, mit einer Eigenkapitalausstattung zu arbeiten, die bei weitem nicht ausreichte, um die während der Krise erlittenen Verluste aufzufangen. Vor allem die größten Banken waren gerne bereit, Risiken einzugehen. Mit der Gewissheit, dass sie als „too big to fail“ (deutsch „zu groß um zu scheitern“) galten, konnten sie sich sicher sein, dass der Staat – also die Steuerzahler*innen – sie im Falle einer drohenden Pleite retten würden.

Was wurde getan?

Nach der Finanzkrise war für die Gesetzgebenden der EU eins klar: Sie mussten einen Schlussstrich ziehen, um die Steuerzahler*innen davor zu bewahren, auch zukünftig für derartige Verluste einstehen zu müssen. Sie verabschiedeten neue Vorschriften, unter anderem in Form der Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (BRRD). Diese besagt, dass im Falle einer Bankenschieflage nun die Eigentümer*innen, also die Aktionär*innen und andere Investor*innen, für Verluste der Bank mit bis zu acht Prozent der Bilanzsumme würden aufkommen müssen.[1] Aufgrund von Präzedenzfällen aus mehreren Bankenkrisen, darunter Lehman Brothers, gingen die Regulierungsbehörden davon aus, dass dieser Betrag ausreichen würde, um die Verluste einer Bank in den meisten Fällen abzudecken. Banken sollten damit lange genug über Wasser gehalten werden, damit sie wieder flott gemacht oder an ein anderes, stabileres Institut verkauft werden konnten.

Was ist seither passiert?

Es überrascht nicht, dass die Bankenlobby die Acht-Prozent-Regel seit ihrem Inkrafttreten angegriffen hat und das mit einigem Erfolg: 2016 beschloss die Kommission, nach einem öffentlichen Streit mit der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA), dass nicht alle größeren Banken grundsätzlich auch die Acht-Prozent-Regel erfüllen müssen. Stattdessen wurde es den EU-Behörden, insbesondere dem Einheitlichen Abwicklungsausschuss (SRB), und den Mitgliedstaaten überlassen, jeweils von Fall zu Fall zu entscheiden, ob eine Bank unter die Acht-Prozent-Regel fällt und wie sie diese umzusetzen hat. Der von der Kommission im April 2023 vorgelegte Gesetzesvorschlag zur Verbesserung des Rahmens für Krisenmanagement und Einlagensicherung (CMDI) ist der jüngste Versuch, die Acht-Prozent-Regel weiter auszuhöhlen und damit bedeutungslos zu machen. Nach diesem Vorschlag wäre es den Mitgliedstaaten gestattet, auf ihre jeweiligen nationalen Einlagensicherungsfonds zurückzugreifen, um jede Lücke zwischen den von den Anleger*innen der Bank zur Verfügung gestellten Mitteln und der Acht-Prozent-Schwelle zu schließen. Über diese Lücke hinaus könnten dann Steuergelder in Anspruch genommen werden. Mit anderen Worten: Da der Beitrag des Fonds auf die Acht-Prozent-Anforderung angerechnet werden würde, müssten sich die Banken nicht mehr an die Acht-Prozent-Regel halten.

Was würde es bedeuten, die Acht-Prozent-Regel aufzugeben?

Der Einlagensicherungsfonds war ursprünglich für einen anderen Zweck bestimmt – nämlich dafür, die Einleger*innen bei einer Insolvenz ihrer Bank vor dem Verlust ihres Geldes zu schützen. Die Abschaffung der Acht-Prozent-Regel würde den ursprünglichen Zweck des Einlagensicherungsfonds auf fatale Weise untergraben. Bankkund*innen und Staaten müssten dann wieder mit größerer Wahrscheinlichkeit für Verlust der Banken einstehen und die Banken wären erneut dazu verleitet, mehr Risiken einzugehen, als sie tragen können. Das Beharren auf der Beibehaltung der Acht-Prozent-Regel ist keine Symbolpolitik – es geht vielmehr um die Frage, wer die Kosten der nächsten Bankenkrise trägt. Vor 15 Jahren versprach die Politik, dass die Steuerzahler*innen nie wieder für die Fehler von Banken aufkommen müssten. Die Acht-Prozent-Regel ist die Verkörperung dieses Versprechens. Sie darf nicht stillschweigend aufgegeben werden.

Anmerkungen

[1] Dazu muss die Bank in entsprechender Höhe Eigenkapital und sog. berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (eligible liabilities) vorhalten.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autor*innen geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.

Christian M. Stiefmueller

Christian M. Stiefmüller

Christian Stiefmüller berät die NGO Finance Watch in Fragen des Banken- und Wertpapieraufsichtrechts sowie zur Digitalisierung. Er vertritt Finance Watch in den Stakeholder-Gruppen der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). Zuvor war er als Investmentbanker bei mehreren internationalen Großbanken in leitenden Funktionen tätig.

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