Corona-Krise: Überschuldung und die Frage der Verantwortung

Sally Peters, Hanne Roggemann

24.03.2021

Was ist Überschuldung und wer übernimmt die Verantwortung? Allgemeinhin werden Menschen mit finanziellen Problemen selbst für Zahlungsverzüge verantwortlich gemacht. Mit den Covid-19 Maßnahmen wird die Kreditnehmerin erstmalig aus der alleinigen Verantwortung entlassen.

  • Überschuldung ist ein Prozess der Verarmung. Verschuldung ist demgegenüber ein notwendiges Element einer Marktgesellschaft zur Steigerung der eigenen Produktivität.
  • Überschuldung wird in der Gesellschaft stigmatisiert, indem die Schuld für die Überschuldungssituation oft allein dem Überschuldeten zugeschoben wird.
  • Die Maßnahmen des pandemiebedingten Zahlungsmoratoriums stellen ein Novum dar, indem sie Kreditnehmerinnen aus der alleinigen Verantwortung entließen.

Verschuldung bedingt nicht unmittelbar Überschuldung

In einer Kapitalgesellschaft ist Verschuldung notwendig und erwünscht. Finanzdienstleistungen dienen dazu, erforderliche Liquidität der Menschen mit dem Einkommen in Einklang zu bringen. Verschuldung ist dann produktiv, wenn aus ihr ein Mehrwert, im Sinne eines zusätzlichen Nutzen entsteht, der über die Kapitalkosten hinausgeht. Dieser kann auch hervorgebracht werden, wenn eine Verschuldung eingegangen wird, um durch diesen Nachsparprozess frühzeitig Konsummöglichkeiten wie für einen PKW oder ein Haus zu nutzen. Durch diesen Nachsparprozess kann das Lebenseinkommen gleichmäßiger verteilt werden und so Liqiuiditätsengpässe überwunden werden. Insofern ist Verschuldung in ihrem Zweck produktiv für die Verbraucherinnen und für die Gesellschaft.

Überschuldung kann die Folge einer unproduktiven Kreditbeziehung sein und liegt dann vor, wenn der Schuldner auf Dauer nicht mehr in der Lage sein wird, die fälligen Forderungen mit seinem Vermögen oder zu erwartendem Einkommen zu begleichen. Insofern ist die Liquidität der Schuldnerin für eine etwaige Überschuldungssituation ausschlaggebend. Neben den laufenden Forderungen und anderen Ausgaben spielt bei der Überschuldung vor allem die Einkommenssituation eine Rolle. Wer die einheitlichen Raten eines Ratenkredits über 84 Monate mit der Einkommensstetigkeit einer alleinerziehenden Mutter über 7 Jahre vergleicht, weiß, wovon wir sprechen.

Unverschuldete Krisen sind meist Auslöser für private Überschuldung

Die gesellschaftliche Debatte zur Überschuldung nimmt bisweilen die Position ein, dass die Überschuldeten allein die Verantwortung für die Risiken, die mit einer Kreditaufnahme einhergehen, tragen und so auch „Schuld“ an etwaige Rückzahlungsschwierigkeiten haben. Die Schuld der Verschuldeten liegt in dieser Logik in der unverantwortlichen Kreditaufnahme oder Kreditverwendung. Mittels dieses Narrativs werden so auch „Strafen“ in der Gestalt von zusätzlichen Kosten bei Zahlungsverzug gerechtfertigt.

Der jährlich erscheinende iff-Überschuldungsreport liefert hierzu jedoch Belege, die in der gesellschaftlichen Debatte berücksichtigt werden sollten (Peters and Größ, 2020). Die Ergebnisse des Reports 2020 zeigen, dass in 42 Prozent der Fälle unvorhersehbare, unverschuldete externe Ereignisse für die Überschuldungssituation verantwortlich sind, wie eine Krankheit oder Scheidung. Überschuldungsursachen, die als vermeidbar eingeordnet werden, werden in 18 Prozent der Fälle als Überschuldungsursache genannt. Hierunter fallen Dinge, wie Konsumverhalten, fehlende finanzielle Bildung oder Straffälligkeit.

Die Ergebnisse zeigen also, dass selten eine Fehleinschätzung der Risiken einer Kreditaufnahme oder eine „Fehlnutzung“ der bereitgestellten Liquidität zu einer Überschuldungssituation führt. Vielmehr sind hierfür meist unverschuldete individuelle Krisen verantwortlich, die die eigene Einkommenssituation in einem Maße belasten, dass bestehende Forderungen nicht mehr bedient werden können. Insofern liegt die Überschuldung bei beispielsweise Bankkrediten auch darin begründet, dass kaum flexible Konditionenanpassungen zum Zeitpunkt von Liquiditätsengpässen möglich sind. Es wird nur auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses geschaut, aber was ist, wenn sich die Einnahmen und Ausgaben ändern? Nur wenige Banken bieten bisher an, den Vertrag flexibel anpassen zu können.

Covid-19 Krise verschärft die Überschuldungssituation in Deutschland

Auch bei der Covid-19 Krise handelt es sich um solch ein unvorhersehbares Ereignis, welches sich maßgeblich auf die Einkommenssituation vieler Verbraucherinnen auswirkt. Es wird zwar immer wieder auf die gesunkenen Insolvenzen verwiesen, aber das hat bei Verbraucherinnen unter anderem damit zu tun, dass sie auf die jüngst verkündete Verkürzung des Insolvenzverfahrens gewartet haben.

In unserer Studie für die Friedrich-Ebert-Stiftung wurde deutlich, dass die Covid-19-Pandemie erheblich zur Erhöhung der privaten Überschuldung und zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit führen wird (Korczak et al., 2021). Eine finanzielle Überforderung vieler Menschen war bereits nach der sogenannten ersten Covid-19 Welle nachweisbar und die Situation wird sich in Zukunft voraussichtlich für eine erhebliche Anzahl an Menschen verschärfen.

Zahlungsmoratorium als Instrument zur Vermeidung von Überschuldung

Das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ stellt in der Debatte über die Verantwortung von Überschuldungssituationen einen Meilenstein dar, da mit dem Gesetz Kreditnehmer erstmalig für kurze Zeit aus der alleinigen Verantwortung für Zahlungsschwierigkeiten entlassen wurden. Soziale Dauerschuldverhältnisse, die den Verbraucherinnen einen elementaren Bestandteil ihrer Lebensführung gewähren, wurden erstmals in ihrer gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Stellung anerkannt. Finanzschwache Schuldner erhielten zum ersten Mal auch im Zivilrecht einen besonderen Schutz, indem der Grundsatz „Geld hat man zu haben“ durchbrochen wurde (Klinger, 2016).

Erstmals wurden Verbraucherinnen sowie Kleinstunternehmen, die pandemiebedingte Einkommenseinbußen erlitten haben, und aus diesem Grund ihre Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen konnten, finanziell entlastet. So ermöglichte das Gesetz die Stundung von Kredit, – Miet- oder sonstigen Forderungen aus Gründen pandemiebedingter finanzieller Einbußen, ohne sich deshalb einer Kündigung bzw. zusätzlicher Kosten ausgesetzt zu sehen. Insofern werden bei durch Covid-19 bedingten Zahlungsverlust durch den Gesetzgeber nun auch die Anbieter zur Verantwortung gezogen.

Zwar boten die skizzierten Maßnahmen erste Erleichterungen, die Folgen der Krise werden aber einige Verbraucherinnen erst verzögert treffen, so dass eine Verlängerung dieses Zahlungsmoratoriums für die aufgelaufenen Schulden wünschenswert als auch notwendig gewesen wäre. Zudem bedeutete die Verschiebung von Zahlungen noch keine Entlastung von verschuldeten Personen, deren Einkommen pandemiebedingt ganz oder teilweise wegfiel und wegfällt.

Die vom Gesetzgeber zumindest zwischenzeitlich eingenommene Perspektive auf die Covid-19-Pandemie sollte insofern auch auf andere unverschuldete Krisen angewandt werden. Mit einer solchen Regelung stünde Deutschland auch nicht allein, so findet sich beispielsweise eine vergleichbare Regelung für „force majeur“ im französischen Zivilgesetzbuch (Wilhelmsson, 1992; Nogler and Reifner, 2010, s. 60ff). Diese „höhere Gewalt“ liegt dann vor, wenn ein schadenverursachendes Ereignis von außen einwirkt und nicht auf die mangelde Sorgfalt zurückzuführen ist. Es wäre aus unserer Sicht eine sinnvolle Weiterentwicklung, wenn dieser Grundgedanke auch in Deutschland stärker zur Anwendung käme.

 

Literaturverzeichnis

Klinger, Helena (2016): Ethik und Recht im Kreditgeschäft, Baden-Baden.

Korczak, Dieter, Peters, Sally und Roggemann, Hanne (2021): Private Überschuldung in Deutschland. Auswirkungen der Corona-Pandemie und die zukunft der Schuldnerberatung.

Nogler, Luca und Reifner, Udo (2010): Der menschliche Makel – Principles of European Contract Law zwischen Merkantil- und Dienstleistungsgesellschaft, in: Dieterich, Thomas (Hrsg.): Individuelle und kollektive Freiheit im Arbeitsrecht. Gedächtnisschrift für Ulrich Zachert, Baden-Baden, S. 60–77.

Peters, Sally und Größl, Ingrid (2020): iff-Überschuldungsreport 2020. Überschuldung in Deutschland.

Wilhelmsson, Thomas (1992): Unemployment, Debt and the Legal Principle of ‚Social Force Majeure‘ in Finland, in: Reifner, Udo/Ford, Janet (Hrsg.): Banking for people. Social banking and new poverty, consumer debts and unemployment in Europe – national reports, Berlin, S. 411–422.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autor*innen geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.

 

Sally Peters

Dr. Sally Peters ist Geschäftsführende Direktorin des institut für Finanzdienstleistungen e.V.

Hanne Roggemann

Dr. Hanne Roggemann ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Finanzdienstleistungen e.V.

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