Ein stabiles Geldsystem erfordert Vertrauen, besonders in die zuständigen Entscheidungsgremien. Daher wurden die Ethik-Regeln der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) kürzlich verschärft, nachdem private Wertpapiergeschäfte ihres Führungspersonals zu öffentlicher Kritik geführt hatten. Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) gelten indes deutlich weichere Anlagerichtlinien, wodurch ihre Glaubwürdigkeit Schaden nehmen könnte.
- Damit das Vertrauen in eine Währung nicht gefährdet wird, sollte selbst der bloße Anschein von persönlichen Insidervorteilen und interessengeleiteten geldpolitischen Entscheidungen der Führungskräfte vermieden werden.
- Durch die vergleichsweise weicheren Anlagerichtlinien für EZB-Ratsmitglieder wäre es denkbar, dass kritikwürdige Wertpapiertransaktionen – ähnlich jenen der Fed-Governors – gar nicht erst öffentlich würden.
- Um das erforderliche Vertrauen in die Euro-Währung nicht aufs Spiel zu setzen, sollten die Verhaltensregeln für das EZB-Führungspersonal daher dringend überarbeitet werden.
Warum ist das Vertrauen in eine Währung so relevant?
Als Geld wird gemeinhin alles betrachtet, was Geldfunktionen erfüllt: als Tauschmittel, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel. Historisch betrachtet konnten das neben Scheinen und Münzen beispielsweise auch Muscheln, Tierfelle oder Zigaretten sein – allerdings nur, sofern die Menschen Vertrauen in das jeweilige „Geld“ und seine Preis- beziehungsweise Wertstabilität (Kaufkraft) hatten. Denn Geld ist ein sogenanntes Vertrauensgut, dessen Wertstabilität vom Vertrauen in die geldausgebende Zentralbank abhängt. Darüber hinaus haben unsere Kontoguthaben (Kreditgeld) und unser Bargeld keinen inneren Eigenwert, anders als beispielsweise Gold.
Das Vertrauen in ihre Währung sicherzustellen, ist für Zentralbanken daher die notwendige Voraussetzung zur Verfolgung ihrer Hauptaufgabe, nämlich für Preisstabilität zu sorgen. Um dieses Vertrauen schaffen zu können, sollen Zentralbanken wie die EZB durch ihre institutionelle Unabhängigkeit vor politischer Einflussnahme geschützt werden (siehe Art. 130 u. 282 Abs. 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union). Aufgrund der dadurch entfallenden demokratischen Steuerung und Kontrolle werden adäquate Vorgaben zur Transparenz und zum Verhalten des geldpolitischen Führungspersonals allerdings unverzichtbar. Denn nicht nur ein tatsächliches Fehlverhalten, sondern bereits die bloße Möglichkeit hierzu könnte das Vertrauen nachhaltig beschädigen.
Verdacht auf Insiderhandel bei US-Notenbank Fed
Durch journalistische Recherchen wurde im Herbst 2021 bekannt, dass einige Mitglieder der amerikanischen Fed, darunter ihr Präsident Jerome Powell und ihr damaliger Vizepräsident, Richard Clarida, fragwürdige private Wertpapiergeschäfte im Umfeld wichtiger geldpolitischer Entscheidungen während der Pandemie im Jahr 2020 vorgenommen hatten. Möglicherweise hätten dabei Informationsvorsprünge über das zukünftige Handeln der Fed genutzt werden können.
So verkaufte Fed-Präsident Powell am 1. Oktober 2020 Aktienfondsanteile im Wert von über einer Million US-Dollar. An diesem Tag stand er laut Sitzungsprotokoll viermal mit Finanzminister Steven Mnuchin in Kontakt, möglicherweise wegen der ablehnenden Haltung der US-Regierung zu einem neuen Konjunkturpaket. Zwar erfolgte Powells Verkauf erst nach einer geldpolitischen Sitzung der Fed Mitte September, jedoch noch bevor das Protokoll dieses Treffens am 7. Oktober veröffentlicht wurde. In jenem Protokoll wurden mehrere Abwärtsrisiken für die wirtschaftliche Erholung benannt – in der Folge fielen die US-Aktienmärkte, so etwa der Dow-Jones-Index um sechs Prozent im Oktober.
Kritik wurde ebenfalls am damaligen Fed-Vize Richard Clarida laut. Nur einen Tag bevor Powell marktstützende Fed-Interventionen öffentlich signalisierte, nahm Clarida am 27. Februar 2020 eine millionenschwere Umschichtung von Anleihefonds in Aktienfonds vor – nach eigenen Angaben eine langfristig geplante Portfolio-Restrukturierung. Allerdings wurde diese Darstellung zunehmend hinterfragt, nachdem Clarida seine Angaben nachträglich um die Information ergänzte, dass er am 24. Februar 2020 zunächst Anteile des gleichen Aktienfonds veräußert hatte, in den er drei Tage später wieder investierte – jeweils in gleicher Größenordnung. In den drei Tagen zwischen dem Ver- und Wiederankauf fielen die US-Wertpapierkurse, beispielsweise der S&P-500-Index um rund neun Prozent.
Einige Fed-Mitglieder handelten zudem eher spekulativ, indem sie Wertpapiere innerhalb eines Jahres an- und verkauften, teilweise nur unter knapper Einhaltung der vorgeschriebenen Mindesthaltedauer von 30 Tagen. Dabei hatte Medienberichten zufolge die Ethik-Abteilung der Fed im März 2020 in einer E-Mail führenden Mitarbeitenden empfohlen, aufgrund der umfangreichen Fed-Hilfsprogramme in den nächsten Monaten von Wertpapiergeschäften abzusehen.
Verschärfung der Anlagerichtlinien bei der US-Fed
Wenngleich Powell und Clarida laut einem internen Untersuchungsbericht nicht gegen die damals geltenden Anlagerichtlinien der Fed verstoßen hatten, wurden diese Regeln in der Folge erheblich restriktiver gefasst, um auch nur den Anschein von Interessenkonflikten zu verhindern.
Seither ist der Kauf von Einzeltiteln untersagt. Damit wird das Anlagespektrum auf Fonds und weitere, breit anlegende Anlageformen beschränkt. Zwecks Genehmigung müssen Transaktionen zukünftig 45 Tage im Voraus angekündigt werden und es ist eine einjährige Mindesthaltedauer zu erfüllen, um kurzfristiges spekulatives Handeln zu verhindern. In Zeiten erhöhter Finanzmarktanspannungen ist der Handel grundsätzlich nicht erlaubt.
Defizite bei Verhaltensregeln der EZB
Im Vergleich dazu weisen die Ethik-Regeln der EZB erhebliche Defizite auf. Anders als bei der Fed (oder auch bei der Deutschen Bundesbank) wird beim EZB-Führungspersonal auf eine grundsätzliche Mindesthaltedauer für Wertpapiere ebenso verzichtet, wie es auch keine Sperrfrist für den Handel direkt vor, an und nach einem Sitzungstag des EZB-Rates gibt, was das Ausnutzen von Insiderwissen verhindern könnte.
Außerdem umfassen die dem Ethikausschuss vorzulegenden und dann veröffentlichten Selbstangaben der Ratsmitglieder lediglich die Art der Investments (gegebenenfalls mit Wertpapierkennnummer), die zum Jahresende gehalten werden. Weitergehende Informationen wie Transaktionsdaten und Volumina bleiben verborgen, zumal auf dem einzureichenden Formblatt ganz explizit vermerkt ist: „Amount of money not needed“ (dt. „Geldbetrag nicht benötigt“, Quelle: ECB Governing Council – Declaration of Interests, Fußnote 7).
Demgegenüber werden für die Fed-Führungskräfte jährlich alle Vermögensanlagen mit ungefährem Anlagewert, den daraus zugeflossenen Einkommen (Zinsen, Dividenden) sowie alle unterjährig vorgenommenen Transaktionen wertmäßig und datumsgenau veröffentlicht. Erst durch diese verlaufsbezogenen Angaben konnten die problematischen Wertpapiergeschäfte bei der Fed überhaupt erkannt werden.
Bei der EZB würden solche Geschäfte hingegen nicht öffentlich auffallen. Da im Rahmen der Selbstauskünfte (Declarations of Interest) keine Transaktionen erfasst werden, würde bspw. ein kurzfristiger spekulativer An- und Verkauf eines Wertpapieres innerhalb eines Jahres gar nicht erst zutage treten.
Akuter Handlungsbedarf für die EZB
Das Vertrauen in eine Währung ist ein kostbares Gut, welches leicht beschädigt werden kann. Dessen ist sich auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde bewusst und hebt die ethischen Standards als „Grundlage für das Vertrauen der Menschen in uns und letztlich auch für die Glaubwürdigkeit der EZB“ hervor. Allerdings werden die Verhaltensregeln der EZB, selbst nach deren Anpassung im Jahr 2021, diesem Anspruch kaum gerecht. Das wichtige Ziel, auch nur den Anschein von Insidervorteilen zu vermeiden, kann damit nicht erreicht werden.
Während es für eine transatlantische Leitzinsdifferenz zwischen Euro und US-Dollar vertretbare Gründe geben mag, täte man im Frankfurter EZB-Tower hinsichtlich der internen Anlagerichtlinien gut daran, mindestens zur US-Notenbank aufzuschließen. Vertrauensbildende Maßnahmen wären:
- eine Mindesthaltedauer für Wertpapiere von 6 bzw. 12 Monaten;
- eine Handelssperre vor und am Tag der EZB-Ratssitzung;
- eine Ergänzung der Selbstauskünfte um Angaben zu den jährlichen Transaktionen nach Art, Wert und Datum.
Im Rahmen einer Genehmigungspflicht aller Wertpapiertransaktionen sollte der Handel in Zeiten erhöhter Kapitalmarktanspannungen zudem ganz verboten werden können.
Weitere Quellen
Arne Hansen and Dirk Meyer, „The European Central Bank’s ethical rules – Incidents at the Fed raise questions about the rules of conduct for the ECB’s Governing Council“, in: Intereconomics, Vol. 57 (2022), No. 5, S. 322-328.
Dirk Meyer und Arne Hansen, „Die Ethik-Regeln der EZB: Eine Vertrauensbasis mit Anpassungsbedarf?“, in: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), Jg. 75 (2022), H. 20, S. 833-839.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autor*innen geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.
Dr. Arne Hansen
Dr. Arne Hansen forscht und lehrt am Lehrstuhl für Ordnungsökonomik des Instituts für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg. Im Rahmen seiner Forschung befasst er sich unter anderem mit der Krisenpolitik der Europäischen Zentralbank. Von 2015 bis 2019 war er bei der Verbraucherzentrale Hamburg als Referent im Schwerpunkt-Team Versicherungen des „Marktwächters Finanzen“ tätig.