
Fragen und Antworten
Der Armutsnachteil
1. Was genau sagt der Armutsnachteil aus?
Der Armutsnachteil ist eine Vergleichsgröße, die wir für diese Studie entwickelt haben. Er zeigt an, welcher Geldbetrag Menschen mit geringem Vermögen bei Finanzgeschäften im Vergleich zur wohlhabenderen Mittelschicht entgeht – und zwar innerhalb des Jahres 2024. Dieser Nachteil kann zum Beispiel aufgrund eines ungünstigen Portfolios mit unrentablen Anlagen entstehen oder wegen höherer Produktkosten.
2. Sind Menschen mit wenig Geld am Finanzmarkt strukturell benachteiligt?
Ja, wir sehen in unserer Analyse sehr deutliche Hinweise darauf. Denn es gibt erhebliche Unterschiede in der Vermögensstruktur von Menschen mit wenig Geld und Menschen aus der Vermögensmitte. Allein aufgrund dieser unterschiedlichen Anlagestruktur erwirtschaften Menschen mit geringem Vermögen häufig eine niedrigere Rendite als wohlhabendere Personen.
Die drei untersuchten Vermögensgruppen – also die unteren 50 Prozent der Vermögensverteilung, die mittleren 40 Prozent und die 10 Prozent der Vermögenden – unterscheiden sich hinsichtlich der Zusammensetzung ihres Vermögens deutlich. Ähnliche Einteilungen werden übrigens in vielen Vermögensstudien getroffen, beispielsweise in Haushaltsanalysen der Bundesbank.
3. Was sind die Ursachen für die Benachteiligung von finanzschwachen Menschen?
Über die Ursachen sagt unsere Studie zunächst nichts aus. Sie können vielfältig sein. Wir gehen aber zum einen davon aus, dass finanzschwachen Menschen der Zugang zu einzelnen Anlageklassen wie beispielsweise Immobilien fehlt, weil sie dafür oft nicht genügend Kapital aufbringen können. Zum anderen dürften sie eher als Wohlhabendere dazu neigen, ihr Geld schnell verfügbar und sicher anzulegen – und damit häufig eben auch renditeärmer. So haben Finanzschwache rund 20 Prozent ihres Vermögens in Sicht- und Spareinlagen angelegt; bei der Vermögensmitte beträgt der Anteil mit 7,5 Prozent nicht einmal die Hälfte.
Tatsächlich kann eine flexible (aber renditearme) Geldanlage für vermögensarme Menschen ein rationales Verhalten sein: Wer nur ein paar tausend Euro Rücklagen und ein geringes Einkommen hat, muss darauf bei akutem Geldbedarf zugreifen können – und sei es nur, weil das Auto in die Werkstatt muss. Wahr ist aber auch: Wenn Finanzschwache ihr Geld vorwiegend risikoarm und schnell verfügbar anlegen müssen, führt das zu geringeren Renditen und verstärkt die Ungleichheit natürlich noch weiter.
4. Kann ich irgendwie einschätzen, zu welcher der drei Vermögensgruppen ich gehöre?
Ja, dafür gibt es Anhaltspunkte. Viele Menschen tun sich schwer, ihren Besitz richtig einzuordnen, weil die spontane Selbsteinschätzung häufig eher auf dem Einkommen oder der beruflichen Stellung basiert – und eben nicht auf den finanziellen Rücklagen.
Ganz grob lässt sich sagen: Wer Wohneigentum besitzt, gehört in der Regel mindestens zur vermögenderen Mittelschicht. Die Zahlen belegen das: So leben 70 Prozent der wohlhabenderen Mitte im Eigenheim, aber nicht einmal 1 Prozent der Vermögensarmen – wobei Wohneigentum im ländlichen Raum wahrscheinlicher ist als in teuren Großstädten wie Berlin oder München. Wenn jemand zusätzlich zum Eigenheim noch weitere Immobilien besitzt oder Betriebsvermögen, gehört er wahrscheinlich zu den oberen 10 Prozent der Vermögensverteilung.
Eine genauere Vorstellung vermitteln die Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP), die unserer Studie zugrunde liegen: Demnach gehören Personen mit bis zu rund 29.000 Euro zur unteren Hälfte der Vermögensverteilung. Wer zwischen rund 29.000 bis 338.000 Euro besitzt, gehörte zur Vermögensmitte. Und alle, die über Rücklagen von mehr als 338.000 Euro verfügten, gehörte im Jahr 2019 zu den 10 Prozent der Vermögenden. Die Zahlen bilden das Bruttovermögen ab, sie sind also ohne den Abzug der Schulden berechnet.
5. Warum werden die Menschen in der Studie nach ihrem Vermögen eingruppiert – und nicht nach ihren Einkommen?
Wir halten das Vermögen für die entscheidende Kategorie – vor allem deshalb, weil Renditen nun einmal auf das Vermögen erwirtschaftet werden. Klar ist aber auch: Vermögen und Einkommen hängen zusammen – wissenschaftlich formuliert: Sie sind statistisch signifikant korreliert. Das bedeutet, dass Personen mit höherem Vermögen oft auch ein höheres Einkommen haben.
Wir haben Renditeberechnungen aber auch nach Einkommensgruppen erstellt. Die Ergebnisse zeigen, dass die Rendite auch mit dem Einkommen einer Person zunimmt, wenn auch in einem geringeren Ausmaß. Dies liegt daran, dass Einkommen weniger ungleich verteilt ist als Vermögen.
6. Warum wird das Vermögen von Einzelpersonen betrachtet und nicht – wie sonst häufig – die Situation von Haushalten?
Wir halten die Untersuchung auf der Personenebene für die konkretere Betrachtungsweise. Und es stimmt: Viele Studien betrachten die Haushaltsebene – oft mit der Begründung, dass ja der gesamte Haushalt vom Vermögen profitiert. Das mag oft zutreffen, dieses Vorgehen geht jedoch von stabilen Haushalten aus. Gerade bei langfristigen Betrachtungen sieht die Realität allerdings sehr oft anders aus – zum Beispiel, weil Ehen wieder geschieden werden. Aus unserer Sicht bildet eine individuelle Betrachtung des Vermögens auf Personenebene dies besser ab.
7. Hat es auch Nachteile, dass Ihr Umfragedaten des Sozioökonomischen Panels nutzt?
Ja, es gibt dadurch Unschärfen. So basieren die Daten des SOEP zum Beispiel auf Selbstauskünften der Teilnehmer*innen. Insofern gibt es immer das Risiko, dass Befragte aktuelle Vermögenswerte wie das Eigenheim falsch einschätzen – oder zum Beispiel gar nicht wissen, was der Rückkaufswert ihrer Lebensversicherung wäre. In diesen Fällen werden von uns Schätzungen vorgenommen.
Hinzu kommt, dass reiche Menschen ihr Vermögen häufig niedriger angeben als es eigentlich ist. Das SOEP hat solche Spitzenvermögen im Jahr 2019 mit einer speziellen Befragung genauer erhoben, was der Untererfassung der Reichsten etwas entgegenwirkt. Diese Angaben fließen bei uns mit ein.
8. Haben die beiden Teile der Studie – die Portfolioanalyse und die Produktanalyse – die gleiche Datenbasis?
Nein. Für die Portfolioanalyse nutzen wir aktuelle Daten des Sozioökonomischen Panels zu Vermögensstrukturen aus dem Jahr 2019 und Renditedaten aus den Jahren 1995 bis 2020. Anders sieht es hingegen bei der Produktanalyse aus: Hier machen wir eine Zeitpunktbetrachtung, zum ganz überwiegenden Teil auf Basis von Daten aus dem Jahr 2024.
Weil die Vermögensverteilung relativ stabil ist, halten wir es für vertretbar, die Daten zur Portfoliozusammensetzung aus 2019 als Grundlage für die Produktanalyse aus 2024 heranzuziehen.
9. Für die individuellen Personen-Produkt-Modelle in der Produktanalyse wurden eine ganze Reihe von Annahmen getroffen. Warum?
Das Ziel war, die ermittelten Durchschnittswerte zur Vermögenssituation von einzelnen Personengruppen weiter zu differenzieren, um möglichst lebensnahe Personentypen zu erhalten. Um diese Personen zu modellieren, haben wir ihnen ein eigenes Portfolio und bestimmte Eigenschaften zugewiesen – zum Beispiel einen konkreten Wohnort wie 13353 Berlin-Wedding, einen Beruf und ein Alter.
Ausgangspunkt für diese Modellannahmen waren die Daten, die aus der SOEP-Befragung vorliegen. So halten wir uns auch hier grob an die Portfoliostruktur im SOEP – also daran, welche Anlageklassen dort festgestellt wurden. Ein anderes Beispiel: Für die Berufe unserer Modellpersonen haben wir geprüft, welche Berufsprofile laut SOEP in einer Vermögensgruppe besonders häufig vertreten sind und dann entsprechend gewählt. Zusätzlich ermittelten wir typische Einkommen für diese Berufe mit Hilfe des Lohnspiegels der Hans-Böckler-Stiftung.
10. Sind die Produktkonditionen, die Finanzwende Recherche für die Szenarien ausgewertet hat, eigentlich realistisch?
Ja, sind sie. Sämtliche Tarife, die wir für unsere Personentypen ausgewertet haben, waren als Marktangebote real verfügbar – und zwar in aller Regel zum Zeitpunkt unserer Produkterhebung im September 2024. Das gilt sowohl für Versicherungs- als auch für Bankprodukte. Aufgrund der zahlreichen Annahmen lassen sich aus den Ergebnissen aber keine allgemeingültigen Aussagen ableiten.
Für die Produktauswertung nach unseren Vorgaben haben wir Datenbanken genutzt. Vergleiche für Bankprodukte hat die FMH Finanzberatung e.K. übernommen, bei Versicherungen war es die Morgen & Morgen GmbH. Im Immobilienbereich haben wir die Preise für Wohneigentum und Mieten mithilfe von vdp Research plausibilisiert.
11. In den Produktszenarien geht Finanzwende-Recherche davon aus, dass finanzschwache Menschen höhere Produktkosten haben als Wohlhabende. Wieso?
Studien zur Finanzbildung belegen immer wieder, dass Menschen mit wenig Geld in aller Regel über ein geringeres Finanzwissen verfügen – und obendrein eher als andere dazu neigen, Angebote vor einer Kaufentscheidung nicht zu vergleichen. Darüber hinaus erhalten finanzschwache Personen auch oft deshalb eine schlechtere Beratung in Sachen Finanzen, weil sie auf diesem Feld von vornherein für weniger gebildet gehalten werden. Wir gehen deshalb davon aus, dass Finanzschwache häufig mehr für Finanzprodukte bezahlen als Wohlhabende.
Das Projekt wird gefördert von:

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