
Was früher im Budget lag, geht jetzt nicht mehr
Ein Fahrrad zum Geburtstag für den Sohn? Nicht drin. Mal ins Kino mit Freundinnen? Vielleicht nächsten Monat. Emma*, Mutter von zwei Kindern, lebt finanziell am Limit. Ein Blick in den Alltag einer Alleinerziehenden.
„Es geht vielen Leuten wie mir – das wurde mir einmal mehr klar, als ich vor ein paar Jahren um 7 Uhr morgens auf dem Aldi-Parkplatz stand. Warum ich dort war? Ich vergleiche Preise sonst eigentlich vor Ort, aber diesmal hatte ich im Prospekt gesehen, dass Regenjacken im Angebot waren. Die wollte ich für meine Kinder besorgen. Die Idee hatte ich nicht alleine, die Schlange vor der Tür war lang, darunter wahrscheinlich viele Mütter mit wenig Geld. In einem reichen Land wie Deutschland.
Wenn ich dann in den Nachrichten wieder mal lese, dass manche Leute viele Milliarden haben, ist das schon krass. Die wissen doch gar nicht, für was sie ihr Geld ausgeben sollen, dabei könnte man damit so viele soziale Dinge machen.
Ich bin 37 Jahre und wohne in Schleswig-Holstein. Als Beruf habe ich Integrationshelferin gelernt, mache mich aber gerade mit einer Initiative für Alleinerziehende in der Pflege- und Betreuungshilfe selbstständig. Außerdem bin ich alleinerziehende Mama von zwei Kindern. Meine Tochter ist zwölf Jahre alt, mein Sohn 14. Mein Sohn hat eine Behinderung mit einem Grad von 100 Prozent, hinter uns liegen viele Jahre im Krankenhaus und unzählige Therapiephasen. Seit vielen Jahren engagiere ich mich für Alleinerziehende, seit rund einem Jahr ehrenamtlich im Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. und mache auf die prekäre finanzielle Lage von Alleinerziehenden aufmerksam.
Seit ich alleinerziehend bin, bin ich im Dauerstress. Mich plagen Schuldgefühle, es allen recht zu machen, die mentale Gesundheit kommt zu kurz. Und dabei stehe ich für viele, die jeden Tag alles geben und doch oft allein gelassen werden.
Seit ich alleinerziehend bin, bin ich im Dauerstress. Mich plagen Schuldgefühle, es allen recht zu machen, die mentale Gesundheit kommt zu kurz. Und dabei stehe ich für viele, die jeden Tag alles geben und doch oft allein gelassen werden. Wie viele andere Alleinerziehende muss ich genau darauf achten, wie viel Geld ich ausgebe. Viel übrig war nie, aber seit Corona ist es finanziell deutlich angespannter geworden.
Viele Sachen sind mittlerweile einfach teurer, besonders merke ich das im Supermarkt. Grundsätzlich gilt dort: Markenprodukte sind tabu, stattdessen nehme ich die günstigeren Eigenmarken der Discounter. Trotzdem zahle ich für einen Einkauf, der mich vor ein paar Jahren, vor Corona, noch 150 Euro gezahlt habe, jetzt bestimmt 200 Euro.
Was früher vielleicht noch im Budget war, etwa spontan ein paar Süßigkeiten für meine Kinder, geht jetzt nicht mehr. Das wissen die beiden und tricksen manchmal ein wenig. Dann landen heimlich Dinge im Einkaufswagen, die nicht ich dort reingepackt habe. An der Kasse merke ich das dann und es ist ein unangenehmer Moment, wenn ich Dinge zurücklegen muss.
Manchmal gebe ich natürlich nach. Mein Sohn zum Beispiel will kein stilles Wasser trinken. Etwas verwöhnt, aber er ist halt ein Teenager – es muss Sprudel oder Saft sein. Als Lösung habe ich dann einen Soda-Stream gekauft. Das kostet zwar, ist aber immer noch günstiger, als bei jedem Einkauf Sprudel-Wasser zu kaufen. Er ist zufrieden und ich deshalb auch.
Sparsam einkaufen heißt nicht, dass am Monatsende noch etwas übrigbleibt. Ganz im Gegenteil. Momentan leben meine beiden Kinder und ich von rund 1.000 Euro Grundsicherung und 500 Euro Kindergeld im Monat. Ein Großteil unserer Miete wird vom Amt übernommen. An Sparen für Notfälle ist damit nicht zu denken, alle Einnahmen sind direkt verplant.
Keine Rücklagen zu haben, ist besonders hart, wenn es auf Kosten der Kinder geht.
Keine Rücklagen zu haben, ist besonders hart, wenn es auf Kosten der Kinder geht. Vor Kurzem erst hatte mein Sohn Geburtstag. Er hatte sich ein Fahrrad gewünscht. Das war aber finanziell einfach nicht drin. Also habe ich mit ihm den Deal gemacht, dass ich versuche, das Geld für das Rad bis zum Sommer irgendwie zusammenzusparen. Das fand er – Gott sei Dank – okay, gut fühlt es sich trotzdem nicht an. Auch ein Familienurlaub oder größere Ausflüge, wie ihn andere vielleicht machen können, mit Reisen in immer unterschiedliche Länder, sind für uns nicht drin. Zum Glück habe ich Familie in der Türkei, außerdem wohnt meine Schwester in Holland. Wir können dann dort übernachten, das spart uns die Übernachtungskosten.
Meine Kinder merken natürlich auch in ihrem Schulalltag, dass ihre Mama weniger Geld hat als andere Familien. Wenn die anderen Kinder zum Beispiel zusammen ins Kino gehen, kann meine Tochter oft nicht mit. In ihrer Klasse haben viele Markenklamotten an, sie und einige andere nicht. Ich bin deshalb für eine Schuluniform, damit Kinder aus armen Familien sich nicht schlecht fühlen.
Dass ich selbst mal in der Situation lande, in der ich meinen Kindern und mir viele normale Dinge nicht leisten kann, konnte ich mir vor der Trennung von meinem Ex-Mann kaum vorstellen.
Dass ich selbst mal in der Situation lande, in der ich meinen Kindern und mir viele normale Dinge nicht leisten kann, konnte ich mir vor der Trennung von meinem Ex-Mann kaum vorstellen. Auch damals habe ich mitbekommen, dass viele Alleinerziehende finanziell zu kämpfen hatten. Aber dass es mir einmal ähnlich gehen könnte, hätte ich nie gedacht.
Gemeinsam mit meinem damaligen Mann habe ich vor rund zehn Jahren ein Haus gekauft. Unsere Kinder waren damals sehr klein und wir brauchten mehr Platz. Ich war damals in der Altenpflege und freiberuflich als Dolmetscherin und Integrationshelferin tätig. Wir waren nicht reich, aber wir konnten uns genauso viel leisten, wie die Leute um uns herum. Das Haus war der nächste Schritt. Weil mein Mann einen negativen Schufa-Eintrag hatte, haben wir den Hauskredit über mich laufen lassen. In dem Haus haben wir nur kurz zusammengelebt, dann haben wir uns getrennt. Ich saß alleine auf den Schulden, mit zwei kleinen Kindern.
Nach ein paar Jahren ging das finanziell einfach nicht mehr. Während Corona konnte ich die Raten für den Immobilienkredit nicht mehr zahlen und musste Privatinsolvenz anmelden. Mit der Privatinsolvenz war das Haus weg. Stattdessen bekam ich einen negativen Schufa-Eintrag.
Bis heute kriege ich Alpträume, wenn ich das Wort Schufa höre. Dieser Eintrag hat mich so viele Nerven gekostet. Wer vermietet denn schon an eine Alleinerziehende mit schlechter Bonität? Meine Rettung waren in der ersten Zeit Freunde und Verwandte. Bei denen bin ich mit den Kleinen erstmal untergekommen. Selbst bei den vermeintlich einfachsten Dingen wie der Kontoeröffnung hat mich der Schufa-Eintrag vor Riesenprobleme gestellt. Andere Menschen mit wenig Geld schauen vielleicht darauf, dass sie ein Konto erwischen, für das sie möglichst wenig Gebühren zahlen. Bei mir war die Frage nicht, wie viel es kostet, sondern ob ich überhaupt ein Konto eröffnen kann. Viele Banken haben das wegen des Schufa-Eintrags nämlich abgelehnt.
Bei mir war die Frage nicht, wie viel es kostet, sondern ob ich überhaupt ein Konto eröffnen kann. Viele Banken haben das wegen des Schufa-Eintrags nämlich abgelehnt.
Manchmal ist das Problem nicht so klar wie bei der Wohnungssuche oder bei der Bank. Ich kann wegen des negativen Schufa-Eintrags zum Beispiel kein Abo für das Deutschlandticket abschließen. Dabei soll das Deutschlandticket doch gerade Menschen mit wenig Geld unterstützen. Wegen meines schlechten Bonitätsscores will der Betreiber das Deutschlandticket aber nicht automatisch jeden Monat verlängern. Stattdessen muss ich es jeden Monat neu kaufen. Das klingt für manche vielleicht wie eine Kleinigkeit und mag für den Anbieter sogar gerechtfertigt sein, aber es ist wieder eine Sache mehr, an die ich denken muss. Einmal habe ich vergessen, das Ticket zu verlängern und musste 70 Euro Strafe zahlen.
Ein Riesenproblem war der Schufa-Eintrag aber nicht nur beim Bahnticket, sondern auch bei der Anmeldung des Autos. Mein Sohn hat eine Behinderung, hat viele Therapietermine, zu denen er muss. Das eigene Auto brauche ich deshalb, um flexibel zu sein. Doch bevor ich überhaupt losgefahren bin, begannen die Probleme. Für die Anmeldung des Wagens brauchte ich nämlich eine Kfz-Versicherung. So weit, so klar. Und eigentlich kein Problem. Eigentlich. Denn der Versicherer hatte Sorge, dass ich mir die Versicherung nicht leisten kann. Ich sollte deshalb die Versicherungsbeiträge direkt fürs ganze Jahr im Voraus bezahlen. Das waren mehrere Hundert Euro. So viel hatte ich nicht auf einmal. Ich brauche Versicherungen, bei denen ich die Beiträge monatsweise oder zumindest vierteljährlich zahlen kann. Also hieß es mal wieder Bittstellerin bei Freunden sein und privat Geld ausleihen. Das ist mir eh schon wahnsinnig unangenehm. Aber manchmal geht’s nicht anders.
Der Schufa-Eintrag ist für mich wie eine Strafe, die nicht vorübergeht. Er schränkt mich in meinem Alltag einfach sehr ein. Ich bin deshalb für ein Verbot der Bonitätsdiskriminierung bei Grundbedürfnissen.
Wie gut, dass ich einige enge Freunde habe, die mir im Notfall aushelfen können. Selbstverständlich ist das nicht. Armut macht einsam.
Wie gut, dass ich einige enge Freunde habe, die mir im Notfall aushelfen können. Selbstverständlich ist das nicht. Armut macht einsam. Man ist einfach oft außen vor, auch bei kulturellen Events. Viele Dinge kosten mir zu viel, sei es das gemeinsame Essen oder das Geschenk, das ich mit zur Geburtstagsparty nehme. Das kann ich mir einfach oft nicht leisten. Wenn man aber nie mitkommt, wird man irgendwann auch nicht mehr gefragt. Außerdem gibt es natürlich die Momente, in denen man sich wegen der Armut minderwertig vorkommt oder schämt. Wenn Freunde Dinge unternehmen, die etwas mehr kosten, habe ich manchmal das Gefühl, dass ich nicht mithalten kann und finde auch mal Ausreden, warum ich nicht mitgehen kann.
Und wenn man sich doch trifft, was macht man dann? Soll ich mich so kleiden, dass keinem auffällt, dass ich wenig Geld habe? Ich versuche meine Situation manchmal zu verstecken. Manchmal gibt es da auch lustige Situationen. Ich war zum Beispiel mit einer Freundin in einem ziemlich teuren Outlet. Das Auto, mit dem wir unterwegs waren, war eine ziemliche Schrottkiste. Ich habe deshalb am Ende vom Parkplatz geparkt, damit keiner sieht, wie wir daraus aussteigen. Hat aber nichts gebracht: Es war nicht das Ende, sondern die Auffahrt zum Parkplatz.
Manchmal merkt man in schwierigen Momenten aber erst, wer die echten Freunde sind. Das war bei mir auch so. Ein paar meiner Freunde gehen an Geburtstagen gerne in ein wenig extravagante Restaurants. Als ich Geburtstag hatte, wollte ich das natürlich auch anbieten. Ich wollte in einem tollen, aber teuren Frühstücksrestaurant direkt an der Kieler Förde reservieren. Als meine Freunde davon Wind bekommen haben, haben sie sofort ein günstigeres Café rausgesucht. Da habe ich echt Gänsehaut bekommen. Dass sie das untereinander geklärt haben und mich gar nicht dazu gebracht haben, dass ich im teuren Restaurant für drei, vier Personen reserviere, das war toll. Da war ich stolz auf mich, dass ich so tolle Freunde habe. Ich habe hier aber großes Glück mit meinen Freunden. Darauf kann man sich aber nicht verlassen, deshalb ist es so wichtig, dass es psychische Beratung und Netzwerke für Alleinerziehende gibt.
Was ich als erstes machen würde, wenn ich ein besseres Einkommen, sagen wir 3.000 Euro netto im Monat, hätte? Auf jeden Fall würde ich erstmal alle liegengebliebenen Rechnungen bezahlen und außerdem jeden Monat etwas für meine beiden Kinder zurücklegen. Und natürlich würde ich dann auch mal etwas für mich tun, zum Beispiel etwas Neues zum Anziehen kaufen oder mal wieder mit Freunden ausgehen.
Für die Zukunft habe ich trotz der schwierigen finanziellen Situation Hoffnung. Ich denke da an Themen wie den Ausbau der Kinderbetreuung zu Randzeiten oder einen zuverlässigen Unterhaltsvorschuss, aber auch an ganz Praktisches, Unbürokratisches. Vielleicht könnte man das Deutschlandticket für Alleinerziehende und ihre Kinder kostenlos schalten.
Wichtig ist mir aber vor allem, dass die Sorgen und die Realität von Alleinerziehenden stärker bei Entscheidungen berücksichtigt werden.
Wichtig ist mir aber vor allem, dass die Sorgen und die Realität von Alleinerziehenden stärker bei Entscheidungen berücksichtigt werden. Alleinerziehende benötigen mehr psychologische Hilfe. Ich will in einer Gesellschaft leben, die unterstützt und nicht urteilt. Wir brauchen eine Politik, die Alleinerziehende sichtbar macht und ihnen Chancen gibt.
Vor Kurzem habe ich mein Kleingewerbe neu gegründet, ein soziales Projekt für alleinerziehende Mütter. Gar nicht so einfach, denn ich erhalte wegen meiner Bonitätseinträge keine Gründerzuschüsse. Ich biete über die Initiative Jobs an, zum Beispiel als Pflegehilfe oder Betreuungs- und Haushaltshilfe. Die Alleinerziehenden können entscheiden, ob und welches Angebot sie annehmen. So können sie den Job flexibel um den Alltag mit Kindern herumplanen. Etwas, das mir früher eine Riesenhilfe gewesen wäre.
Es ist es ja keine Schande, alleinerziehend zu sein. Es ist eine Stärke. Ich bin Mutter, Pflegerin, Kämpferin – ohne Pause, ohne Sicherheit. Und trotz aller Herausforderungen weiß ich: Ich bin nicht allein, wir sind viele Alleinerziehende. Wir Alleinerziehenden brauchen kein Mitleid, wir brauchen Solidarität. Wir brauchen Veränderung: strukturelle und gerechte Lösungen für unsere Probleme.
Meine Kinder und ich sind ein gutes Team. Und ich will ein Vorbild sein, ihnen zeigen, dass Geld nicht selbstverständlich ist, selbst wenn es so wenig ist wie bei uns. Deshalb ist mein Motto auch: Hinfallen, liegen bleiben, ausruhen. Und wieder aufstehen!“
*Name auf Wunsch geändert.

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