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Studie: Der Armutsnachteil

Wenn jeder Euro zählt

Der harte Alltag von Menschen mit wenig Geld

03.07.2025

  • Neue Markenschuhe? Zu teuer. Eine Woche an der Ostsee? Leider nicht drin. Wer wenig Geld hat, muss oft verzichten. Immerhin 35 Millionen Erwachsene gehören zur ärmeren Vermögenshälfte in Deutschland. Viele von ihnen leben finanziell am Limit und haben kaum Rücklagen.
  • Bei Menschen mit wenig Geld treffen oft hohe Kosten für Finanzdienstleistungen auf ein kleines Budget. Preisgünstige Produkte sind aber oft gar nicht so leicht zu finden. Viele Tarife und große Preisspannen erschweren die Auswahl.
  • Der Armutsnachteil von Menschen mit wenig Geld gegenüber Wohlhabenderen ist laut einer Finanzwende-Recherche-Studie Individuelle Produktkonditionen verstärken den Abstand vielfach noch.

 „Wenn man arm ist, sieht man grau in grau und tut sich schwer, in die Zukunft zu schauen.“ Anni W. ist alleinerziehend und arbeitslos. Dabei arbeitet sie gerne. Ihre Stimme wird fröhlich, wenn sie von ihrem letzten Job spricht: „Ich bin aufgeblüht, konnte meine Schulden abzahlen und normal im Supermarkt einkaufen.“ Doch sie verletzte sich, das war’s mit der Probezeit. Als Ungelernte fand sie danach keinen Job mehr. Nun lebt Anni von Bürgergeld. Ersparnisse? Keine.

So wie Anni und ihrem 14-jährigen Sohn geht es vielen Menschen in Deutschland. Über den Alltag einer Alleinerziehenden haben wir auch mit Emma aus Schleswig-Holstein gesprochen.

Sehr viele Menschen haben wie die beiden keine Rücklagen. Die Zahlen liegen auf dem Tisch: 35 Millionen Erwachsene gehören zur ärmeren Vermögenshälfte – das sind fast so viele Menschen wie zusammengerechnet in Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen leben. 40 Prozent dieser Vermögensarmen haben kaum verfügbare Reserven, unterm Strich sind es oft nur Bankeinlagen von 1.000 oder 1.500 Euro.

Keine Chancengleichheit am Finanzmarkt

Die Perspektive dieser Menschen spielt oft nur eine Nebenrolle, wenn es um Geldgeschäfte oder den privaten Vermögensaufbau geht. Dabei haben finanzschwache Personen weniger Chancen am Finanzmarkt als Wohlhabendere. Ihr Armutsnachteil gegenüber Wohlhabenderen betrug im Jahr 2024 rund 525 Euro. So viel Geld entgeht einer Person aus der unteren Vermögenshälfte durchschnittlich im Vergleich zur Vermögensmitte.

Mit dem Durchschnitt ist es aber so eine Sache. Der Mittelwert bietet eine erste Größenordnung, aber dann kommt es schon sehr auf die individuelle Situation der Kund*innen an. Anbieter fragen ihre individuelle Lebenssituation häufig detailliert ab – und bepreisen Produkte entsprechend. Zudem gibt es für viele Finanzprodukte unterschiedliche Anbietergruppen, bei Girokonten zum Beispiel Onlinebanken oder regionalen Institute. Wer also wissen will, wie es um die Chancengleichheit am Markt in der Realität bestellt ist, muss näher ans Geschehen ran.

Finanzwende Recherche hat deshalb die Produktkonditionen für sieben typische vermögensarme Personen – von der Altenpflegerin in Schwerin bis zum Gerüstbauer aus Berlin – und deren wohlhabendere Pendants verglichen. Hier finden Sie ihre Steckbriefe mit allen Annahmen.

Große Preisspannen: ein Finanzprodukt, zig Angebote

Aus der Analyse lassen sich eine ganze Reihe von Erkenntnissen ziehen, zum Beispiel zu den Preisen. Der größte Hebel für Kund*innen ist die Preisspanne am Markt. Das Angebot ist enorm, teilweise gibt es für Finanzprodukte mit vergleichbarem Leistungsniveau über hundert verschiedene Tarife. Vergleiche helfen dabei, eine möglichst günstige Auswahl zu treffen. Die FMH Finanzberatung hat für unsere Modellpersonen reale Tarife aus dem September 2024 ausgewertet.

Wie groß die Preisspannen am Markt sind, zeigt exemplarisch die Auswertung von Girokonten für den vermögensarmen Gerüstbauer in Berlin. Wenn er an ein teures Angebot gerät, hat er jährliche Kosten von bis zu 167 Euro. Im günstigsten Fall kostet sein Girokonto nur einen Bruchteil davon, zwölf Euro.

Das klingt nicht nach viel Geld, aber für den zweifachen Familienvater mit einem Monatsnetto von 2.040 Euro bedeuten 155 Euro jährlich etwas mehr Spielraum im Budget. Zum Beispiel, um neues Schulmaterial für die Kinder zu kaufen.

Seriöse Vergleichsplattformen geben eine erste Orientierung

In der Theorie sind solche Vergleiche einfach. Im stressigen Alltag bleibt zwischen Kita und Supermarkt aber nur selten Luft, um Preise und Konditionen zu durchforsten. Einfacher geht es mit seriösen Übersichten, etwa dem Vergleichsportal der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) für Girokonten. Dort können sich Verbraucher*innen einen ersten Überblick über den Markt und die Konditionen verschaffen.

 Das Girokonto ist in Sachen Tarifdschungel keine Ausnahme. Auch bei der Risikolebensversicherung sind die Beitragsspannen erheblich. Das Analysehaus Morgen & Morgen hat Tarife aus dem September 2024 ausgewertet. Die vermögensarme Altenpflegerin aus Schwerin etwa kann aus 64 Angeboten mit gleichem Leistungsniveau (Versicherungssumme: 125.000 Euro) wählen. Beim günstigsten Tarif zahlt sie einen jährlichen Beitrag von 65 Euro – und damit 161 Euro weniger als beim teuersten Angebot. Das ist eine beträchtliche Ersparnis.

Vor dem Sparen erst einmal Schulden abbauen

Wer durch die Auswahl günstiger Angebote weniger ausgibt, tut gut daran, das ersparte Geld zunächst in den Schuldenabbau zu stecken. Erst danach sollte man mit dem Sparen anfangen. Denn die Kreditkosten sind in aller Regel deutlich höher als die Zinsen auf Bankguthaben.

Gerade bei finanzschwachen Menschen ist die Schuldenlast häufig enorm. Bei einem durchschnittlichen Portfolio beträgt sie immerhin so viel wie 44 Prozent des Gesamtvermögens. Ein Großteil der Schulden sind Konsumkredite. Sie sind manchmal nötig, um eine Notlage zu überbrücken, zum Beispiel wenn unversehens die Reparatur der Waschmaschine ansteht.

Warum es lohnt, Schulden schnell abzubauen, zeigt das Beispiel des Berliner Gerüstbauers. Für Ersparnisse auf dem Tagesgeldkonto erhält er im Marktschnitt aller Angebote jährlich 1,9 Prozent Zinsen, muss aber für einen Konsumkredit zugleich 8,1 Prozent Kreditzins berappen. Solche Spannen sind durchaus typisch.

Für Menschen mit geringem Budget ist es besonders wichtig, schnell vom Schuldenberg hinunterzukommen. Bei ihnen schlagen Zinskosten nämlich stärker ins Kontor als bei Wohlhabenderen. Schließlich treffen die Kosten oft auf einen geringen Verdienst und karge Ersparnisse.

Finanzschwache zahlen bei Krediten häufig drauf

Hinzu kommt, dass Menschen mit wenig Geld häufig wegen ihrer geringeren Bonität mehr für Kredite zahlen müssen als Wohlhabendere. Eine geringe Bonität bedeutet, dass die Bank das Risiko, dass ein*e Kund*in den Kredit nicht zurückzahlt, höher einschätzt als bei anderen. Dieses höhere Risiko bepreist sie mit einem höheren Zinssatz.

Auswertungen für den vermögensarmen Gerüstbauer und den Lehrer aus der Vermögensmitte zeigen exemplarisch, wie die Bonität die Höhe der Zinskosten beeinflusst. So erhält der Gerüstbauer mit geringer Bonität nur Angebote mit einem durchschnittlichen Kreditzins von 8,1 Prozent. Sein Pendant, der wohlhabendere Lehrer, nimmt einen höheren Geldsumme auf, kommt aber trotzdem günstiger weg – mit jährlichen Kreditzinsen von durchschnittlich 7,2 Prozent.

Teure Finanzprodukte vergrößern oft die Ungleichheit

Wer Produktangebote für konkrete Personen anschaut, stellt fest, dass die Kluft zwischen Finanzschwachen und Wohlhabenderen in der Praxis sehr oft noch weiter zunehmen dürfte – jedenfalls dann, wenn man davon ausgeht, dass Finanzschwache häufiger als Wohlhabende zu teuren Angeboten greifen.

Finanzwende Recherche ist in den Steckbriefen für die Modelle beim Szenario von „schlechter Produktwahl“ davon ausgegangen, dass wohlhabende Kund*innen in der günstigeren Markthälfte landen. Die Vermögensarmen hingegen erwischen ein Produkt aus der teureren Markthälfte. Tatsächlich haben Studien festgestellt, dass Menschen mit wenig Geld oft auch über wenig Finanzwissen verfügen und eher Gefahr laufen, Angebote nicht zu vergleichen. Diese Ergebnisse liegen unserem Szenario zugrunde.

Mit diesem Vorgehen vergrößert sich im individuellen Modell – zum Beispiel bei der Alleinerziehenden – naturgemäß der Abstand zwischen Vermögensarmen und Vermögensmitte. So wird die vermögensarme Altenpflegerin hier mit rund 544 Euro mehr im Jahr belastet als die wohlhabendere Verwaltungsangestellte. Der durchschnittliche Armutsnachteil für Alleinerziehende liegt bei 385 Euro.

Produktvergleiche lohnen sich häufig

Natürlich wählt nicht jede*r Vermögensarme ein Finanzprodukt aus der teureren Markthälfte. Wer sich etwas Zeit nimmt, Angebote vergleicht und statt eines teuren Tarifs wenigstens einen durchschnittlichen wählt, kann bereits viel Geld sparen. Der vermögensarme Arbeitslose kann allein durch günstigere Produkte mit mittlerem Preis rund 108 Euro pro Jahr einsparen, der vermögensarme Maler und Lackierer sogar rund 169 Euro.

Reich wird man mit konsequenten Preisvergleichen leider nicht, aber sie verschaffen etwas Entlastung. Einige Hundert Euro im Jahr lassen sich durchaus einsparen. Schließlich geht es gerade im Alltag von Menschen mit wenig Budget vordringlich darum, sich finanziell ein wenig mehr Spielraum zu verschaffen. Im besten Fall reichen die ersparten Ausgaben sogar, um eine Reserve für Notfälle anzulegen. Beides nimmt Druck aus dem Alltag.

Anni arbeitet daran. Sie hat die Hoffnung auf finanzielle Stabilität noch nicht aufgegeben und setzt darauf, dass sie ihre Einkünfte wieder erhöhen kann: „Ich hoffe, dass ich eine Umschulung bekomme und dann in einem neuen Job vielleicht in zwei Jahren endlich wieder Einkaufen gehen kann, ohne auf jeden Cent zu achten.“

Das Projekt wird gefördert von:
Logo: Hans Böckler Stiftung- Mitbestimmung, Forschung, Stipendien

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