Bericht zur Finanzlobby: Im Auftrag des Geldes

Champions League des Lobbyismus

Wirecard und die helfenden Hände von Politik und Behörden

09.12.2022

Als der Betrugskonzern Wirecard Insolvenz anmeldete, ging erstmals ein Dax-Konzern pleite. Es entstand ein Milliardenschaden für Anleger*innen. Trotz zahlreicher Hinweise auf kriminelle Machenschaften hatten Politik und Behörden jahrelang schützende Hände über den Börsenliebling gehalten. Dafür sorgte eine Vielzahl von Berater*innen, Lobbyist*innen und Ex-Politiker*innen. Die zuständige Aufsichtsbehörde ließ sich sogar für Wirecards aggressives Agieren gegen die Medien einspannen – und zu einem beispiellosen Markteingriff zu Gunsten Wirecards verleiten.

Dan McCrum traute seinen Augen nicht, als ihm im April 2019 eine Strafanzeige der Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) ins Haus flatterte. Seit 2015 hatte der Journalist der Financial Times mehrere kritische Artikel über den Zahlungsdienstleister Wirecard veröffentlicht. Nun beschuldigte die BaFin ihn und eine Kollegin der Marktmanipulation. Sie hätten brisante Infos über Wirecard vor Veröffentlichung an Spekulant*innen durchgestochen, um von Wetten auf zu erwartende Kursverluste zu profitieren. „Ich war gewissermaßen daran gewöhnt, dass Wirecard mich einen Verbrecher nannte“, erzählt McCrum im Video über seine Recherche. „Aber wenn dann tatsächlich strafbehördliche Ermittlungen in Deutschland gegen einen laufen, mit Aufsichtsbehörden, die anscheinend einen kurzen Draht zu dem Unternehmen haben, über das du schreibst – da gab es Momente, wo das ziemlich stressig wurde“, so McCrum. „Ich hatte an einem gewissen Punkt Probleme zu schlafen.“

„In gewisser Weise war es fast so, als ob man, nachdem jemand eine Straftat angezeigt hat, anstatt in dieser Strafsache zu ermitteln, gegen den Überbringer der schlechten Nachricht ermittelt, um herauszufinden, ob er rechtswidrig geparkt hat.“

Matthew Earl, Blogger und Shortseller, über das Vorgehen der BaFin im Wirecard-Skandal

Ein gutes Jahr später platzte die Wirecard-Blase. Im Juni 2020 meldete der Konzern Insolvenz an. In der Bilanz fehlten 1,9 Milliarden Euro – Geld, das es womöglich nie gegeben hatte. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen Bandenbetrug, Geldwäsche und weiterer Delikte. Der Konzern-Chef Markus Braun landete in Untersuchungshaft, Vorstandsmitglied Jan Marsalek floh. Das Verfahren gegen McCrum wurde schlussendlich eingestellt. Und der damalige BaFin-Chef gab zu: „Mit dem Wissen von heute hätten wir die Staatsanwaltschaft angerufen und hätten gesagt: Verhaftet diesen Haufen Krimineller.“ Stattdessen wurden lange diejenigen verfolgt, die den Kriminellen das Handwerk legen wollten.

Wie konnte das passieren? Warum standen Behörden bei Wirecard so lange auf der falschen Seite?

Lobby-Baron zu Guttenberg

Durch den Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages und journalistische Recherchen ist heute das Lobbynetz bekannt, das für Wirecard die Strippen zog und die Illusion vom deutschen FinTech-Wunder aufrechterhielt. Selbst als sich die Anzeichen mehrten, dass bei Wirecard krumme Geschäfte liefen, konnten die Lobbyist*innen noch Unterstützung in Politik und Behörden mobilisieren. Der Journalist Felix Holtermann nennt sie die „Möglichmacher“. 62 Millionen Euro zahlte der Konzern zwischen 2016 und 2020 für ihre Dienste. Ein „Honigtopf” für Berater*innen, so die Tagesschau.

Der schillerndste Wirecard-Lobbyist ist wohl Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Die PR-Agentur des Ex-Wirtschafts- und Verteidigungsministers, Spitzberg Partners, unterstützte Wirecard beim Markteintritt in China. In einem persönlichen Gespräch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im September 2019 – die Betrugs-Vorwürfe gegen Wirecard waren längst bekannt – gewann Guttenberg seine frühere Chefin dafür, in Peking für Wirecard zu werben. Die „richtige Formulierung“ für die anstehende China-Reise der Kanzlerin schickte er an ihren Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller. Der antwortete nur Tage später: „Thema ist durch die Chefin [geschwärzt] angesprochen worden. Bitte halten Sie mich auf dem Laufenden. Ich werde das auch weiter flankieren.“ Im November 2019 verkündete Wirecard den Einstieg bei der chinesischen Firma Allscore. Guttenberg kassierte über seine Agentur Spitzberg Partners mindestens 760.000 Euro von Wirecard.

„Das ist Lobbyismus Champions League: eine dubiose Firma schafft es, mit einem über seine Doktorarbeit gestolperten Ex-Minister auf die Agenda der Kanzlerin.“

Screenshot der Antwortmail von Röller an zu Guttenberg

Mail von Karl-Theodor zu Guttenberg an den Wirtschaftsberater von Angela Merkel im Kanzleramt, Lars-Hendrik Röller, September 2019. Quelle: abgeordnetenwatch

Screenshot der Antwortmail von Röller an zu Guttenberg

Antwortmail von Röller an Guttenberg, September 2019. Quelle: abgeordnetenwatch

Türöffnen à la CDU/CSU

Guttenberg war nicht der einzige Ex-Politiker, der für Wirecard die Türen der Mächtigen öffnete. Klaus-Dieter Fritsche (CSU), früher Staatssekretär im Kanzleramt, vermittelte im September 2019 für zwei Wirecard-Vorstände einen „Kennenlerntermin“ mit Merkels Berater Lars-Hendrik Röller. Dem Bundestags-Untersuchungsausschuss erklärte Fritsche: „Bei Herrn Röller einen Termin zu bekommen, ist nicht läppisch.“ Die Kanzlerin würde die meisten Konzernchefs wegen ihres vollen Kalenders an ihn verweisen. Da Fritsches letzte Tätigkeit im Kanzleramt gewesen sei und Röller dort arbeitete, fand er es „nachvollziehbar […], dass ich als Türöffner genutzt werde“. Fürs Türöffnen kassierte Fritsche von Wirecard 1.500 Euro am Tag.

Peter Harry Carstensen (CDU, früher Ministerpräsident von Schleswig-Holstein) vermittelte Gespräche, damit Wirecard für laxere Regeln bei der Bezahlung von Online-Glücksspielen lobbyieren konnte, einem seiner Geschäftsfelder. Auch die Agentur von Ole von Beust (CDU, früher Hamburger Bürgermeister) stellte für Wirecard „zurückhaltend und gezielt“ Kontakte mit Politiker*innen her, die für weniger strenge Glücksspiel-Regulierung „aufgeschlossen und aktivierbar“ waren. Beust & Coll kassierte dafür 5.000, später 7.500 Euro monatlich. Günther Beckstein (CSU, früher bayrischer Ministerpräsident) fädelte ein Treffen und einen Besuch des Wirecard-Hauptsitzes durch die damalige Digital-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) ein. Und so weiter und so fort. Die Liste der Wirecard-Türöffener*innen ließe sich fortsetzen.

„Bei Wirecard haben zu viele Lobbyisten Geld gerochen.“

Wirecards Lobbynetzwerk: Zentrale Akteur*innen und Vorgänge

Eine schematische Darstellung des Lobbynetzwerks rund um den insolventen Dax-Konzern Wirecard

Angelehnt an eine Grafik von Lobbycontrol

Wirecard, ein Lobbyismus-Skandal

Durch seine Lobbykontakte zu hochrangigen Politiker*innen sorgte Wirecard vor allem für eins: ein positives Klima in Politik und Behörden. Ein „richtiges bayerisches Amigonetzwerk“ habe Wirecard unterhalten, so die SPD-Abgeordnete Canzel Kiziltepe. Es lobbyierte anscheinend sogar „für eine nachsichtige Behandlung“ durch die Staatsanwaltschaft München. Die Folge: BaFin und Staatsanwaltschaft hielten Wirecard „für ein unschuldig attackiertes Unternehmen“, so die Grünen-Politikerin Lisa Paus. Wirecard sei daher auch ein Lobbyismus-Skandal, so Paus.

Besonders folgenschwer glaubten die Behörden dem Opfer-Märchen im Februar 2019. Die Staatsanwaltschaft München leitete hanebüchene Anschuldigungen von Wirecard an die BaFin weiter, der Konzern würde von Medien und Spekulant*innen erpresst. Darauf erließ die BaFin ein zweimonatiges Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien, also ein Spekulationsverbot. Nie zuvor in der deutschen Börsengeschichte hatte es einen solchen Markteingriff zugunsten eines einzigen Unternehmens gegeben. Die fatale Botschaft: Wirecard ist sauber. Das verbreitete trügerische Sicherheit, die den Schaden noch größer machte. Denn Anleger*innen, Banken und Aufseher*innen glaubten der BaFin. Unzählige steckten weiter ihre Ersparnisse in Wirecard. Die Aktie legte um rund 15 Prozent zu.

Aktionsplan Leerverkäufe

Ein Jahr später wurde die Lobby erneut aktiv. Edelman, eine weltweit tätige PR- und Lobby-Agentur und zuständig für Wirecards Kommunikation, erstellte im März 2020 einen „Aktionsplan Leerverkäufe“. Das Ziel: in Politik und Medien Unterstützung für ein erneutes Leerverkaufsverbot zu mobilisieren. Um die „Zielgruppe Politik“ kümmerte sich unter anderem Kai Diekmann, der ehemalige Chefredakteur der Bild-Zeitung. Er schrieb zwei ihm bekannten Staatssekretären im Finanzministerium, um sie für das Thema „zu sensibilisieren“. Einer der beiden, Diekmanns Duzfreund Wolfgang Schmidt, reagierte positiv: „Ich habe das dann gleich weiter gegeben an unsere Experten im BMWi […] Ich bin noch dran.“

„Gerade weil Wirecard so eine Illusionsfabrik war und nicht wirklich etwas zu bieten hatte, mussten sie […] die Politik an der Nase herumführen. Und dafür brauchte man Lobbyisten.”

Für die „Zielgruppe Medien“ sah der Aktionsplan einen „Gastkommentar Karl-Theodor zu Guttenberg, FAZ oder Die Welt“ vor. Praktischerweise sitzt Guttenberg bei Edelman im Board. Im März 2020 erschien der besagte Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; Edelman hatte ihn der Redaktion geschickt. Guttenberg plädierte darin für ein Verbot von Leerverkäufen für Zahlungsdienstleister und andere systemrelevante Branchen in der Corona-Krise – zufällig ganz auf einer Linie mit dem Aktionsplan von Edelman. Und freilich ohne zu verraten, wer ihn für die Meinungsmache bezahlte. „Der FAZ-Artikel von KT war extremst hilfreich heute“, schrieb Guttenbergs Lobby-Kollege Diekmann. Seine Bemühungen bekamen durch den renommierten Kommentator Rückenwind. Edelman indes kassierte im Jahr 2020 von Wirecard 1,4 Millionen Euro.

Es kam zu keinem weiteren Leerverkaufsverbot. Dennoch zeigt die Episode – wie auch die gesamte Causa Wirecard – wie Lobbyismus in Deutschland funktioniert: Über persönliche Kontakte und Nettigkeiten werden Politik und Behörden um kleine Gefallen gebeten. Auf den ersten Blick wirken diese oft nicht verwerflich. Die Folgen können trotzdem verheerend sein. Bei Wirecard sind es viele tausende Kleinanleger*innen, die ihre Lebensersparnisse und Altersvorsorge verloren haben. Lobbyist*innen haben manche Existenzen mit zerstört – und den Ruf des Finanzmarktstandorts Deutschland gleich mit.

Hinweis: Dieser Text ist ein Auszug aus der Studie "Im Auftrag des Geldes" von Finanzwende Recherche. Die vollständige Studie inkl. aller Links und weiterer Quellenangaben finden Sie hier:

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