Bericht zur Finanzlobby: Im Auftrag des Geldes

Für Greenwashing, Gas und Atomkraft

So lobbyierte die Finanzbranche rund um die EU-Taxonomie

09.12.2022

Nicht nur Energiekonzerne und einzelne EU-Mitgliedstaaten haben dafür gesorgt, dass in der EU Investitionen in Gas und Atomkraft bald als nachhaltig gelten. Vor allem zu Beginn der Debatte um die so genannte Taxonomie lobbyierte kein Sektor so heftig gegen dieses Herzstück des EU-Aktionsplans zu „Sustainable Finance“ wie die Finanzbranche. Über ihre europäischen Verbände stellten Banken, Fonds und die Versicherungsbranche früh die Weichen für das Greenwashing schädlicher Energieträger.

Erdgas gilt als emissionsärmster fossiler Brennstoff – aber sind Erdgas-Investitionen deshalb nachhaltig? Ist eine Mine nachhaltig, in der wichtige Metalle für die Elektromobilität gewonnen werden, die aber negative Folgen für die Umwelt und Bevölkerung vor Ort hat? Und was bedeutet das überhaupt, „nachhaltig“?

Mit der Taxonomie wollte die EU den Begriff der Nachhaltigkeit für den Finanzsektor genauer definieren. Das Ziel: ein einheitliches Öko-Klassifikationssystem für Wirtschaftsaktivitäten. Damit sollten Investor*innen besser einschätzen können, ob ein Projekt, ein Unternehmen oder ein Fonds, in den sie investieren wollen, nachhaltig ist. Dank dieser Orientierungshilfe würde mehr Geld in klimaund umweltfreundliche Projekte fließen, so die Hoffnung. Nachhaltige Investitionen würden durch die Taxonomie „einen kräftigen Schub erhalten“, versprach der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Valdis Dombrovskis, Ende 2019.

Da war die erste heiße Phase der Auseinandersetzung um die Taxonomie gerade gelaufen. Europaparlament und EU-Mitgliedstaaten hatten sich auf die Grundzüge geeinigt. Viele Details und strittige Punkte, darunter die Frage, ob Atomkraft und Erdgas als nachhaltig eingestuft würden, waren aber noch ungeklärt.

Mission: Verwässerung der Taxonomie

Als sich 2017/18 abzeichnete, dass die EU es ernst meinte mit der Transformation zu einem nachhaltigen Finanzsystem, verfiel die Finanzlobby „reflexartig“ ins „Jammern“, ärgerte sich damals Silke Stremlau, Vorständin der Hannoverschen Kassen, einem Verbund nachhaltiger Pensionskassen, und seit 2022 Vorsitzende des Sustainable Finance-Beirats der Bundesregierung. Wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ warnte die Lobby vor Überregulierung. In den Worten des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) klang das so: „Oftmals sind Marktlösungen besser als starre Vorgaben des Gesetzgebers, um regulatorische Ziele zu verwirklichen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Sustainable Finance. […] Eine freiwillige Verbreitung von Nachhaltigkeit im Finanzsektor […] ist effizienter als verpflichtende gesetzliche Regelungen.“

Zu Beginn der Taxonomie-Debatte verfolgte die Finanzlobby vor allem zwei Ziele: Erstens sollte der Anwendungsbereich der Taxonomie begrenzt bleiben. So sollte sie nicht für alle Finanzprodukte gelten, sondern nur für solche, die als nachhaltig vermarktet werden. Gleichzeitig sollte es keinen separaten Katalog für umwelt- und klimaschädliche Aktivitäten geben – eine Voraussetzung, um ihre Finanzierung zu verteuern. Zweitens lobbyierte die Branche dafür, möglichst viele Wirtschaftsaktivitäten als „grün“ einzustufen. Dafür sollten bestimmte Klima-Schwellenwerte abgesenkt werden, zum Beispiel bei der Stromerzeugung aus Gas. Außerdem sollten „Übergangstechnologien” Eingang in die Taxonomie finden, die zwar selbst nicht nachhaltig sind, aber den Weg in eine klimaneutrale Zukunft unterstützen können, so die Argumentation. Laut der Gruppe InfluenceMap, die den Lobbyismus in der ersten Phase der Entwicklung der Taxonomie untersucht hat, war das Ziel der Finanzlobby eindeutig, die Taxonomie „zu verwässern“.

Taktik: Vertrauliche Gespräche, irreführende Botschaften

Dafür legte sich die Finanzlobby ziemlich ins Zeug. Sie stellte 11 von 20 Mitgliedern einer Expert*innengruppe, die die EU-Kommission bei der Entwicklung ihres ersten Taxonomie-Vorschlags beriet. Parallel dazu rannte sie der Kommission für Hintergrundgespräche quasi die Türen ein (siehe Grafik). Keine andere Branche lobbyierte laut InfluenceMap in dieser Phase der Taxonomie-Debatte so heftig wie der Finanzsektor. Zudem beteiligte er sich aktiv an öffentlichen Konsultationen. Bei der Frage, ob die Taxonomie um eine so genannte „braune Taxonomie” für umweltschädliche Tätigkeiten erweitert werden sollte, stellte die Finanzlobby die größte Gruppe derjenigen, die sich dagegen aussprachen. Unter den Nein-Sager*innen befanden sich die Deutsche Bank, Union Investment, die Deutsche Kreditwirtschaft (DK), der Verband Öffentlicher Versicherer (VöV), der Derivate Verband (DDV) – um nur einige zu nennen. Ganz anders die Europäische Zentralbank, die europäische Bankenaufsichtsbehörde und zivilgesellschaftliche Organisationen: Sie wollten eine solche Taxonomie, um die Finanzindustrie von umwelt- und klimaschädlichen Investitionen abzuhalten.

„Die Mehrheit der EU-Finanzlobby-Gruppen hat darauf gedrängt, die Taxonomie zu verwässern.”

InfluenceMap-Analyse zum Lobbyimus rund um die EU-Taxonomie

Europäische Verbände der Finanzlobby waren in der Debatte besonders aktiv – und vertraten oft negativere Positionen zur Taxonomie als ihre Mitgliedsunternehmen. Laut Reclaim Finance, einer Kampagnen-Organisation für ein sozial- und ökologisches gerechtes Finanzsystem, ist das beim Thema Klima durchaus üblich: Dann vermarkten sich Player wie BlackRock öffentlich als Klima-Champions, propagieren aber hinter den Kulissen über ihre Verbände eine aggressive Anti-Klima-Agenda – oder dulden sie zumindest.

Die Finanzbranche dominiert das Lobbying zu Beginn der Taxonomie-Diskussion

Die Grafik vergleicht die große Anzahl von Lobbytreffen der Finanzbranche mit der EU-Kommission mit den Lobbytreffen aus der Zivilgesellschaft.

Quelle: InfluenceMap

Irreführende Rhetorik spielt dabei eine wichtige Rolle. Beispielsweise suggerierte die Finanzlobby, die Taxonomie würde Anleger verpflichten, in bestimmte Anlagen zu investieren. Der Fondsverband BVI warnte: „Nachhaltiges Investieren darf nicht zur neuen Pflichtaufgabe […] für Asset Manager in Europa werden.“ Dabei ging es bei der Taxonomie nicht darum, bestimmte Investitionen zu verbieten oder andere zur Pflicht zu machen. Sie ist nur ein grüner Stempel für manche Investitionen. „Eigentlich ist die Taxonomie nur ein Label“, erklärt ein früherer Mitarbeiter im Europaparlament. „Aber die Finanz- und die Industrielobby haben gerne so getan als wäre sie ein verpflichtendes Kreditvergabesystem. Das wollten viele im Europaparlament natürlich nicht.“

„Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) begrüßt, dass jetzt auch Übergangs- und Schlüsseltechnologien als nachhaltig qualifiziert werden können.“

Die Lobby hatte Erfolg, zumindest teilweise. Der Kompromiss vom Dezember 2019 verschob die Idee einer separaten Taxonomie für umwelt- und klimaschädliche Aktivitäten in eine ferne Zukunft. Und er legte fest, dass die Taxonomie eben nicht auf alle, sondern vor allem auf „grüne“ Finanzprodukte Anwendung fand. Damit erfasst die Taxonomie nur einen kleinen Teil der Aktivitäten der 70 Finanzindustrie: 2021 betrug der Marktanteil nachhaltiger Geldanlagen in Deutschland weniger als zehn Prozent. Auch zahlreiche „Übergangs-“ und „Ermöglichungsaktivitäten“ fanden Einzug in den Text – ein Einfallstor dafür, auch umwelt- und klimaschädliche Aktivitäten mit dem neuen Ökolabel zu versehen, die sich zuhauf in den Portfolios von Fondsgesellschaften, Banken und Versicherungsunternehmen befinden.

Ökolabel für Atomkraft und Erdgas

Dann kam die technische Umsetzung der Taxonomie. Und Teile der Finanzlobby lobbyierten dafür, Erdgas als nachhaltig einzuordnen. Eine Expert*innengruppe der EU-Kommission hatte strikte Kriterien für die Stromerzeugung aus Gas vorgeschlagen: Sie sollte nur dann als nachhaltig gelten, wenn weniger als 100 Gramm CO2 pro Kilowattstunde Strom ausgestoßen würden (100g CO2/kWh). Da Gaskraftwerke meist über diesem Wert liegen, wären sie faktisch aus der Taxonomie geflogen. Dagegen rebellierte die Banken-Lobby. Der Europäische Bankenverband und die AFME (Association for Financial Markets in Europe) schlugen einen laxeren Wert von 350 bis 420g CO2/kWh vor. Auch das Institute for International Finance (IIF) – ein Epizentrum der globalen Finanzlobby mit hunderten Banken, Vermögensverwaltern, Hedgefonds und Versicherungsunternehmen als Mitgliedern – monierte die zu hohen Schwellenwerte. Mit Erfolg: Am Ende wurde für bestimmte Gaskraftwerke der Schwellenwert 270g CO2/kWh eingeführt. Sie gelten jetzt als „grün“.

„Einige der in der Taxonomie verwendeten Schwellenwerte […] sind sehr ehrgeizig und potenziell unrealistisch – insbesondere für die Stromerzeugung aus […] Gasverbrennung.“

Brief des Institute of International Finance (IIF) an die EU Kommission, September 2019

Die AFME, ein Zusammenschluss von etwa 175 Großbanken und anderen Finanzmarktplayern, sprach sich auch dafür aus, Atomkraft als nachhaltige Übergangstechnologie zu deklarieren. Im September 2019 schrieb die Lobbyorganisation: „Wir glauben, dass Atomkraft in Betracht gezogen werden könnte, um kurz- bis mittelfristig die Reduktion von Treibhausgasemissionen zu unterstützen.“ Wenige Monate vorher hatte die AFME mit Verweis auf „die Rolle für Gas und Kernkraft für die Zwischenzeit“ auf eine Taxonomie gedrängt, die eben nicht nur nachhaltige, sondern auch „Übergangsaktivitäten“ erfasst.

Mit solchen Positionen haben Teile der Finanzbranche der fossilen- und Atomindustrie den Weg geebnet und deren Lobbyismus verstärkt. Als die EU-Kommission Anfang 2022 Atomenergie und Erdgas als nachhaltig im Sinne der Taxonomie erklärte, stieß das zwar in Teilen der Branche auf Kritik. Andere freuten sich aber darüber, dass sie nun mehr Produkte als nachhaltig vermarkten konnten. Die Fondsgesellschaft der Deutschen Bank DWS, bei der es nur Monate später wegen Greenwashing-Vorwürfen zu einer Razzia kam, kündigte prompt an, ihre Anlagepolitik zu überprüfen – um möglicherweise auch atomkraft-freundlichen Anleger*innen grüne Fonds anbieten zu können. Auch der Geschäftsführer des Bundesverband Alternative Investments (BAI), der Lobbyverband der Hedgefonds, sagte über Atomenergie und Gas: „Das sind Übergangstechnologien, die auch gebraucht werden. Man sollte sie deswegen nicht verteufeln.“

Greenwashing von 1,4 Millionen Tonnen CO2

Ganz anders sahen das Bürger*innen, Wissenschaftler*innen und Umweltverbände. So halten laut einer von Finanzwende Recherche in Auftrag gegebenen Umfrage 82 Prozent der deutschen Bevölkerung Geldanlagen in Atomkraft für „nicht nachhaltig“. Greenpeace warnte davor, dass die Entscheidung bedeuten könnte, „dass … tatsächlich nachhaltige Projekte das Nachsehen haben.” Und die Deutsche Umwelthilfe sagte: „Jeder Euro, der aufgrund der EU-Taxonomie in fossiles Gas oder Atomkraft fließt, fehlt für eine wirkliche Energiewende.“ Laut Andreas Hoepner, Professor an der Universität Dublin und Mitglied der EU Expert*innengruppe für nachhaltige Finanzen, könnte die Taxonomie nun 1,4 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen mit grünem Label versehen. „Das ist so, als würde man Pommes Frites als Salat bezeichnen.”

Hinweis: Dieser Text ist ein Auszug aus der Studie "Im Auftrag des Geldes" von Finanzwende Recherche. Die vollständige Studie inkl. aller Links und weiterer Quellenangaben finden Sie hier:

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