Organisierte Kriminalität in Nadelstreifen
Der CumEx-Steuerraub und die Politik
Italienische Mafiosi, japanische Yakuza-Gangs, kolumbianische Drogenbosse – organisierte Kriminalität hat viele Gesichter. Auch das weltweite CumEx-Netzwerk aus Banker*innen, Berater*innen und Superreichen gehört dazu. Durch jahrzehntelang industriell betriebenen Steuerraub hat diese Bande dem deutschen Staat Milliarden gestohlen. Möglich wurde ihr Griff in die Staatskasse auch durch den Lobbyismus der Finanzbranche und ihre Nähe zu Staat und Politik.
CumEx war eine perfide Gelddruckmaschine, von der eine ganze Industrie aus Börsenhändler*innen, Banker*innen, Steuerberater*innen und reichen Anleger*innen jahrelang profitiert hat. Durch komplexe Aktiengeschäfte rund um die Dividendenstichtage großer Konzerne ließen sie sich einmal gezahlte Kapitalertragssteuern mehrfach vom Finanzamt erstatten. „Bei Cum-Ex geht es nicht um klassische Steuerhinterziehung“, erklärt der Journalist Oliver Schröm, der den Skandal mit aufgedeckt hat: „Hier greift jemand in die Staatskasse und nimmt sich dort Geld heraus, auf das er gar keinen Anspruch hat.“ Dem Staat wird letztendlich Geld gestohlen. Geschätzter Schaden für den deutschen Fiskus allein durch CumEx: 10 Milliarden Euro.
„Es ging um einen blanken Griff in die Steuerkasse, in die alle Steuerzahler normalerweise einzahlen.“
Wie konnte das passieren?
Copy und Paste vom Bankenverband
Alle entscheidenden Stellen des 2007er Jahressteuergesetzes in Bezug auf CumEx-Geschäfte stammten vom Bundesverband deutscher Banken (BdB). Mit 61 bis 70 Lobbyistinnen und einem jährlichen Lobby-Budget von fast sieben Millionen Euro ist er einer der stärksten Player der Finanzlobby in Deutschland. Schon Anfang 2003 hatte der BdB den „Entwurf eines steuergesetzlichen Formulierungsvorschlags“ an das Finanzministerium geschickt und damit auf CumEx hingewiesen. Ziel des BdB war es keinesfalls, die Geschäfte zu unterbinden, sondern einen klaren gesetzlichen Rahmen dafür zu schaffen. Dabei hätte es statt eines neuen Gesetzes eher zusätzliche Kontrollen gebraucht, um die Deals aufzudecken. Als das Ministerium dann 2005/06 an Formulierungen arbeitete, um die windigen Aktiengeschäfte zu unterbinden, wurde der BdB-Vorschlag wieder aus der Schublade gezogen.
CumEx-Profiteur*innen wie der Steueranwalt Hanno Berger wurden ebenfalls über die Pläne des Ministeriums informiert. Er hatte gerade begonnen, das bis dato von Banken betriebene CumExGeschäft für reiche Investor*innen wie den Immobilienmogul Rafael Roth zu öffnen. Durch teure Gutachten, die CumEx-Deals eine Schein-Legalität verschafften und Beteiligten wie Berger nutzten, spielten auch Anwält*innen und Kanzleien wie Freshfields eine wichtige Rolle in dem Skandal.
Immer wieder wurden der Lobby Informationen aus dem Ministerium zugespielt und Lobbyist*innen um Feedback gebeten. Anfang Februar 2006 schickte der damalige Steuer-Referatsleiter, Michael Gierlich, den aktualisierten Gesetzesentwurf an einen Lobbyisten des BdB. Der leitete den Text an die Steuerexpert*innen des Verbands weiter. Er schrieb: „[…] anbei die überarbeitete Fassung des Gesetzentwurfs […], die uns Herr Gierlich mit der Bitte um „Gegenlesen” zur Verfügung gestellt hat. Erst nach unserer Stellungnahme will er den neuen Entwurf an die Länder schicken. Für Ihre Anmerkungen wären wir Ihnen daher dankbar […].“
„Natürlich haben die Banken kein Interesse daran, ihr höchst lukratives Geschäftsfeld zu zerstören. Und so ist ihr Vorschlag dann auch nicht geeignet, Cum-Ex zu stoppen. Doch das ist dem Bundesfinanzministerium entweder nicht klar oder egal.“
Oliver Schröm, Journalist und Autor von „Die Cum-Ex Files”
Derart bestens informiert hatte die Finanzlobby Zeit, die kommende Gesetzesänderung zu analysieren und die Verlagerung des CumEx-Geschäfts ins Ausland vorzubereiten. Und sie nutzte die Chance, „um die endgültige Fassung in unserem Sinne zu beeinflussen“, wie Hanno Berger 2006 an einen Kollegen schrieb.
Schließlich wurde der Text des BdB so ins Gesetz übernommen, wie es sich die Banken und ihre Berater*innen gewünscht hatten. Und zwar „eins zu eins, ohne dass ein Komma geändert wurde”, so ein Anwalt später vor Gericht. Tatsächlich wurde in einem vom BdB kopierten Absatz der Begründung des Gesetzes gerade einmal ein Buchstabe beim Wort „Leerverkaufes“ gestrichen, wie die Transparenzinitiative abgeordnetenwatch feststellte. Bei einem internationalen Treffen von Banker*innen im Jahr 2008 bezeichnete sich der BdB ganz selbstverständlich als „Initiator“ der entsprechenden Passagen.
Trautes Zusammenspiel: Finanzlobby und Ministerium
Nach einem anonymen Hinweis auf anhaltende Milliardenschäden für den Fiskus versuchte das Finanzministerium im März 2009 erneut, CumEx zu beenden. Wieder bezog das Ministerium die Finanzlobby eng in seine Überlegungen ein. „Das gehört ja mit dazu“, sagte ein Beamter später lapidar vor dem CumEx-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages.
„Der Austausch mit Bankenverbänden gehört natürlich zum alltäglichen Geschäft eines Steuerbeamten im Bundesfinanzministerium.“
Florian Scheurle, ehemaliger Steuer-Abteilungsleiter im Finanzministerium
Im Detail forderten die Verbände unter anderem, Publikumsfonds von den neuen Regeln auszunehmen. Das Finanzministerium übernahm den Vorschlag – erneut mit der Folge, dass Beteiligte darin ein Schlupfloch sahen. So schrieb ein Banker triumphierend von einem „Riesen-Scheunentor” für CumEx-Deals. Nach 2009 lief der CumEx-Reibach über Pensionsfonds weiter.
Maulwurf im Ministerium
Bei ihren Lobbybemühungen konnten die Banken besonders auf einen Mitarbeiter im Finanzministerium setzen, der ihnen wohlgesonnen war: Arnold Ramackers. Der Finanzrichter arbeitete ab 2004 vier Jahre in der Steuerabteilung. Er leitete 2004/05 den Gesetzesvorschlag des BdB an die Bundesländer weiter, bügelte Kritik daran ab und kopierte schließlich fast wortgleich die BdBFormulierungen ins Gesetz, die CumEx-Geschäfte legal erschienen ließen. 2007 sorgte er dann dafür, dass Hinweise eines Bundestagsabgeordneten auf anhaltende Cum-Ex Betrügereien nicht die Ministeriumsspitze erreichten. Mitte 2008 ließ er sich beurlauben. Im Urlaub erhielt Ramackers von vier Lobbyverbänden Geld für Gutachten, darunter der BdB und der Sparkassen- und Giroverband. Zeitgleich agierte er aber weiter als eine Art informeller Sachverständiger des Finanzministeriums. Laut seinem früheren Vorgesetzten wurde er „ab und zu mal intern […] eingeschaltet“ und nahm sogar an Sitzungen im Ministerium und in Bund-Länder-Gruppen teil.
„CumEx wurde nicht nur von einer kleinen Clique gieriger Banker begangen. Es war ein ganzer Industriezweig, bestens vernetzt in Finanzverwaltung, Politik, Wissenschaft – und eben in die Medien. Eine ,neue Form organisierter Kriminalität‘.“
Die Warburg Bank und die Hamburger SPD
Inzwischen stehen die ersten CumEx-Akteur*innen vor Gericht, erste Urteile sind gefallen und die ursprünglichen Geschäfte unterbunden. Die Saga der Lobby-Affären rund um den größten Steuerraub der deutschen Geschichte ist aber noch nicht vorbei. Seit 2021 untersucht ein Ausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft, ob Olaf Scholz und andere SPD-Größen wie Peter Tschentscher Einfluss auf die Finanzverwaltung genommen haben, auf Millionen von Steuerrückzahlungen der Warburg Bank zu verzichten. Die Hamburger Bank hatte mit CumEx-Geschäften dreistellige Millionenbeträge ergaunert, die sie inzwischen zurückzahlen musste.
2016 und 2017 hatte die Warburg Bank vehement versucht, die Rückzahlung der gestohlenen Gelder an das Finanzamt zu verhindern. Dazu traf sich der Bankeigner Christian Olearius mit Hamburger SPDGrößen, darunter Ex-Vize-Bürgermeister Alfons Pawelczyk, der damalige Bundestagsabgeordnete und SPD-Bezirksvorsitzende Johannes Kahrs sowie der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz. Olearius bemühte in den Gesprächen das Horrorszenario der existenzbedrohten Bank. Kahrs und Pawelczyk wurden vornehm von ihm zum Essen eingeladen, 2017 erhielt die Hamburger SPD Spenden der Warburg Bank und verbundener Gesellschaften. Bis heute schwebt der Verdacht über den Spenden, sie könnten eine Gegenleistung für die Mühen der SPD-Größen gewesen sein. Noch im April 2019 – die Ermittlungen gegen Warburg waren längst bekannt – trafen sich Kahrs, Olearius und der damalige Finanz-Staatssekretär Jörg Kukies (SPD) an einem „stillen Plätzchen“ in Berlin zum Frühstück.
Nach solchen Treffen gab sich der Banker stets hoffnungsvoll. Und tatsächlich entschied die Hamburger Finanzbehörde, dass die Warburg Bank die CumEx-Beute nicht zurückzahlen musste. Kurz zuvor hatte der damalige Finanzsenator und heutige Hamburger Bürgermeister, Peter Tschentscher (SPD), ein Schreiben der Bank in Chefsache-Manier an die Behörde weitergeleitet. Tschentscher habe damit politischen Einfluss auf die Mitarbeiter*innen der Behörde ausgeübt, argumentieren Expert*innen wie der frühere Hamburger Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU). „Das ist der Beginn einer Einflussnahme, wenn etwas über den Finanzsenator in den steuerlichen Apparat eingespeist wird“, so Peiner im August 2022 vor dem Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgschaft.
„Ich meine, sein zurückhaltendes Verhalten so auslegen zu können, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen.“
Christian Olearius, Eigner der Warburg Bank, über ein Treffen mit Olaf Scholz im November 2017
Hinweis: Dieser Text ist ein Auszug aus der Studie "Im Auftrag des Geldes" von Finanzwende Recherche. Die vollständige Studie inkl. aller Links und weiterer Quellenangaben finden Sie hier:
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Anhörung im CumEx-Untersuchungsausschuss
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