Bericht zur Finanzlobby: Im Auftrag des Geldes

Rendite statt Rente

Die nie enden wollende Kampagne für die Riester-Rente

09.12.2022

2002 eröffnete die rot-grüne Teilprivatisierung der Altersvorsorge ein lukratives neues Geschäftsfeld für die Finanzbranche. Über 16 Millionen Riester-Renten-Verträge haben Banken, Versicherungsunternehmen, Fonds und Wohnriester-Anbieter seitdem abgeschlossen, üppig subventioniert aus Steuergeldern. Für die Sparer*innen springt dabei bisweilen nur ein mickriges Taschengeld heraus. Trotzdem gelang es der Finanzlobby bis heute, die Subventionsmaschine Riester-Rente am Leben zu erhalten – und sogar auszuweiten.

Wie Honigkuchenpferde strahlten der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder und Arbeitsminister Walter Riester (beide SPD) als sie im Mai 2001 auf einer Pressekonferenz die Verabschiedung ihrer Rentenreform verkündeten. Nachdem das Niveau der gesetzlichen Rente gekürzt worden war, sollte die entstandene Vorsorge-Lücke durch staatlich geförderte private Altersvorsorge-Verträge geschlossen werden. Am Ende habe jede*r Rentner*in sogar mehr Geld in der Tasche als vorher, versprach Riester. Er wurde zum Namensgeber der neuen privaten Zusatzrente, die zum 1. Januar 2002 in Kraft trat.

Es war der Bruch mit der Alterssicherung der Nachkriegszeit und der paritätisch finanzierten Rente. Denn während die Arbeitgeber*innen seitdem nur noch ihren gesetzlichen Beitragssatz zahlen müssen, kompensieren allein die Beschäftigten das niedrigere Rentenniveau mit zusätzlichen privaten Vorsorge-Produkten. Davon profitieren vor allem die Anbieter*innen von Versicherungen, Bank- und Fonds-Sparplänen. Die einst guten Leistungen der gesetzlichen Rente hatten ihr Geschäft zuvor eingeschränkt, nun erwarteten sie ein Jahrhundertgeschäft. Ein „Segen für die Finanzbranche“, so die ABN Amro Bank zur Rentenreform.

„Je madiger die Rentenversicherung gemacht wird, umso mehr klingelt das Geld in den Kassen der Allianz. Darum geht es und um sonst nichts.“

Norbert Blüm, CDU, Bundesarbeitsminister 1982 bis 1998

Privatisierungs-PR und Wissensmanagement

Laut der Volkswirtin Diana Wehlau, die den Einfluss der Finanzlobby auf die Alterssicherung ausgiebig untersucht hat, war die Teilprivatisierung der Altersvorsorge Ergebnis einer langjährigen PR-Kampagne. Versicherungskonzerne, Banken und Kapitalanlagegesellschaften machten Stimmung gegen das umlagefinanzierte Rentensystem und trommelten für die private kapitalfundierte Altersvorsorge als einzig mögliche Antwort auf die alternde Gesellschaft. Dazu steigerten die Lebensversicherungsunternehmen ihre Brutto-Werbeaufwendungen zwischen 1995 und 2000 um 55 Prozent, die Großbanken um 58 Prozent und die Finanzanlage- und Fondsgesellschaften um sage und schreibe 651 Prozent.

Unterstützt wurde die Finanzlobby von vermeintlich unabhängigen Instituten wie dem 1997 von der Deutschen Bank gegründeten Deutschen Institut für Altersvorsorge (DIA), dem von Arbeitgeber*innenverbänden finanzierten Institut der deutschen Wirtschaft (IW) sowie seiner Tochtergesellschaft, der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). An der Universität Frankfurt investierte der Bundesverband Investment- und Asset Management (BVI) in die Gründung eines eigenen Lehrstuhls „Investment, Portfolio Management und Alterssicherung“. Zudem unterhielt die Lobby enge Beziehungen zu einflussreichen Wissenschaftler*innen. Mit teils unhaltbaren Prognosen schürten sie die Angst vor dramatisch steigenden Rentenbeiträgen und der Ausbeutung der jungen durch die alte Generation – und präsentierten die private Altersvorsorge als einzig möglichen Ausweg. Dass auch sie ihre Risiken hat, wurde geflissentlich verschwiegen.

„Wir haben in der Diskussion sicherlich eine glückliche Rolle gespielt.“

„Wissensmanagement“ nannte Hans Schreiber, damals Chef der Mannheimer Versicherungen und Präsident des Arbeitgeber-Verbands der Versicherungsunternehmen (AGV), die Strategie der von der Finanzlobby finanzierten pseudowissenschaftlichen Aufklärung. Als Walter Riesters Pläne für die Rentenreform im Jahr 2000 deutlich wurden, sah Schreiber darin einen Erfolg der Versicherungsbranche. „Wir haben in der Diskussion sicherlich eine glückliche Rolle gespielt“, sagte er. Die zahlreichen Parallelen zwischen den Positionen der Branche und den ersten Vorschlägen aus Riesters Arbeitsministerium gaben ihm Recht.

Spendensegen

Nebenbei wurde die Politik mit Großspenden bedacht. Zwischen der Ankündigung der Rentenprivatisierung 1998 und ihrem Inkrafttreten 2002 spendete die Finanzbranche 4,5 Millionen Euro an die Parteien – doppelt so viel wie in der vorherigen Legislaturperiode. 2001 überstiegen die Spenden der Finanzlobby erstmals die Eine-Million-Euro-Marke. Fast eine halbe Million Euro – zwölfmal so viel wie im Wahljahr 1994 – kamen vom Versicherungskonzern Allianz, bis heute einer der Hauptanbieter von Riester-Rentenprodukten. „Politische Landschaftspflege im Vorfeld wichtiger Entscheidungen“ nennt das die Lobbyismus-Forschung.

In der Regierung stieß die Finanzlobby auf offene Ohren. In der Entwurfsphase der Rentenreform wurde vor allem der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) aktiv eingebunden. Mit zwischen 141 und 150 Lobbyist*innen und einem jährlichen Lobby-Budget von gut 15 Millionen Euro allein auf Bundesebene ist er einer der stärksten Player der Finanzlobby in Deutschland. Aber auch der Bundesverband deutscher Banken (BdB) und der Bundesverband Investment- und Asset Management (BVI) wurden früh konsultiert. Unter Hans Eichel (SPD) hatte sich das Finanzministerium neben dem Arbeitsministerium eine Schlüsselrolle in der Rentendebatte gesichert, es fungierte als Einfallstor für die Lobbyist*innen der Finanzbranche. Später tauchten diese in Anhörungen, vertraulichen Hintergrundgesprächen und auf parlamentarischen Abenden wieder auf.

„Die Teilprivatisierung der Rente im Jahr 2001 war besonders stark durch die Finanzlobby beeinflusst, soviel ist klar. […] hierbei handelt es sich um ein Geflecht aus vielen Akteuren: Banken, Versicherungen und auch Finanzdienstleister wie AWD.“

Spenden der Finanzbranche an die Bundesparteien

Die Grafik zeigt die Spenden der Finanzbranche an die Bundesparteien, die von 2004 nach 2005 deutlich gestiegen sind.

Quelle: WSI Mitteilungen 6/2012

Lobby-Erfolg dank personeller Verpflichtungen

Der Lobbyismus der Finanzbranche hatte Erfolg. Am Ende des Gesetzgebungsverfahrens wurden zahlreiche Details des Altersvermögensgesetzes in ihrem Sinne verändert. So wurde das Förderverfahren für Riester-Rentenprodukte vereinfacht, Bank- und Fonds-Sparpläne wurden zusätzlich zu Rentenversicherungen als geförderte Geldanlage aufgenommen. Damit letzteres möglich wurde, erarbeiteten das Finanzministerium, das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen und der vom Bundesverband Investment- und Asset Management (BVI) geförderte Lehrstuhl an der Universität Frankfurt eine spezielle Lösung, mit der die Fondswirtschaft die hohen Eigenkapitalauflagen der Förderung von Riester-Produkten umgehen konnte.

Personelle Verflechtungen mit der Politik halfen der Finanzlobby beim Zugang zu Entscheidungsträger*innen. Von den Bundestagsabgeordneten der Legislaturperiode, in der die Riester-Rente verabschiedet wurde, waren mehr als jede*r zehnte mit der Finanzbranche verbandelt, ob als Aufsichtsrat-Mitglied, wegen einer vorherigen Berufs- oder einer Nebentätigkeit. Im Finanzausschuss war fast jedes fünfte Mitglied (18 Prozent) mit der Branche verbunden, darunter die Ausschussvorsitzende Christine Scheel von den Grünen (damals im Beirat der Barmenia und der Hamburg Mannheimer Versicherung). Hansgeorg Hauser von der CSU, ehemaliger Finanz-Staatssekretär und ebenfalls Mitglied im Finanzausschuss, wurde parallel zu seinem Mandat als Abgeordneter ab 2000 von der Commerzbank bezahlt: als „Beauftragter des Vorstands [für] die Pflege der Beziehungen zu Politik, Parteien“. Auf mögliche Interessenkonflikte angesprochen antwortete Hauser, er habe sich schon immer als Lobbyist für den gesamten Finanzbereich gesehen.

Die sprudelnden Gewinne des Carsten Maschmeyer

Trotz des Erfolgs der Finanzlobby schwächelte die Nachfrage nach Riester-Rentenprodukten erst einmal. Das änderte sich nach der nächsten großen Reform 2004/05. Sie hob sechs von elf Kriterien auf, die ein Finanzprodukt erfüllen musste, um als Riester-Rente staatlich gefördert zu werden. Zudem mussten Vermittler*innen nur noch halb so lang auf ihre Verkaufsprovisionen warten. Der Abschluss von Verträgen wurde für sie damit attraktiver. Plötzlich boomte das Geschäft mit der Riester-Rente.

Auf die Änderungen hatte neben der Versicherungsbranche vor allem die Lobby der Finanzvermittler*innen hingewirkt. Diese bringen Finanzprodukte im Auftrag von Banken, Fonds und Versicherungsunternehmen an die Leute. Mittendrin: Carsten Maschmeyer, Gründer des Allgemeinen Wirtschaftsdiensts (AWD) und heute Milliardär mit gewichtigen Freund*innen in Politik und Medien. 1998 hatte er die Kanzlerkandidatur des Renten-Privatisierers Gerhard Schröder (SPD) mit einer 650.000 D-Mark teuren Anzeigenkampagne unterstützt. Später nutzte Maschmeyer den persönlichen Kontakt zum Kanzler, um die Rahmenbedingungen bei der Riester-Rente so zu verändern, dass sie für die Vermittler*innen profitabler wurde. In ihrem Buch „Geld Macht Politik” zeigen die Journalisten Wigbert Löer und Oliver Schröm anschaulich, wie sich Maschmeyer über private Gespräche in Villen, auf Partys und beim Fußball immer besseren Zugang zum Kanzleramt verschaffte.

„Herr Schröder hat mit mir besprochen, dass wir uns Ende dieser Woche – möglichst bei ihm zuhause – treffen, um […] über Pensionsreform/Riester-Rente/Lebensversicherungsbesteuerung zu sprechen […] Herr Schröder deutete an, dass ihm Freitag- oder Samstagabend am liebsten wäre.“

Carsten Maschmeyer an die Büroleiterin des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder

Und das mit Erfolg. Nach der Rentenreform wurde die private Altersvorsorge einer der Umsatzschwerpunkte des AWD. Der Aktienkurs stieg und Maschmeyer schrieb von „hervorragenden Arbeitsbedingungen“ für den Vertrieb von Finanzprodukten. Nach der Verlagerung von der staatlichen zur privaten Altersvorsorge stehe die Branche „vor dem größten Boom, den unsere Branche je erlebt hat”, sagte er. „Es ist jedoch so, als wenn wir auf einer Ölquelle sitzen. Sie ist angebohrt, sie ist riesig groß, und sie wird sprudeln.“

Ein Teil der sprudelnden Gewinne landete bei denen, die die Riester-Rente politisch vorangetrieben hatten. So finanzierte Maschmeyer Schröders Autobiographie, deren Urheberrechte er für zwei Millionen Euro erwarb. Der frühere einflussreiche Regierungsberater Professor Dr. Bert Rürup, einer der Hauptverfechter von Schröders Rentenreform, arbeitete 2009 als Chefökonom für den AWD und gründete 2010 gemeinsam mit Maschmeyer ein Beratungsunternehmen zur Alters- und Gesundheitsvorsorge. Walter Riester wurde nach Ende der rot-günen Koalition zu einem der Bundestagsabgeordneten mit den meisten Nebenverdiensten – dank gut bezahlter Reden für den AWD und als Berater für die Maschmeyer-Rürup AG.

Versicherungslobby verschleiert Riester-Desaster

Viele Sparer*innen profitierten hingegen kaum von der Riester-Rente. Seit Jahren berichten Verbraucherschützer*innen und Medien über die hohen Kosten der Anbieter von Riester-Rentenprodukten und über intransparente Konditionen. So fließt laut einer Finanzwende-Auswertung aus dem Dezember 2020 bei einem durchschnittlichen Riester-Vertrag nahezu jeder vierte eingezahlte Euro in die Kosten. „Die heutige Riester-Rente ist keine Altersvorsorge mehr, sondern bringt nur ein mickriges Taschengeld“, urteilte Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten deshalb schon 2019. Und kritisierte Riester-Rentenprodukte, die Sparer*innen über den Tisch ziehen, als „legalen Betrug mit staatlicher Unterstützung”.

„Ich würde sagen, dass die Riester-Rente insgesamt ein ziemliches Geschenk an die Finanzindustrie, insbesondere an die Versicherungswirtschaft war. […] Der Verbraucher verliert.“

Dorothea Mohn, Finanzexpertin beim Bundesverband der Verbraucherzentralen

Die Politik erkenne selber, dass die Riester-Rente gescheitert ist, finden Expert*innen wie Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband. Es fehle ihr aber die Klarheit und der Mut, Riester entsprechend zu beenden und eine neue Lösung zu entwickeln. Der extreme Lobbyismus seitens der Versicherungswirtschaft und ihrer Vertriebe dürfte hierfür verantwortlich sein. Für den Wunsch der Verbraucher*innen nach einer guten ergänzenden privaten Altersvorsorge sei das ein Schlag ins Gesicht, so Mohn. Dabei gehe es nicht nur darum, den Markt mit Riester-Renten-Produkten zu erhalten und auszuweiten, erklärt der ehemalige Vorstandsprecher des Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein. Es gehe auch darum, ein Image-Desaster zu verhindern. „Das Scheitern der Riester-Rente als Symbol für das Versagen der Versicherungsbranche soll um jeden Preis verhindert werden“, so Kleinlein. Der rot-grün-gelbe Koalitionsvertrag von 2021 jedenfalls schweigt sich zu einer möglichen Abschaffung der Riester-Rente vielsagend aus.

Hinweis: Dieser Text ist ein Auszug aus der Studie "Im Auftrag des Geldes" von Finanzwende Recherche. Die vollständige Studie inkl. aller Links und weiterer Quellenangaben finden Sie hier:

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