Pingpong mit der Gummiwand

Folge 2: Verbraucheranwalt Dr. Wolfgang Jäckle über den ewigen Ärger mit der Inkassobranche – und warum er trotzdem einen Lichtstreif am Horizont sieht.

19.10.2023

„Zu Inkasso habe ich 1977 promoviert. Das liegt jetzt schon lange zurück und seither hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Das eigentlich Überraschende ist: Durch die juristische Brille betrachtet, sind die Probleme heute im Grunde noch immer die gleichen.

​Die Inkassobranche genießt keinen guten Ruf. Um das herauszufinden, genügt ein Blick in Internetforen, wo sich Verbraucher austauschen. Und nach meiner Erfahrung hat die Branche ihren Ruf durchaus zu Recht. Das liegt am Geschäftsmodell: Es geht darum, Menschen dazu zu bringen, dass sie offene Rechnungen bezahlen. Dies geht so weit prinzipiell in Ordnung. Aber zuzüglich werden meist hohe Inkassokosten verlangt, und nicht selten müssen die Leute diese Kosten von Rechts wegen eigentlich gar nicht zahlen.

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Natürlich macht eine Dienstleistung wie Inkasso im Wirtschaftsleben grundsätzlich Sinn – zum Beispiel für einen Handwerker, dessen Kunde nicht zahlt. Anstatt sich selbst darum kümmern zu müssen, beauftragt er dann eine Inkassofirma, das Geld für ihn einzutreiben. Dafür schuldet er der Firma eine Vergütung, die der Schuldner bezahlen muss, weil er mit der Bezahlung der Rechnung in Verzug geraten ist. So weit, so nachvollziehbar.

„Sehr viele Menschen zahlen bei Inkassoschreiben einfach aus Angst vor möglichen Gerichtsverfahren oder Mahnbescheiden.“

Vieles von dem, was am Markt läuft, hat mit dieser Ursprungsidee allerdings herzlich wenig zu tun. So sollen die Schuldner häufig Inkassokosten bezahlen, die sie gar nicht schulden, weil die Einschaltung des Inkassounternehmens rechtlich gar nicht zulässig war. Einige Unternehmen arbeiten auch mit Einschüchterung wie häufigen Telefonanrufen oder der Ankündigung eines überraschenden Hausbesuchs und solchen Geschichten. Sehr viele Menschen zahlen bei Inkassoschreiben auch einfach aus Angst vor möglichen Gerichtsverfahren oder Mahnbescheiden.

Vielen Inkassodienstleistern spielt das natürlich in die Karten. Sie setzen vielfach auf die Unwissenheit und Hilflosigkeit der Verbraucher. Sie lassen die Menschen einfach auflaufen, weil sie im Zuge der digitalisierten Einzugsverfahren auf deren individuelle Einwände viel zu selten eingehen. Regelmäßig verlangen sie vom Schuldner Kosten, die sie ihren Auftraggebern gar nicht in Rechnung stellen.

Hintergrund: Inkasso fordert Geld und Nerven

Inkassounternehmen treiben für andere Firmen und Privatpersonen deren offene Rechnungen ein. Das ist natürlich per se unangenehm für die betroffenen Schuldner*innen. Doch auch sonst läuft in Sachen Inkasso manches zum Nachteil für die Verbraucher*innen – zum Beispiel, weil sie sich mit überhöhten oder gar völlig unberechtigten Kosten konfrontiert sehen oder keine Ansprechpartner*innen finden.

Inkassofirmen übergeben laut dem Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen jedes Jahr mehr als 20 Millionen Forderungen an säumige Schuldner*innen. Bundesweit dürften mehr als 500 Inkassounternehmen tätig sein.

Eines der größten Unternehmen der Branche ist EOS, der Geldeintreiber vom Versandhändler Otto. Seine Inkassogeschäfte prägen die Finanzsparte des Otto-Konzerns, welche in den Geschäftsjahren 2022 bis 2023 mit einem Plus von 450 Millionen Euro maßgeblich zum Konzerngewinn beitrug. Weitere große Akteur*innen in Sachen Inkasso sind etwa Riverty – die Inkassotochter der Bertelsmanngruppe – oder die Bad Homburger Inkasso GmbH, welche für die Sparkassen-Forderungen eintreibt.

Konzerninkasso als Gewinnmaschine

Ein beliebtes Modell, um Geld zu verdienen, ist für diese drei Unternehmen das sogenannte Konzerninkasso. Bei diesem Geschäftsmodell generiert der Konzern zusätzliche Gewinne mithilfe säumiger Schuldner*innen. Die Firmen lagern dazu die Einziehung offener Forderungen an ein Tochterunternehmen aus. Fortan behandelt die Inkassotochter die offenen Forderungen, so als kämen sie von Dritten.

Mit diesem Verfahren können die Konzerne relativ geringe Mahngebühren in hohen Inkassokosten ummünzen. Diese Vorgehensweise dürfte jedoch rechtlich nicht zulässig sein. Das Oberlandesgericht Hamburg urteilte kürzlich in einem Musterfeststellungsverfahren, an dem sich rund 680 Verbraucher*innen beteiligt hatten zugunsten der Verbraucherseite.

Kund*innen finden kein offenes Ohr

Häufig berichten Verbraucher*innen außerdem, dass sie keine Ansprechpartner*innen erreichen, wenn sie Rückfragen oder Einwände zu Inkassomahnungen haben. Der Hintergrund: Inkassounternehmen bearbeiten mittlerweile oft große Mengen an Forderungen und haben ihre Prozesse digitalisiert. Das ist natürlich kostengünstig, macht es aber schwierig für Kund*innen, die Nachfragen haben.

Erdichtete Kosten, echte Gewinne

Ein Beispiel für den kreativen Umgang mit Inkassokosten ist die Sache mit der Erfolgsprovision – das ist ein wenig bekanntes, aber weit verbreitetes Vergütungsmodell. Das Prinzip: Ein Gläubiger mit vielen notleidenden Forderungen wie ein Versandhaus vereinbart, dass ein Inkassounternehmen diese Forderungen eintreiben darf. Der Gläubiger muss dafür nichts bezahlen, sondern der Inkasso-Dienstleister darf im Erfolgsfall 5 oder 10 Prozent der beim Schuldner eingetriebenen Summe behalten. Darüber hinaus stellt das Inkassounternehmen den Schuldnern Kosten in einer Höhe in Rechnung, wie sie bei der Beauftragung eines Rechtsanwaltes angefallen wären.

Dieses Modell ist unfair für Verbraucher. Denn sie müssen eigentlich nur Inkassokosten erstatten, die auch tatsächlich angefallen sind. Bei solchen Erfolgsprovisionen ist das aber nicht der Fall. Wenn der Gläubiger keine Inkassovergütung gezahlt hat, hat er keinen Schaden erlitten und er hat deswegen meiner Ansicht nach keinen Erstattungsanspruch gegenüber dem Schuldner.

Erfolgsprovisionen sind dennoch sehr verbreitet und werden auch im sogenannten Konzerninkasso genutzt. Das ist auch so eine Masche zum Geldverdienen: Ein Unternehmen lagert das Eintreiben seiner Forderungen konzernintern an ein Tochterunternehmen aus, welches einen völlig anderen Namen trägt – und tut dann so, als ob sich Konzernmutter und Inkassotochter völlig fremd wären.

„Das ist gar kein Inkasso im rechtlichen Sinne, das ist ein Geschäftsmodell.“

Ohne diese Auslagerung dürfte den Schuldnern nur der überschaubare Betrag von 3 Euro pro Mahnung berechnet werden. Das konzerneigene Inkassounternehmen verlangt demgegenüber ungleich höhere Kosten. Und diese Kosten führen zu satten Gewinnen, die alle dem Konzern zufließen. Das ist gar kein Inkasso im rechtlichen Sinne, das ist ein Geschäftsmodell.

Dazu hat das Oberlandesgericht Hamburg kürzlich in einem wegweisenden Urteil festgestellt: Bei Konzerninkasso werden nur fiktive Kosten geltend gemacht, die Gläubiger haben keinen echten Schaden erlitten. Der Fall liegt jetzt vor dem Bundesgerichtshof. Die Chancen stehen gut, dass diesem viel genutzten Geschäftsmodell nun endlich ein Riegel vorschoben wird.

Der Maschinerie ausgesetzt

Die Schuldner sind in einer schwierigen Situation, wenn sie einmal in die Inkassomühle geraten. Das geht ja schnell – zum Beispiel, wenn jemand bestellte Ware zurückschickt, dabei irgendwas schiefgelaufen ist und er trotzdem Inkasso-Mahnungen bekommt. Jetzt sucht er einen Ansprechpartner. Meldet sich der Kunde beim Inkassounternehmen, sagen die: „Das ist nicht unsere Angelegenheit, bitte wenden Sie sich an den Händler“. Und der Händler sagt: „Es tut uns leid, wir haben das an das Inkassounternehmen abgegeben und sind dafür jetzt nicht mehr zuständig“. Das ist eine Art Pingpong.

„Es ist ein bisschen so, als würdest Du immer wieder gegen eine Gummiwand laufen.“

Hinzu kommt: Bei dem Massengeschäft der Inkassounternehmen ist sehr viel automatisiert. Das heißt: Du sprichst statt mit Menschen immer häufiger nur noch mit Chatbots. Das ist eine Maschinerie, der Du ausgesetzt bist. Es ist ein bisschen so, als würdest Du immer wieder gegen eine Gummiwand laufen. Und ich befürchte, dieses Problem verschärft sich noch mit dem zunehmenden Einsatz von künstlicher Intelligenz.

Gleichzeitig ist es für Verbraucher schwierig, Hilfe zu bekommen. Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungen sind chronisch überlastet; Termine gibt es manchmal erst in zwei oder drei Monaten. Und Anwälte sind häufig nicht interessiert, weil es um kleine Summen geht. Die Mandate sind also nicht lukrativ und erfordern obendrein Spezialkenntnisse.

Inkassoprobleme? Bloß nicht verstecken!

Letztes Jahr wandte sich zum Beispiel ein Bekannter mit so einer Sache an mich. Das Inkassounternehmen Intrum Holding Deutschland GmbH hatte ihn aufgefordert, 800 Euro zu zahlen – zuzüglich Inkassokosten. Für Sportuhren, die er angeblich vor vier Jahren beim Elektronikhändler Conrad Electronic SE gekauft hatte. Aber mein Mandant war sich sicher, dass er diese Sachen nie bestellt hat. Außerdem war die Ware auch nicht an seine Wohnadresse in Berlin gegangen, sondern nach Norddeutschland. Es lag also die Vermutung nahe, dass jemand anders auf seinen Namen bestellt hatte.

„Wenn sich ein Anwalt meldet, lenkt die Inkassobranche oft schnell ein.“

Als ich eingeschaltet wurde, habe ich dem Inkassounternehmen geschrieben, es solle erst mal nachweisen, dass mein Mandant die Sportuhren gekauft hatte. Das konnten sie aber nicht. Und damit war die Sache erledigt. Das ist typisch. Wenn sich ein Anwalt meldet, lenkt die Inkassobranche oft schnell ein.

Verbraucher sollten bei Inkassoproblemen unbedingt handeln und den Kopf nicht in den Sand stecken – und zwar selbst dann, wenn sie für die Sache gar nichts können. Es schadet nur, die Zahlungsaufforderungen beiseite zu legen und nichts zu tun. Das zeigen alle Erfahrungen.

Die Moral bleibt oft außen vor

Im Sportuhren-Fall gab es sogar noch einen weiteren Punkt, warum mein Mandant nicht zahlen musste. In der Regel dürfen Verkäufer solche Kaufpreis-Forderungen nur drei Jahre lang geltend machen, danach verjährt ihr Anspruch. In diesem Fall war die angebliche Forderung aber schon vier Jahre alt. Als Kunde kann man der Inkassofirma dann einfach sagen: „Ich muss nicht mehr zahlen, die Forderung ist verjährt“. Aber wer kennt schon diese Verjährungsfristen?

Auch das scheint mir eine Masche der Inkassounternehmen zu sein. Sie probieren, das Geld einzutreiben und setzen hier auf die Unwissenheit der Schuldner. Rein rechtlich geht das, solange sich die Käufer nicht auf die eingetretene Verjährung berufen. Auch viele große Inkassounternehmen machen dabei mit. Die Moral bleibt, glaube ich, hierbei aber ziemlich auf der Strecke.

Wehrt Euch

Es liegt also wirklich noch vieles im Argen. Ich wünsche mir deshalb, dass mehr Verbraucher den Mut haben, sich zu wehren. Das setzt voraus, dass sie sich ein bisschen auskennen oder schlau machen. Das ist wichtig.

„Bisher liegt die Aufsicht über Inkassounternehmen noch bei den Gerichten. Aber wer geht da schon hin? Das ist völlig lebensfremd.“

Es kommt aber auch darauf an, dass der Staat genauer hinschaut: und zwar bei der Aufsicht. Bisher liegt die Aufsicht über Inkassounternehmen noch bei den Gerichten. Aber wer geht da schon hin? Als ob, sagen wir mal, eine ältere Dame sich bei einem Oberlandesgericht über ein Inkassounternehmen beschweren würde. Das ist völlig lebensfremd.

Hier steht aber eine Verbesserung an: Erfreulicherweise wird es ab 2025 eine zentralisierte Inkassoaufsicht bei einer Behörde geben. Davon verspreche ich mir viel: Die Aufsicht kann dann Meldewege einrichten über Onlineformulare, wo sich Verbraucher viel leichter beschweren können als bisher. Sie kann feststellen, bei welchen Inkassounternehmen sich die Beschwerden häufen und so schwarze Schafe identifizieren. Das fehlt bisher.

Kurzum: Wegen der neuen Rechtsprechung und der Änderung bei der Aufsicht bin ich ganz hoffnungsvoll, dass sich die Dinge mittelfristig doch noch zum Besseren wenden. Dies ist aber auch dringend nötig.“

Inkasso? Was Sie tun können

Wenn ein Inkassobrief ins Haus flattert, zahlen viele Menschen die Rechnung blindlings – schon aus Angst vor weiteren Kosten. Doch das ist nicht immer sinnvoll. Zuweilen sind die Forderungen nicht berechtigt, die Gebühren zu hoch oder die Inkassofirma selbst ist unseriös. In jedem Fall sollten Sie aber auf ein Inkassoschreiben reagieren.

  • Unseriöse Firmen: Inkassounternehmen müssen bei Gerichten registriert und zugelassen sein, damit sie Geld eintreiben dürfen. Unter rechtsdienstleistungsregister.de können Sie gratis einsehen, welche Anbieter*innen gelistet sind. Falls Sie eine Zahlungsaufforderung von einer Inkassofirma erhalten haben, die dort nicht gelistet ist, sollten Sie erst einmal nicht zahlen, sondern der Forderung widersprechen. Mehr Informationen zu unseriösem Inkasso finden Sie auf der Website der Stiftung Warentest.
  • Forderung prüfen: Auch seriöse Inkassounternehmen erheben zuweilen unberechtigte Forderungen. Prüfen Sie daher erst, ob Sie überhaupt zahlen müssen und ob die geforderte Summe gerechtfertigt ist. Dazu bieten die Verbraucherzentralen online einen kostenlosen Inkasso-Check
  • Zügig zahlen: Wenn die Forderung berechtigt ist und die Inkassokosten gerechtfertigt sind, sollten Sie möglichst schnell bezahlen. Sonst kann es noch teurer werden.
  • Widerspruch anmelden: Wenn eine Forderung ganz sicher unberechtigt ist oder die Inkassokosten zu hoch sind, sollten Sie formal widersprechen. Dazu können Sie diesen Musterbrief In diesem Fall sollten Sie sich nicht von weiteren Schreiben einschüchtern lassen, aber eventuell Rechtsrat bei einer Verbraucherzentrale oder Schuldnerberatungsstelle suchen.

Ein Inkassounternehmen, das einem Konzern selbst angehört und trotzdem von den Schuldner*innen die Bezahlung von Inkassokosten verlangt, handelt nach Ansicht des Oberlandesgerichts Hamburg rechtswidrig. (Az. 3 MK 1/21). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da Revision eingelegt wurde.

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