Bericht zur Finanzlobby: Im Auftrag des Geldes

Auf Kosten der Verbraucher*innen

Provisionsvertrieb bei Finanzprodukten

09.12.2022

Zehntausende hatten in der Krise 2008/09 mit dubiosen Finanzprodukten viel Geld verloren. Danach sollte ein Verbot von Verkaufsprovisionen für Finanzvermittler unlauteren Vertriebsmethoden ein Ende bereiten. Nie wieder sollte der Vertrieb Verbraucher*innen zu riskante und zu teure Produkte aufdrängen – nur, weil beim Verkauf eine üppige Provision winkt. Doch in Berlin und Brüssel verhinderte die Branche das Provisionsverbot.

Wenn Sparkassen- oder Volksbanken-Verkäufer*innen dazu raten, in einen Fonds zu investieren oder der*die Vermittler*in aus dem Bekanntenkreis zu einer Lebensversicherung rät, dann unterliegen sie einem massiven Interessenkonflikt. Denn beim Vertrieb von Finanzprodukten kassieren die vermeintlichen Berater*innen teils hohe Provisionen von den Anbieter*innen – ein Anreiz, sich daran und weniger am Bedarf der Kund*innen zu orientieren. Die Folge: Falschberatung und schlecht informierte Verbraucher*innen, die mit teuren oder ungeeigneten Produkten nur wenig Rendite einfahren. Im schlimmsten Fall ist das ganze Geld weg.

„Solange Banken und Finanzdienstleister Prämien dafür kassieren, dass sie bestimmte Anlageprodukte vermitteln […] wird die Branche Sparer weiter scharenweise in überteuerte und/oder riskante Anlageprodukte drängen.“

Julius Reiter, Anleger- und Verbraucheranwalt

So erlitten in der Finanzkrise 2008/09 zehntausende sogenannte Lehman-Omas heftige Verluste, weil ihnen Banken teils ohne ausreichende Beratung Zertifikate der Investmentbank Lehman Brothers verkauft hatten, die mit deren Pleite weitgehend wertlos wurden. Bei Riester-Rentenversicherungen steht fast jeder vierte eingezahlte Euro im Alter nicht mehr zur Verfügung, weil er für Provisionen und andere Kosten draufgeht. Auch bei Lebensversicherungen warnt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vor „Interessenkonflikten im Vertrieb“ und zu hohen Kosten.

Der Verbraucheranwalt Julius Reiter kennt aus der Praxis „etliche hanebüchene Fälle”, in denen Vermittler*innen dank Provisionen das Falsche angepriesen haben: teure Fonds statt ETF-Sparplänen oder die zigte Lebensversicherung statt des Einstiegs ins Aktiensparen. Auf mindestens 50 Milliarden Euro schätzte Professor Andreas Oehler von der Universität Bamberg schon 2012 den Schaden von provisionsgetriebener Fehlberatung – und zwar jährlich.

Die Provisionslobby

Profitierende gibt es viele. Darunter ist die Branche der Finanzvermittler*innen, von Kritiker*innen als „gehirnwaschende Drückerkolonne“ verspottet. Durch Hausbesuche, Telefonate oder per Videolonferenz verkaufen sie Versicherungen, Riester-Renten und Bausparverträge gegen Provision. Im Jahr 2021 kassierte der mit Abstand größte Finanzvertrieb in Deutschland, die Deutsche Vermögensberatung (DVAG), über 2,2 Milliarden Euro an Verkaufsprovisionen. Aber auch Filialbanken kassieren Provisionen, wenn sie Finanzprodukte verkaufen – die Sparkassen zum Beispiel Fonds und Zertifikate der Sparkassentochter Deka oder die Deutsche Bank Fonds ihrer Tochter DWS. Auch die Anbieter*innen von Fonds und Versicherungen sind Teil des Interessenkartells, weil sie einen möglichst provisionshungrigen Vertrieb brauchen, um Produkte in den Markt zu drücken.

„Der provisionsgetriebene Vertrieb hat eine einflussreiche Lobby: Banken, Versicherungen, Strukturvertriebe und etliche andere Finanzanbieter verteidigen die fragwürdigen Anreize.“

Immer wieder hat dieses Interessenkartell gegen ein Verbot der Provisionsberatung gekämpft – mal in Berlin, mal in Brüssel. Und zwar mit Erfolg.

Offenlegungspflichten statt Provisionsverbot in der EU

Nach dem Höhepunkt der Finanzkrise setzte die EU auf mehr Verbraucher*innenschutz bei Finanzdienstleistungen. Im Oktober 2011 schlug die EU-Kommission für die Überarbeitung der Finanzmarktrichtlinie MiFID (Markets in Financial Instruments Directive) ein Provisionsverbot für die Vermittlung von Geldanlagen vor – allerdings nur für Portfoliomanager*innen und für Vermittler*innen, die sich als unabhängig bezeichneten. Diese Einschränkung kann schon als Erfolg der Finanzlobby gewertet werden. Denn ein Großteil der Anlageberatung und damit auch die dort verbreiteten Interessenkonflikte blieb vom partiellen Verbot völlig unberührt. Verbraucherschützer*innen, die für ein uneingeschränktes Verbot eintraten, waren von der Kommission nur rudimentär in die Entwicklung des MiFID-II-Vorschlags eingebunden worden. Anders die Finanzlobby: Über Expert*innen-Gruppen, Konsultationen, vertrauliche Gespräche und einen regen E-Mail-Austausch mit den EU-Beamt*innen hatte sie ihre Spuren auf dem Papier der Kommission hinterlassen.

Im Europaparlament wurde der Vorschlag in puncto Provisionsverbot dann weiter abgeschwächt. In einem wahren Abstimmungskrimi folgten Konservative, Liberale und Sozialdemokrat*innen 2012 85 den Vorschlägen der Finanzlobby: Sie stimmten gegen das Provisionsverbot und stattdessen nur für mehr Offenlegungspflichten für die Branche. „Insbesondere der deutsche Finanzsektor, der das deutsche Modell der Anlageberatung auf Provisionsbasis verteidigte, spielte eine einflussreiche Rolle bei der Gestaltung der Position des Europäischen Parlaments“, fand die Politologin Lisa Kastner in ihrer Untersuchung der Lobbyschlacht um MiFID-II heraus. Allein elf Lobbyist*innen der Deutschen Bank lobbyierten zu MiFID-II, unterstützt von jeweils drei der Commerzbank, des Bankenverbands und des Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) sowie zwei vom Fondsverband BVI. „Dank unseres Eingreifens im Herbst 2012“ wurde das Provisionsverbot gekippt, freute sich der BVI.

„Die deutsche Finanzlobby spielt in Brüssel über das Parlament – da hat sie starke Verbündete.“

EU-Diplomat

Auch der DSGV spielte eine aktive Rolle. Vor der entscheidenden Abstimmung hatte er in „mehrfach stattgefundenen persönlichen, elektronischen und schriftlichen Kontakten“ mit Abgeordneten gegen ein Provisionsverbot lobbyiert. Gegenüber Lobbycontrol bestätigte der Verband, „insbesondere mit den deutschen Abgeordneten“ im Ausschuss für Wirtschaft und Währung im „ständigen Meinungsaustausch“ zu stehen.  Im Parlament gilt der DSGV als besonders einflussreich. „Der DSGV ist einer der mächtigsten Player der deutschen Finanzlobby in Brüssel”, sagt ein Lobbyist. Und begründet das so: „Den Parlamentariern ist durchaus bewusst, dass auch Landräte und Bürgermeister der eigenen Partei in den Verwaltungsräten der Sparkassen sitzen. Wenn die Sparkassen nun ein Problem haben, kann es passieren, dass sie nicht nur vom Verband, sondern auch von den eigenen Leuten angesprochen werden. Das hat dann einen Kaskadeneffekt. Von den Grünen bis zu den Konservativen: Im Europaparlament und im Bundestag wollen alle an der Seite der Sparkassen stehen.“ Dass Sparkassen Kredite an Kommunen vergeben und Politiker*innen aller Couleur in ihren Gremien sitzen, wirkt also bis nach Brüssel.

Bestens vernetzt: Die deutsche Vermögensberatung

Auch der Finanzvertrieb ist exzellent in die Politik vernetzt. Zum Beispiel die Deutsche Vermögensberatung DVAG. Sie gehört seit Jahren zu den größten Geldgeber*innen der Parteien in Deutschland, insbesondere der CDU/CSU und der FDP. Und sie hat einen Beirat mit bester Politikbesetzung. Unter den Mitgliedern tummeln sich unter anderem der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber (der federführende Abgeordnete in der MiFID-II-Lobbyschlacht), die frühere SPD-Justizministerin Brigitte Zypries, der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Hermann-Otto Solms sowie der Ex-Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di und heutige grüne Bundestagsabgeordneter Frank Bsirke. Auch AltBundeskanzler Helmut Kohl, der ehemalige Finanzminister Theo Waigel und andere Politgrößen sind beziehungsweise waren jahrzehntelang Teil des Einflussnetzes der DVAG. „Seit den 70ern unangetastet! DVAG und CDU: Eine innige Liebe“, kommentierte das Satiremagazin ZDF Royale den Old-Boys-Klüngel Ende 2021 treffend.

Für Rechtsanwalt Julius Reiter sind solche Netzwerke zwischen Finanzlobby und Politiker*innen der Grund dafür, dass beim Thema Provisionsberatung Politik zulasten von Verbraucher*innen betrieben wird. „De facto haben sich Unternehmen der Branche, etwa Finanzvertriebe wie AWD oder DVAG, mit ihren üppigen Provisionseinnahmen politischen Einfluss gesichert. Da wurden Politiker mit Posten versorgt oder anderweitig in Netzwerke eingebunden”, schrieb Reiter anlässlich einer Diskussion im April 2022.

Von Deckelchen zu Deckelchen

Alle Jahre wieder wird das Netzwerk der Provisionslobby aktiviert. 2013 zum Beispiel. Da wurden im Gesetz zur Stärkung der Honorarberatung Sparprodukte, Versicherungen und Kredite vom Provisionsverbot ausgenommen. Oder 2014, als das Lebensversicherungsreformgesetz versuchte, die Abschlusskosten bei Lebensversicherungen zu drücken. Weil die Branche teils schlicht von Abschlussprovisionen zu laufenden Vergütungen umschichtete, blieb der erwünschte Rückgang der Kosten für Verbraucher*innen auch diesmal leider aus.

Deshalb machte sich das Finanzministerium 2019 erneut ans Werk. Ziel diesmal: ein Provisionsdeckel für Lebens- und Restschuldversicherungen. Aber der Provisionsdeckel für Lebensversicherungen kam nie. Er scheiterte noch in der Regierung am Widerstand der CDU/CSU-geführten Ministerien, die den Vorstoß des SPD-geführten Finanzministeriums blockierten. Schon kurz nach Vorlage des Entwurfs freute sich der Bundesverband Deutscher Vermögensberater (BDV) über den „geschlossene[n] Widerstand der Finanzpolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion“. Ein gutes Jahr später sagte ein resignierter SPD-Bundestagsabgeordneter Lothar Binding zu einem Deckel bei Lebensversicherungen: „Ich vermute, dass er nicht kommt, den Lobbyverbänden wird ein zu großer Einfluss eingeräumt.“ Das finale Gesetz von 2021 deckelt tatsächlich nur Provisionen für einen kleinen Teilbereich, den Verkauf von Restschuldversicherungen.

„Da sitzen Leute im Bundestag, die wissen, warum sie das bekämpfen. Nicht aus allgemeinen Erwägungen, sondern sie schätzen die Leute, die die Provisionen kassieren, um es mal höflich zu sagen.“

Müßig zu erwähnen, dass es das Provisionsverbot auch nicht in den Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung von 2021 schaffte, obwohl es die Grünen und Teile der SPD wollten. „Der Druck der Finanzlobby auf die Koalitionsverhandlungen war gewaltig“, schrieb die WirtschaftsWoche. Banken und Versicherungsunternehmen insbesondere hatten nochmal an die FDP appelliert, bei ihrer provisionsfreundlichen Position zu bleiben. Eine von der Deutschen Kreditwirtschaft (DK) in Auftrag gegebene und von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG verfasste Studie lieferte die dafür nötigen Argumente („Ein Provisionsverbot würde insbesondere Kleinanleger:innen belasten.“). Am Ende waren „Eingriffe in das Vergütungssystem […] nicht einmal eine Randnotiz im Koalitionsvertrag wert“ freute sich der Vorstand vom Bundesverband Finanzdienstleistung AfW, Norman Wirth. „Aktuelle Wetterlage: strahlender Sonnenschein“, so Wirths Kommentar zur Ampel-Regierung aus Sicht des Finanzvertriebs.

Die Diskussion geht weiter

Gleichzeitig ermahnte Wirth die Branche, sich geschlossen gegen weitere Angriffe auf das provisionsbasierte Verkaufssystem zu stellen. In Deutschland nimmt sich die BaFin gerade dem Problem von hohen Kosten beim Vertrieb von Lebensversicherungen an. Auf EU-Ebene gibt es weiter Kritik am Provisionssystem, mit der anstehenden Überarbeitung von MiFID-II ist die Diskussion neu aufgeflammt.. Die Provisions-Profiteur*innen jedenfalls scheinen sich bereits dagegen in Stellung zu bringen.

Hinweis: Dieser Text ist ein Auszug aus der Studie "Im Auftrag des Geldes" von Finanzwende Recherche. Die vollständige Studie inkl. aller Links und weiterer Quellenangaben finden Sie hier:

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