Wagniskapital – Innovation von den Wenigen für die Wenigen

Franziska Cooiman

10.03.2021

In den letzten zwei Jahrzehnten setzt die EU vermehrt auf Wagniskapital um politische Ziele, wie Innovation, Wachstum oder Nachhaltigkeit zu erreichen. Wagniskapital ist jedoch kein neutrales Finanzinstrument, sondern bringt seine ganz eigenen Logiken mit, die sich wirtschaftlich und gesellschaftlich auswirken.

  • Der Aufbau des Wagniskapitalmarktes in Europa ist ein dezidiert politisches Projekt. Die EU ist größter institutioneller Investor in Wagniskapitalfonds.
  • Diese Finanzintermediäre bringen jedoch ganz eigene Logiken mit sich: Fokus auf Startups mit dem Potenzial für exponentielles Wachstum, Privatisierung der Gewinne, Vergemeinschaftung der Risiken, Strukturelle Macht einiger weniger Investoren.
  • Stattdessen benötigen wir direkte, langfristige und demokratische Beteiligungsformen

Wagniskapital („Venture Capital“ – VC) ist mit etwas Verspätung aber umso mehr Wucht in Europa angekommen: allein in den letzten fünf Jahren hat sich das Volumen der Anlageklasse mehr als verdoppelt. Rund 40 Milliarden Euro investierten Wagniskapitalgeber 2020 in europäische Startups.[1] Die sagenumwobene Figur des risikoliebenden, hellsichtigen Investors, aus dessen Schmiede die wertvollsten Unternehmen der Welt – wie Apple, Alphabet & Co – erwachsen, ist inzwischen weit verbreitet. Weniger bekannt ist die Tatsache, dass der Aufbau dieser auf Startups fokussierten Anlageform in Europa ein dezidiert politisches Projekt war und ist.[2] Die EU setzt bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten auf die Förderung von Wagniskapital um politische Ziele, wie Wachstum, Innovation und – zuletzt im Rahmen des Europäischen Grünen Deals – Nachhaltigkeit zu erreichen. Ihr Vehikel ist dabei der Europäische Investment Fund (EIF), Teil der Europäischen Investment Bank Group, der jährlich etwa ein Viertel des in Europa gesammelten Wagniskapitals stellt und damit der größte institutionelle Investor auf dem europäischen Wagniskapitalmarkt ist.[3]

Doch Wagniskapital ist kein neutrales Instrument, das sich für beliebige Zwecke einsetzen lässt, sondern bringt eigene sehr wirkmächtige Logiken mit sich, die sich in Wirtschaft und Gesellschaft einschreiben.

Die Jagd nach den Einhörnern limitiert Innovation

Erstens entsprechen nur ganz bestimmte Startups der Logik des Wagniskapitals, nämlich solche mit dem Potenzial in kurzer Zeit sehr wertvoll, also sogenannte Einhörner mit einem Wert von über einer Milliarde Dollar, zu werden. Startup-Guru Peter Thiel formuliert als goldene und einzige Regel des VC-Geschäftes: “only invest in companies that have the potential to return the value of the entire fund.”[4] Diese Regel wird mit der großen Unsicherheit des Investmentgeschäftes der VCs begründet – Startups sind jung, arbeiten mit unerprobten Technologien oder in neuen Märkten. Entsprechend schwer ist abzusehen, ob sich eine Geschäftsidee verwirklichen lässt. Eine gängige Daumenregel besagt, dass neun von zehn Investments sich nicht auszahlen. Das Zehnte muss also in der Lage sein, die Verluste der anderen zu kompensieren, und zusätzlich dem Risiko entsprechende attraktive Renditen zu erzielen. Das bedeutet, dass die Innovationen, die durch wagniskapitalfinanzierte junge Unternehmen entstehen, durch die Maxime des Profits und den Zeithorizont des Investments begrenzt sind.[5] Attraktiv sind digitale Geschäftsmodelle, die aufgrund von Skalierbarkeit und Netzwerkeffekten, also der Tendenz attraktiver zu werden je mehr Nutzer*innen es gibt, mit entsprechendem Kapitaleinsatz schnell Monopolisten in Winner-takes-all Märkten entstehen lassen.[6] Den Rahmen des Modells Wagniskapital sprengen hingegen Startups mit begrenzten Wachstumsperspektiven, jegliche Form von gemeinwohlorientierten Organisationen, sowie Moonshots, also extrem unsichere, langfristige und radikalinnovative Technologieentwicklungen. Die gängige Formel, der zufolge Wagniskapital Innovationen ankurbelt, ist also nur begrenzt tragfähig.

Das Modell Wagniskapital privatisiert Gewinne und vergemeinschaftet Risiken

Zweitens führt das Modell zu einer Privatisierung der Gewinne – während die Risiken vergemeinschaftet werden.[7] Eine ungleiche Verteilung von Gewinnen und Risiken gibt es dabei sowohl innerhalb des einzelnen Fonds, als auch über die gesamte Anlageklasse hinweg.

Typischerweise erhalten die VC-Investoren eine Managementgebühr von 2% jährlich sowie rund 20% Gewinnbeteiligung „Carry“.[8] Die Kapitalgeber – wie beispielsweise der EIF, Versicherungen, Pensionskassen oder große Unternehmen – bekommen den Rest, laufen jedoch im Gegensatz zu den VC-Investoren Gefahr, ihr ganzes Kapital zu verlieren. Der Ausdruck Wagnis- oder Risikokapital ist also in diesem Zusammenhang durchaus missverständlich, denn die VC Investoren haben de facto einen sicheren Gewinn – bei einer mittleren Fondsgröße von €113 Millionen sind 2% p.a. kein unbeträchtlicher Betrag – während die Kapitalgeber das eigentliche Risiko tragen.

Außerdem sind auch innerhalb der gesamten Wagniskapitalanlageklasse die Gewinne ungleich verteilt. Insgesamt fährt der Wagniskapitalsektor in Europa Renditen von rund 16% jährlich bei einem Anlagehorizont von fünf Jahren[9] ein – und stellt somit eine der lukrativsten Anlagemöglichkeiten dar, die es in Zeiten von Niedrigzinsen, expansiver Geldpolitik und Vermögenswertinflation in Europa gibt. Zwar sind theoretisch alle Kapitalgeber, also über Pensionskassen, Versicherungen und staatliche Beteiligungen große Teile der Gesellschaft, an diesen Gewinnen beteiligt; in der Praxis sind diese Renditen jedoch ungleich verteilt.5 Einige wenige gut vernetzte und erfahrene VC-Fonds erzielen einen Großteil der Gewinne, für die Mehrheit der Fonds funktioniert das Geschäft jedoch nicht.[10] Der Zugang zu diesen ist wiederum limitiert, sodass nicht alle Anlegerinnen gleichermaßen von Renditen profitieren.

Wenige Investoren bestimmen die Richtung

Drittens, und damit in Verbindung stehend, konzentrieren einige wenige Investoren viel strukturelle Macht. Wagniskapitalinvestoren sind sehr involviert in das operative Geschäft der investierten Startups. Sie haben also nicht nur mit ihrem Kapital, sondern auch ihrem Netzwerk und ihrer Expertise einen großen Beitrag am Erfolg des Startups. In einem Teufelskreis aus Netzwerkeffekten entstehen einige wenige große Fonds, wie Holtzbrinck Ventures oder Earlybird, die ihren (öffentlichen und privaten) Kapitalgebern die Vertragsbedingungen diktieren und unter den Startups die Gewinner küren. Denn umso mehr Netzwerk und Expertise ein Investor anbieten kann, desto attraktiver ist er sowohl für gute Startups als auch für Kapitalgeber. Mehr Kapital zieht wiederum bessere Startups an, Netzwerk und die Expertise vergrößern sich und so weiter.

Problematisch ist hier zudem die Zusammensetzung der Investment Teams der Wagniskapitalfirmen: diese sind in jeder Hinsicht, sei es Bildung, Klasse, Ethnie, Gender, extrem homogen[11] – weiße Mittelklassemänner mit Business-School-Abschluss bestimmen, was innovativ ist und was nicht, welche Sektoren die Zukunft und welche die Vergangenheit darstellen, welche Teams Erfolg versprechen und welche nicht. Die Frage, wie wünschenswert eine solche Selektion durch wenige Akteure ist, verschärft sich noch angesichts des gezielten Einsatzes europäischer Institutionen wie des EIFs für ebendiese Fonds.

Direkte, langfristige und demokratische Beteiligungsformen schaffen

Statt die Verantwortung auf Finanzakteure abzuwälzen und so Innovationen von den wenigen und für die wenigen zu unterstützen, müssen auf europäischer und nationaler Ebene direkte, langfristige, transparente und demokratische Beteiligungsformen für neue Unternehmen geschaffen werden. Direkte Beteiligungen erlauben es auf die Vermögensvermehrungsmaschinerie des Wagniskapitals zu verzichten und sich ihrer ökonomischen Logik zu entziehen. Mit dem neu aufgesetzten Europäischen Innovationsrat investiert die EU kürzlich tatsächlich erstmals direkt in Startups.[12] Das muss auch lokal in Städten und Gemeinden transparent und unter Einbezug der Bürger*innen geschehen. Die Beteiligungshorizonte sollten dabei wirklich langfristig sein, um Pfadabhängigkeiten des vermeintlich Möglichen und Unmöglichen zu durchbrechen. Denn im aktuellen Modell sind es oft bereits entwickelte Technologien, die in neuen Märkten angewendet werden, um in absehbarer Zeit relativ sichere Gewinne einzufahren.

Gewinne – so sie denn überhaupt nötig sind – können über diese langfristigen staatlichen Beteiligungen wieder vergemeinschaftet werden. Ebenso langfristig und transparent sollten schließlich auch die Beobachtung und Bewertung globaler, gesellschaftlicher und ökologischer Wirkweise geschehen, um einseitige, ungerechte und kontraproduktive Effekte zu vermeiden.[13]

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autor*innen geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.

 

Literaturverzeichnis

[1] Atomico. (2021). State of European Tech 2020. https://2020.stateofeuropeantech.com/chapter/investments/

[2] Mazzucato, M. (2015). The entrepreneurial state: Debunking public vs. private sector myths. Penguin Books.

[3] EIF. (2020). Annual Report 2019. https://www.eif.org/news_centre/publications/eif-2019-annual-report.pdf

[4] Thiel, P. A. (2014). Zero to one: Notes on startups, or how to build the future (First edition). Crown Business.

[5] Lerner, J., & Nanda, R. (2020). Venture Capital’s Role in Financing Innovation: What We Know and How Much We Still Need to Learn. Journal of Economic Perspectives, 34(3), 237–261. DOI: https://doi.org/10.1257/jep.34.3.237.

[6] Duhigg, C. (2020). How venture capitalists are deforming capitalism. New Yorker. https://www.newyorker.com/magazine/2020/11/30/how-venture-capitalists-are-deforming-capitalism

[7] Mazzucato, M. (2018). The value of everything: Making and taking in the global economy. Allen Lane, an imprint of Penguin Books.

[8] Kupor, S. (2019). Secrets of Sand Hill Road: Venture capital and how to get it (First Edition). Portfolio/Penguin.

[9] Atomico. (2021). State of European Tech 2020. https://2020.stateofeuropeantech.com/chart/321-1225/

[10]  Nicholas, T. (2019). VC: An American History. Harvard University Press. S.305 ff.

[11] Atomico. (2021). State of European Tech 2020. https://2020.stateofeuropeantech.com/chapter/diversity-inclusion/article/diversity-inclusion/

[12] Europäische Kommission. (2021). European Innovation Council Fund: first equity investments of €178 million in breakthrough innovations. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_20_2530

[13] Lange, S., & Santarius, T. (2018). Smarte grüne Welt? Digitalisierung zwischen Überwachung, Konsum und Nachhaltigkeit. Oekom Verlag.

Franziska Cooiman

Franziska Cooiman arbeitet zur politischen Ökonomie des Wagniskapitals in Europa am Weizenbaum Institut für die vernetzte Gesellschaft und der Roskilde Universität in Dänemark.

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