BlackRock und Co.: Eine zu starke Konzentration des Aktienbesitzes

Benjamin Braun, Adrienne Buller

08.09.2021

Der Asset Manager-Kapitalismus und seine Ausrichtung auf eine hohe Börsenbewertung richten großen Schaden an. Es wird Zeit, die Konzentration des Aktienbesitzes bei wenigen großen Vermögensverwaltern wie BlackRock und Vanguard kritischer zu betrachten.

  • Der Fokus auf den Shareholder Value-Ansatz richtet in unserer Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt großen Schaden an.
  • Vermögensverwalter profitieren erheblich von Aktionärsrechten, obwohl Privilegien und Schutzmaßnahmen für Kleinanleger und Pensionsfonds vorgesehen waren.
  • Wir sollten die Konzentration des Aktienbesitzes in Frage stellen. Dies zeigt ein Blick auf die Lage in Großbritannien.

Aktionäre seien die ultimativen Stakeholder. Generationen von Studierenden haben diese Lehre der Agency-Theorie verinnerlicht. Sie besagt, dass Aktionärinnen im Gegensatz zu Managern oder Arbeitnehmenden auf die langfristige Performance von Unternehmen achten. Die einzig effiziente Unternehmensstruktur sei demnach eine, die sich am sogenannten Shareholder Value, also am „Aktionärswert“, orientiert.

Eine Ausprägung des Shareholder Value-Ansatzes ist, dass Unternehmen ihre eigenen Aktien zurückkaufen und höhere Dividenden ausschütten. Dadurch sollen die Anteilseigner zufrieden gestellt werden, auf Kosten der Arbeitnehmerinnen sowie der Investitionen durch die Firma. Der Schaden, den dieser Ansatz durch seine Ausrichtung auf eine hohe Börsenbewertung verursacht, ist kaum zu ermessen. Seitdem sich der Shareholder Value-Ansatz etabliert hat, ist die ökonomische Ungleichheit gestiegen, sind die Investitionen zurückgegangen, 60 % der Tier- und Pflanzenwelt ausgestorben und die Weichen für eine verheerende Erwärmung des Klimas wurden gestellt.

Das Scheitern des Shareholder Value-Regimes zu konstatieren – gemessen sogar an seinen eigenen Kriterien – ist deshalb kaum noch kontrovers. Die Frage ist vielmehr, ob Shareholder Value überhaupt noch die korrekte Gegenwartsdiagnose darstellt. Tatsächlich nämlich haben die dominanten Aktionäre von heute nur noch wenig gemein mit den Kleinsparerinnen und Pensionsfonds, die das Fundament des Shareholder Value-Regimes bildeten.

Vermögens­verwalter und der Aktienmarkt

In einer kürzlich veröffentlichten Studie haben wir den empirischen Stand für Großbritannien aufgearbeitet. Mehr als die Hälfte britischer Aktien wird inzwischen von ausländischen Investoren gehalten. Die größten Aktionärinnen in Großbritannien sind die in den USA ansässigen Vermögensverwalter BlackRock und Vanguard. Zusammen verwalten sie 17 Billionen Dollar – viermal so viel wie die gesamte Marktkapitalisierung sämtlicher an der Londoner Börse gelisteten Unternehmen. Unsere Analyse ergab, dass nur zehn Vermögensverwalter ein Fünftel des britischen Aktienindex FTSE350 kontrollieren. Die Mehrheit dieser Firmen ist nicht in Großbritannien ansässig.

Außerdem geht der Einfluss der Vermögensverwalter zunehmend über den Aktienmarkt hinaus: BlackRock hat während der Pandemie Einfamilienhäuser aufgekauft und dabei regelmäßig andere Firmen mit großem Vorsprung überboten. Außerdem hat BlackRock vor Kurzem einen Finanzierungsdeal abgeschlossen, um sich 3000 Eigentumswohnungen in Großbritannien zu sichern und eine 75-prozentige Beteiligung an einem Großprojekt für Seniorenwohnanlagen erworben.

Das Zeitalter des Asset Manager-Kapitalismus

Der Aufstieg von BlackRock, Vanguard und ihren Konkurrenten hat zum Aufkommen eines neuen Corporate Governance-Regimes geführt geführt: der Asset Manager-Kapitalismus. Diese riesigen Vermögensverwaltungsgesellschaften unterscheiden sich grundlegend von den Investoren, die sich die Befürworterinnen des Shareholder Value vorstellten.

In der Vergangenheit wurden selbst die größten institutionellen Investoren – üblicherweise US-amerikanische Pensionsfonds, deren Beteiligungen meist nur einen Bruchteil eines Prozents betrugen – als schutzbedürftig angesehen. Dieses Verständnis trifft aber auf die größten Vermögensverwalter von heute kaum zu, da sie dank ihrer Beteiligungen in Höhe von jeweils fünf oder gar zehn Prozent über ein erhebliches Maß an Kontrolle verfügen. Zudem sind sie vollständig diversifiziert: Es gibt kaum Unternehmen im britischen FTSE350, bei denen BlackRock und Vanguard nicht zu den größten Aktionären gehören und ihre Positionen reichen weit über den Aktienmarkt hinaus.

Der Asset Manager-Kapitalismus macht deshalb eine verlockende Versprechung: Als „universelle“ Eigentümer, die praktisch überall beteiligt sind, seien Vermögensverwalter unmittelbar betroffen von schädlichen Aktivitäten einzelner Unternehmen – Schäden, die andernfalls im Markt nicht bepreist sind. Als machtvolle Aktionäre hätten sie zudem die Macht, diese sogenannten Externalitäten auf ein gesamtwirtschaftlich effizientes Niveau zu reduzieren. Der Vorstandsvorsitzende von BlackRock, Larry Fink, inszeniert sich als Garant dieser Versprechung, der die Kontrollrechte von BlackRock wahrnehmen und sich beispielsweise für mehr Klimaschutz bei Unternehmen starkmachen wird.

Im Hinblick darauf, wie diese Kontrollrechte ausgeübt wurden, hatten die Agency-Theoretikerinnen in einem Punkt recht: Die kleineren Investoren der Vergangenheit waren mit Eigeninteresse bei der Sache. Sie setzten auf einzelne Unternehmen mit dem Ziel, ihre Rendite zu maximieren. Vermögensverwalter funktionieren vergleichsweise anders. Unterdurchschnittliche Renditen wirken sich nämlich nur dann auf die wirtschaftlichen Interessen von beispielsweise Vanguard aus, wenn Kunden ihr Geld aus dessen Fonds abziehen und in Fonds eines Konkurrenten umschichten. Ansonsten geht es oft nur darum, einen Index möglichst preiswert nachzubilden.

Wenn es also um die Pläne eines Unternehmens geht, in den Klimaschutz zu investieren oder Arbeitsmissbrauch in seinen Lieferketten zu beseitigen, haben Vermögensverwalter trotz anderslautender Bekundungen bisher andere Sorgen. Daten zum Stimmverhalten der größten Vermögensverwalter zeigen deshalb auch, dass diese routinemäßig gegen Aktionärsbeschlüsse stimmen, welche die Abholzung von Wäldern oder zu hohe Boni für Führungskräfte stoppen sollen. Klimaschutz dank BlackRock und Co. ist also bisher ein höchst zweifelhaftes Versprechen.

Das Geschäftsmodell der Vermögens­verwalter ist die Akkumulation

Das Geschäftsmodell der Vermögensverwalter besteht darin, die größtmögliche Menge an Kapital zu minimalen Kosten zu verwalten. Hierbei entstehen beträchtliche Skaleneffekte: Je mehr Geld Unternehmen ansammeln, umso leichter wird es, diese kostengünstig zu verwalten. Dies hat den kometenhaften Aufstieg von großen indexorientierten Firmen wie BlackRock und Vanguard begünstigt.

Ein wirkliches Eigeninteresse haben diese immer nur dann, wenn es um aktiv verwaltete Ersparnisse oder die Inflation der Vermögenspreise geht. Dies erklärt den Einstieg dieser Firmen in Immobilien in Großbritannien, vom sozialen Wohnungsbau bis hin zu Seniorenwohnungen. Mit Blick auf den Trend aggressiver Mieterhöhungen und in einigen Fällen sogar verfallender Immobilien in den USA wirft diese Entwicklung im Vereinigten Königreich ernsthafte Bedenken auf.

Vor diesem Hintergrund lässt sich ebenfalls besser nachvollziehen, warum BlackRock so aktiv versucht, Einfluss auf die Geldpolitik und politische Entscheidungsprozesse im weiteren Sinne auszuüben. Beispiele für BlackRocks Einfluss auf die Politik sind unter anderem die Beteiligung an der Ausarbeitung der EU-Strategie für nachhaltige Finanzen, welche trotz großer Bedenken über Interessenkonflikte stattgefunden hat, oder die Abwicklung des COVID-19-Programms der Federal Reserve für Unternehmensanleihen.

Algorithmen und Indizes bestimmen die Wirtschaft

Der Übergang zu einer Ära des Asset Manager-Kapitalismus mag leise erfolgt sein, doch die Auswirkungen auf unser kollektives wirtschaftliches Leben sind tiefgreifend. Die sich immer dramatischer zuspitzende Klimakrise erfordert ein Corporate Governance-Regime, das die enormen Organisations- und Produktionskapazitäten des Unternehmenssektors in den Dienst der Nachhaltigkeit und des Gemeinwohls stellt.

In der Praxis werden diese Kapazitäten von einer kleinen Zahl von Vermögensverwaltern ausgerichtet – nach Kriterien, die sich aus dem Profitmaximierungskalkül dieser Vermögensverwalter ableiten. Im Unterschied zum verfehlten, aber schlüssigen Shareholder Value-Regime, erschließt sich die wirtschaftliche Rationalität des Asset Manager-Kapitalismus nicht. An der Börse wird kaum noch produktives Kapital aufgenommen und das Wachstum von Indexfonds bedeutet, dass Kapital zunehmend automatisiert durch Algorithmen und Indizes zugeteilt wird.

Die derzeitige Machtfülle der Vermögensverwalter ist ein historischer Unfall – errungen durch institutionelle Investoren unter gänzlich anderen Vorzeichen. Es ist eine Machtfülle, die sich heute weder wirtschaftlich noch politisch rechtfertigen lässt.

Weitere Informationen zur Entstehung des Asset-Manager-Kapitalismus in den USA.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autor*innen geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.

 

Benjamin Braun

Benjamin Braun ist Senior Researcher am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.

Bildquelle: Andrea Kane, Institute for Advanced Study

Adrienne Buller

Adrienne Buller ist Senior Research Fellow beim Londoner Thinktank Common Wealth.

Benjamin Braun und Adrienne Buller verfassten gemeinsam das Papier „Under new management: Share ownership and the growth of UK asset manager capitalism“.

Aktuelles im Blog

CoCo-Bonds: Haftung auf den Kopf gestellt

Die Anerkennung von CoCo-Bonds als regulatorisches Eigenkapital war ein Fehler, denn dadurch wurde die Haftung der Aktionär*innen, also der Eigentümer*innen der Bank, für Verluste geschwächt statt gestärkt. Statt Kapital von minderwertiger Qualität braucht es mehr „echtes“ Eigenkapital, damit Banken stabil aufgestellt sind.

Bankenaufsicht und Nachhaltigkeitsrisiken: Jetzt die Weichen stellen

Die Klimakrise gefährdet nicht nur Ernten, Wohnhäuser und Firmen, sondern untergräbt auch die Stabilität des Finanzsystems. Dennoch bewegen sich deutsche Banken im Umgang mit Klima- und Umweltrisiken teilweise noch auf einem bescheidenen Niveau. Die BaFin hat nun die Möglichkeit, Klimarisiken ab 2024 zu einem Schwerpunkt ihrer Bankprüfungen zu machen – das wäre wichtig.

Acht Prozent – wir hatten einen Deal!

Die Acht-Prozent-Regel der EU soll dafür sorgen, dass Staaten und Steuerzahler*innen im Falle einer Bankenschieflage weniger haften müssen. Sie steht für das Versprechen, dass Steuerzahler*innen nie wieder für die riskanten Geschäfte von Banken würden zahlen müssen. Nun ist sie in Gefahr.

Aktuelles im Blog

CoCo-Bonds: Haftung auf den Kopf gestellt

Die Anerkennung von CoCo-Bonds als regulatorisches Eigenkapital war ein Fehler, denn dadurch wurde die Haftung der Aktionär*innen, also der Eigentümer*innen der Bank, für Verluste geschwächt statt gestärkt. Statt Kapital von minderwertiger Qualität braucht es mehr „echtes“ Eigenkapital, damit Banken stabil aufgestellt sind.

Bankenaufsicht und Nachhaltigkeitsrisiken: Jetzt die Weichen stellen

Die Klimakrise gefährdet nicht nur Ernten, Wohnhäuser und Firmen, sondern untergräbt auch die Stabilität des Finanzsystems. Dennoch bewegen sich deutsche Banken im Umgang mit Klima- und Umweltrisiken teilweise noch auf einem bescheidenen Niveau. Die BaFin hat nun die Möglichkeit, Klimarisiken ab 2024 zu einem Schwerpunkt ihrer Bankprüfungen zu machen – das wäre wichtig.

Acht Prozent – wir hatten einen Deal!

Die Acht-Prozent-Regel der EU soll dafür sorgen, dass Staaten und Steuerzahler*innen im Falle einer Bankenschieflage weniger haften müssen. Sie steht für das Versprechen, dass Steuerzahler*innen nie wieder für die riskanten Geschäfte von Banken würden zahlen müssen. Nun ist sie in Gefahr.