Ein hoher Zinssatz der Zentralbank kann dazu führen, dass die Kreditvergabe der Geschäftsbanken sinkt und Investitionstätigkeiten von Unternehmen zurückgefahren werden. Auch die Bemühungen um eine möglichst schnelle Transformation zu einer CO2-armen Wirtschaft werden dadurch ausgebremst. Eine Reform der längerfristigen Kreditvergabe der EZB könnte Abhilfe schaffen und grüne Investitionen vor steigenden Zinsen schützen.
- Bei ihren längerfristigen Refinanzierungsgeschäften sollte die EZB einen vergünstigten Sonderzinssatz für grüne Investitionen einführen.
- Geschäftsbanken, die grüne Investitionen finanzieren, könnten so auch in Phasen hoher Zinsen ihr Finanzierungsvolumen für grüne Projekte aufrechterhalten.
- In der Vergangenheit setzten Zentralbanken bereits gestaffelte Zinssätze in anderen Bereichen ein, etwa zur Förderung von Exportkrediten.
Beim Klimaschutz steht die Europäische Zentralbank (EZB) momentan vor einem Dilemma. Einerseits muss sie ihr oberstes Ziel, die Wahrung der Preisstabilität, erfüllen und daher die gestiegene Inflation mit hohen Zinssätzen bekämpfen. Andererseits können Zinserhöhungen die dringend benötigten Investitionen in die ökologische Transformation deutlich einschränken – mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die Erreichung der Klimaziele.
Problem: Der Widerspruch zwischen Inflationsbekämpfung und Klimaschutz
Eine sinkende Zahl grüner Investitionen kann zudem selbst zu einem Anstieg der Inflation führen. Wenn CO2-intensive Wirtschaftssektoren ihre Emissionen nicht ausreichend reduzieren, dann werden steigende CO2-Preise langfristig zu höheren Verbraucherpreisen führen. Zusätzlich können Klimafolgen wie Dürren oder Waldbrände die landwirtschaftliche Produktion einschränken und so ebenfalls inflationäre Episoden auslösen. Diese Wechselwirkungen machen es für die EZB noch schwieriger ihr Inflationsziel zu erreichen.
In ihrer aktuellen geldpolitischen Rolle ist die EZB also nicht in der Lage, das beschriebene Dilemma zu lösen. Kaum verwunderlich, denn das Instrument der konventionellen Zinssteuerung entstammt einer Zeit, in der die Zwänge der ökologischen Krise noch nicht hinlänglich bekannt waren. Es ist daher notwendig darüber nachzudenken, wie die EZB besser an der Lösung des Dilemmas beteiligt werden kann.
Reformvorschlag: Ein vergünstigter Zinssatz für grüne Investitionen
Eine vielversprechende Möglichkeit dies zu tun betrifft den Zinssatz, zu dem sich Geschäftsbanken bei der EZB für längere Zeit Geld leihen können (sogenannte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte). Anstatt des bisherigen einheitlichen Zinssatzes könnte die EZB einen zusätzlichen Sonderzins für grüne Investitionen, unterhalb des eigentlichen Zinsniveaus, einführen. Konkret könnten Geschäftsbanken dann zu diesem vergünstigten Zinssatz Kredite aufnehmen, wenn sie Investitionen in die ökologische Transformation finanzieren. Auf diese Weise wären grüne Wirtschaftszweige weniger stark von steigenden Finanzierungskosten in Phasen hoher Zinsen betroffen.
Historisches Beispiel: Zinsvergünstigungen für Exportkredite
Tatsächlich hat sich eine Staffelung der Zinssätze schon in der Vergangenheit als wirksames Instrument erwiesen, um bestimmte Sektoren vor steigenden Zinsen zu schützen, etwa die Exportwirtschaft.
In Zeiten von festen Wechselkursen mussten Zentralbanken ihre Zinssätze erhöhen, wenn eine Abwertung der Währung drohte. Die höheren Zinsen trafen oftmals exportorientierte Unternehmen besonders stark und es bestand die Gefahr, dass sich der Abwärtstrend des Wechselkurses aufgrund einer Belastung der Handelsbilanz weiter verstärkte. Um diesen Widerspruch aufzulösen, verliehen beispielsweise die deutsche Bundesbank und die französische Banque de France bis in die 90er Jahre Geld zu vergünstigten Konditionen an Geschäftsbanken, die Exportkredite vergaben.
Es handelt sich bei diesem Vorschlag also keineswegs um eine neuartige Form der Geldpolitik. Und auch schon heute knüpft die EZB ihre langfristigen Refinanzierungsgeschäfte an gewisse Bedingungen, die die Banken bei ihrer Kreditvergabe erfüllen müssen, etwa im Bereich der Immobilienfinanzierung. Ebenso könnte die Kreditvergabe also an umweltpolitische Auflagen geknüpft werden – bereits bestehende institutionelle und rechtliche Regelungen würden dies ermöglichen.
Wer entscheidet über die Kriterien eines vergünstigten Zinssatzes?
In den Verträgen der Europäischen Union ist die EZB schon heute dazu verpflichtet, die Umwelt- und Klimapolitik der EU zu unterstützen. Sie verfügt jedoch nicht über die notwendige demokratische Legitimierung, um zu definieren, was ökologisch nachhaltig ist und was nicht. Die EZB kann und darf die ökologischen Kriterien für die Einstufung nachhaltiger Investitionen nicht selbst auswählen.
Es ist daher erforderlich, zusätzlich über eine Reform des institutionellen Rahmens nachzudenken und zu eruieren wie die demokratische Legitimität bei der Kreditpolitik der Zentralbank sichergestellt werden kann. Dafür gibt es bereits unterschiedliche Ansätze, etwa die Schaffung eines dem europäischen Parlament unterstellten Europäischen Kreditrates.
Für eine langfristig stabile, grüne Transformation der Wirtschaft muss also sichergestellt werden, dass grüne Investitionen weniger stark vom Niveau des Zinssatzes abhängen. Die Einführung eines gestaffelten Zinssatzes ist besonders erfolgsversprechend: Er hat sich historisch bewährt und ist mit der Unabhängigkeit der EZB sowie ihrem primären Ziel der Preisstabilität vereinbar.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autor*innen geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.
Dieser Text ist in längerer Form und auf Französisch beim Institut Avant-Garde erschienen.

Prof. Éric Monnet
Prof. Éric Monnet ist Wirtschaftshistoriker und Makroökonom. Er ist Professor an der EHESS und der Paris School of Economics in Paris. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Zentralbanken, Bankenkrisen und die Entwicklung des internationalen Währungssystems.

Jun.-Prof. Jens van ’t Klooster
Jun.-Prof. Jens van ’t Klooster lehrt Politische Ökonomie an der Universität von Amsterdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Sustainable Finance, Zentralbanken und Ungleichheit.

Dr. Clara Leonard
Dr. Clara Leonard ist Geschäftsführerin und Mitbegründerin des Institut Avant-Garde in Paris. Das Institut Avant-Garde ist ein Think Tank, der an der Entwicklung einer Gesamtvision der zukünftigen Wirtschaftspolitik arbeitet.