Auch Kleinstselbstständige geraten öfter mal in wirtschaftliche Turbulenzen, bis hin zur Überschuldung. Wer dann professionelle Hilfe sucht, wird jedoch in der Regel von Schuldnerberatungen abgewiesen. Dabei wären Beratungsangebote für kleine Unternehmer*innen sehr sinnvoll – und machbar.
- Ob Grafikdesigner*innen, Schauspieler*innen oder Kioskbesitzer*innen – viele Kleinstselbstständige arbeiten solo oder auf unsicherem finanziellen Terrain.
- Ihre wirtschaftliche Situation führt immer wieder zu hohen Schulden oder in die Überschuldung. Doch Unternehmer*innen haben in Deutschland kaum Zugang zur Schuldnerberatung.
- In Berlin zeigt sich, dass Beratungsangebote für kleine Selbstständige in finanziellen Nöten sinnvoll sind. Vergleichbare Angebote braucht es deutschlandweit.
Gründen ist in Deutschland bemerkenswert barrierefrei. Zumeist reicht ein Schreiben an das zuständige Gewerbe- oder Finanzamt, schon kann es losgehen. Einfaches Gründen ist staatlich gewollt: Menschen sollen unabhängig von Transferleistungen sein, Steuern bezahlen und bestenfalls sogar sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse schaffen.
Schauspieler*innen, Grafikdesigner*‘innen oder Kioskbesitzer*innen – sie zählen häufig zu den sogenannten Kleinstselbstständigen. Das sind Unternehmer*innen, die oft solo tätig sind oder mit nur wenigen Mitarbeitenden und einem (zumeist sehr) überschaubaren Jahresumsatz.
Die Gründe fürs Gründen sind vielfältig. Manche wollen ihr eigener Herr sein, andere das Hobby zum Beruf machen oder möglichst viel Geld verdienen. Es kann aber auch ganz anders laufen. Immer wieder machen sich Menschen – insbesondere Frauen – selbstständig, weil sie für andere einspringen: für den herzkranken Vater oder den*die Partner*in, dessen*deren Name im Papierkram lieber nicht auftauchen soll. Und oft ist den bereitwilligen Helfern nicht klar, welche persönlichen Verpflichtungen sie damit eingehen.
Solche Kleinstselbstständige geraten immer wieder in wirtschaftliche Turbulenzen. Ihr Einkommen ist oft unstet – mal kommt Geld rein, mal so gut wie nichts. Ein Teil ist immer wieder auf Unterstützung vom Jobcenter angewiesen, einige rutschen in die Überschuldung. Menschen in solchen Situationen brauchen Hilfe. Doch die ist schwer zu bekommen.
Kaum Beratungsangebot für Selbstständige in Deutschland
Für überschuldete Solo- und Kleinstselbstständige gibt es in Deutschland kaum Angebote. Dabei wirken die unternehmerischen Probleme direkt ins private Leben. Wer länger keinen Gewinn macht, bekommt irgendwann existenzielle Sorgen und kann seine Wohnungsmiete nicht mehr zahlen. Ganz zu schweigen von einem rechtlichen Beistand.
Genau dann fallen Selbstständige durchs Raster, denn Schuldnerberatungsstellen weisen sie in der Regel ab. Das liegt vor allem daran, dass viele Beratungsstellen meinen, Selbstständige gar nicht beraten zu dürfen. Die vorherrschende Meinung ist, dass es hier Rechtsunsicherheiten gäbe. Schuld seien mögliche Probleme im Zusammenspiel von Insolvenzordnung und dem Rechtsdienstleistungsgesetz.
Ein weiteres Problem ist die Finanzierung. Finanziers von Beratungsstellen fehlt mitunter der Blick für die Probleme von Solo- und Kleinstunternehmer*innen. Obendrein ist die Beratung von Selbstständigen kompliziert. Berater*innen müssen sich im Regelinsolvenzverfahren ebenso auskennen wie bei betriebswirtschaftlichen Abläufen oder im Steuer- und Abgabenrecht.
Ohne Hilfe geben viele überschuldete Solo- und Kleinstselbstständige mit Problemen auf. Manche zahlen Raten an Inkassounternehmen, obwohl sie das gar nicht müssten. Wer die Wohnungsmiete nicht mehr zahlen kann, rutscht womöglich in die Obdachlosigkeit.
In Berlin läuft es besser
Das Land Berlin zeigt, dass sehr viel mehr geht: Selbstständigen ist mit einer Krisenberatung sehr wohl zu helfen. Seit dem Jahr 2020 werden im Stadtteil Moabit ausschließlich Kleinstselbstständige beraten. Ziel ist, den Selbstständigen dabei zu helfen, sich entweder wieder solvent aufzustellen oder die Abwicklung ihres Geschäftes so zu ordnen, dass sie anschließend wieder am Gesellschafts- und Arbeitsleben teilhaben. Ähnliche Projekte existieren auch in München und Hamburg.
Die Rechtsunsicherheit bei der Beratung von Selbstständigen, die viele Beratungsstellen fürchten, spielte in der Arbeit der Berliner Beratungsstelle bisher keine Rolle. Nach 25-jähriger Beratungserfahrung mit Selbstständigen zeigt sich vielmehr: Die beteiligten Gerichte, Insolvenzverwalter*innen und Gläubiger*innen sind froh über kompetente Ansprechpartner*innen aus der Schuldnerberatung.
Zentral für die Entstehung des Berliner Projekts waren Timing und Wille: Die Corona-Krise verschärfte die Geldprobleme kleinster Unternehmer*innen drastisch. Motivierte Akteure drängten damals auf ein Beratungsangebot spezifisch für Kleinstselbstständige. Die Senatsverwaltung bewilligte schließlich die Finanzierung.
Untiefen der Selbstständigkeit
Selbstständige stehen vor einer Reihe von Herausforderungen, die Arbeitnehmer*innen nicht betreffen. Viele scheitern am komplexen System aus Steuern und Abgaben. Nicht jede*r weiß, dass bestimmte Berufsgruppen in die Rentenversicherung zahlen müssen. Und viele kommen in die Beratung, weil das Finanzamt ihr Konto gepfändet hat.
Andere scheitern an sich selbst, weil die Selbstständigkeit sie überfordert. Externe Schocks wie Pandemie, Inflation oder Kriegsausbrüche erschweren die Planbarkeit zusätzlich. Beispiel Gastronomie: Restaurants und Imbisse ächzen gleich dreifach unter gestiegenen Einkaufspreisen, mangelndem Personal und sparsamen Gästen.
Manche Selbstständige bekommen es sogar mit dem Strafgesetz zu tun. Wer seine Angestellten bezahlt, wegen knapper Kassen die Sozialbeiträge dann aber nicht mehr bedienen kann, macht sich strafbar. Diese Konsequenzen sind den allermeisten Gründer*innen aber gar nicht geläufig – und gelten auch für jene, die es gut meinen und ihre Angestellten wenigstens zu Weihnachten endlich wieder entlohnen wollen.
Weg nach vorne
Kleinstselbstständige brauchen Schuldnerberatung. Der Zugang dazu könnte durch zwei Maßnahmen bedeutend verbessert werden.
Vor allem müssen Rechtsunsicherheiten rund um die Beratung von Selbstständigen ausgeräumt werden. Das Rechtsdienstleistungsgesetz und die Insolvenzordnung sollten die Beratung von Kleinstselbstständigen jeweils ausdrücklich für anerkannte Beratungsstellen erlauben. Damit wäre schon viel gewonnen. Hier gibt es politischen Handlungsbedarf.
Außerdem benötigen Beratungsstellen mehr kompetentes Personal für die Beratung von Selbstständigen. Deren Probleme sind komplexer als die überschuldeter Verbraucher*innen. Fachkräfte sollten daher firm sein im Regelinsolvenzverfahren und betrieblichen Abläufen. Denkbar ist hier etwa die Umschulung von Fachkräften aus der Insolvenzverwaltung.
Wenn Selbstständigkeit politisch gewollt ist, sollte ein Rettungsnetz für gescheiterte Selbstständige nicht vergessen werden. Andernfalls haben die Betroffenen allen Grund, sich von der Gesellschaft im Stich gelassen zu fühlen.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autor*innen geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.
Frank Wiedenhaupt
Frank Wiedenhaupt ist Diplom-Kaufmann und berät seit 1999 ver- und überschuldete Selbstständige. Er leitet seit drei Jahren die öffentlich geförderte Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle für Kleinstselbstständige in Berlin, ist Mitglied des Expertenforums des Bundeswirtschaftsministeriums, Lehrbeauftragter der Fachhochschule Koblenz und war in den Jahren 2016 bis 2020 im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung.