Wenn die Bank zum Geschäftsrisiko wird

Folge 3: Kontoprüfer Hans Peter Eibl über das wiederkehrende Phänomen, dass Banken bei Geschäftskonten von Selbstständigen falsche Abrechnungen von Zinsen und Entgelten vorlegen. Für betroffene Betriebe sind die Konsequenzen teils dramatisch.

04.08.2024

„Ein aktueller Fall von mir zeigt mal wieder, wie ungeniert manche Banken bei Gewerbetreibenden falsche Zinsen abrechnen. Was da passierte, ist wirklich dreist, schäbig, oder was man dazu sonst noch sagen darf.
Ein Unternehmer war verstorben und bei seiner Volksbank im Minus. Nichts Weltbewegendes, aber doch eine ordentliche Summe. Die Bank drückte den Erben kurz nach dem Tod des Schuldners grundlos 18 Prozent Kreditzins aufs Auge. Einfach so, nach dem Motto: Die zahlen schon, statt sich zu wehren. So eine Unverschämtheit!

Ich bin seit über 30 Jahren Kontoprüfer und habe an die tausend Fälle bearbeitet. Wie viele es endgültig sind, habe ich nie gezählt. In schätzungsweise 99 Prozent der Fälle ging es um Sparkassen oder genossenschaftliche Banken, die sich wiederum untereinander ungefähr im Verhältnis 50/50 aufteilen.

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In meiner ganzen Laufbahn habe ich bloß ein einziges Konto geprüft, das richtig abgerechnet worden war. Mein Eindruck ist, dass bei vielen Banken solche Falschabrechnungen wiederkehrend stattfinden. Über die gesamte Wirtschaft, über alle Gesellschaftsschichten. Das ist ein bundesweites Phänomen.

Klar, ich bekomme auch nur die kritischen Fälle vorgelegt, bei denen bereits ein Anfangsverdacht herrscht. Es gibt aber sicherlich auch viele Fälle, die unentdeckt bleiben. Ich schätze den jährlichen Schaden auf Milliarden von Euro. Und ich bin nicht der einzige, der glaubt, dass es um so große Summen geht.

Schamloses Zugreifen

Die Allermeisten meiner Kunden sind Selbstständige, ganz wenige sind Privatkunden. Bei einem Gewerbetreibenden mit tausenden von Euro an täglichen Kontobewegungen ist einfach mehr zu holen. Da kann auf dem Konto mehr schieflaufen. Und zwar so, dass es für die Bank gut läuft und für den Kunden schlecht. Das ist das Prinzip.

Gewerbetreibende haben im Regelfall bei ihrer Bank Kreditlinien, ähnlich wie ein Dispo beim Girokonto. Laut Kontoauszug berechnet die Bank dem Kunden, sagen wir mal, beispielsweise 10 Prozent Kreditzinsen. Das müssen die Kunden glauben, auch wenn vielleicht etwas Anderes als 10 Prozent abgerechnet wurde. Schließlich prüft normalerweise niemand die Rechnung der Bank nach.

Hintergrund: Die Masche mit den falschen Zinsen

Die Abrechnung der eigenen Bank auf Richtigkeit prüfen? Das macht im Normalfall niemand. Banken können schließlich rechnen, so die Annahme. Dennoch gibt es immer wieder Fälle von Falschabrechnungen – zum Schaden der Kund*innen.

Insbesondere Gewerbetreibende können durch Falschabrechnungen ihrer Bank viel Geld verlieren. Nach Erfahrungen des Kreditsachverständigen Hans Peter Eibl beträgt der durchschnittliche Schaden bei selbstständigen Sparkassenkund*innen rund 170.000 Euro. Insgesamt liegt der jährliche Schaden schätzungsweise in Milliardenhöhe.

Kleine Fehler, großer Schaden

Die Masche funktioniert wie folgt: Die Bank vereinbart mit einem*r Unternehmer*in fürs Geschäftskonto ein Kreditlimit zu einem gewissen Zins, beispielsweise 10 Prozent. Dieser Zins kann steigen oder sinken, je nachdem, wie sich der Vergleichszins der Bundesbank entwickelt. Steigt der Vergleichszins um zwei Prozentpunkte, steigt der Kreditzins der Bank im gleichen Maß. Es gilt: Der Abstand zwischen Kreditzins und Vergleichszins muss gleichbleiben.

Genau diese Regel brechen aber einige Sparkassen und Genossenschaftsbanken immer wieder. Sinkt der Vergleichszins, geben diese Banken die Zinssenkung nicht vollständig an den*die Kund*in weiter – selbst, wenn das Geldhaus es auf dem Kontoauszug womöglich behauptet. In der Folge stellt das Institut zu hohe Zinsen in Rechnung. Bleiben solche Falschberechnungen über Jahre hinweg unbemerkt, produzieren kleine Fehler große Schadensummen. Im schlimmsten Fall kann das Unternehmen pleitegehen.

Nachrechnen lassen

Ob alles mit rechten Dingen zugeht, merkt nur, wer nachrechnen lässt. Bei einer Kontoprüfung wird für lange Zeiträume von 20 oder 30 Jahren zurückgerechnet. Stimmten die Zinsen? Stimmten die erhobenen Entgelte? Falls nicht, können Geschädigte ihre Bank auf Schadensersatz verklagen. Die üblichen Verjährungsfristen gelten dann oftmals nicht.

Es funktioniert so: Manche Sparkassen und Genossenschaftsbanken passen ihre Kreditzinsen nicht richtig an, wenn der Marktzins sinkt – entgegen der vertraglichen Vereinbarung mit dem Kunden. Mal berechnen die Geldhäuser auch Entgelte, die gar nicht berechtigt sind. Oder sie tun so, als wäre das Kreditlimit überschritten worden, und berechnen noch teurere Überziehungszinsen.

Mit diesen Methoden können sich die Banken einen schönen Batzen Geld abzwacken. Da wird schamlos zugegriffen.

Von Handwerkern und Kfz-Händlern

Bei einem meiner Fälle ging es um einen Handwerksbetrieb mit circa 40 Mitarbeitern. Ich habe das Konto für einen Zeitraum von knapp 30 Jahren geprüft. Der Betrieb schuldete meinem Gutachten zufolge der Sparkasse 460.000 Euro weniger an Zinsen und Entgelten als das Institut behauptete.

460.000 Euro – das muss man sich mal vorstellen. Ich meine, davon kann man schon sehr oft sehr gut essen gehen, und es bleibt sogar noch etwas übrig.

„Wenn Banken sich ungerechtfertigt bereichern, müssen sie dem Kunden das Geld mit Zinsen zurückzahlen.“

Wenn Banken sich ungerechtfertigt bereichern, müssen sie dem Kunden das Geld mit Zinsen zurückzahlen. Allein durch die Zinsen kann nochmal eine ordentliche Summe zusammenkommen. Um ein Beispiel zu nennen: Im Fall des Handwerkers lag die Gesamtsumme, also Schaden plus Zinsen, meinen Berechnungen zufolge zwischen knapp 690.000 Euro und gut einer Million Euro. Es lohnt sich also für die Banken, wenn keiner hinguckt.

Zum Glück ist der Mann pumperlgesund, wie man in Bayern so sagt. Aber natürlich war das alles eine große Belastung – für ihn persönlich, für die Familie, und auch für den Betrieb. Den konnte er weiterführen, wenn auch am Rande des Abgrunds. Letztlich hat ihm die Sparkasse einen namhaften Vergleichsbetrag angeboten.

Ein anderer Kunde von mir war Unternehmer mit einem Kfz-Handel und einer Autovermietung. Den traf es noch dicker. Dessen Schadenssumme lag insgesamt bei mehr als 3 Millionen Euro. Sein Betrieb hat den Ärger mit seiner Bank dank meines Gutachtens überlebt. Die schon beantragte Zwangsversteigerung wurde eingestellt, und der Mann konnte sich mit seiner Bank einigen.

Nur wenige Bankkunden wehren sich

Für die Geschädigten stellt sich bei Gebühren- und Zinsärger mit der Bank immer die Frage: Will man alles zurückbekommen und klagt sich jahrelang durch die Instanzen? Oder gibt man sich mit einem Vergleich zufrieden. Der tut vielleicht noch etwas weh, aber man hat endlich Frieden mit der Sache.

Bei den Vergleichen gibt es allerdings auch große Sauereien. Wenn ich erstmal so einen Fall begutachtet und einen Schaden festgestellt habe, bieten die Banken den Kunden im ersten Schritt regelmäßig bloß 10 Prozent der Schadenssumme an. Nach dem Motto: Vielleicht gibt sich der Kunde damit ja zufrieden, probieren kann man’s ja.

Dieses Vorgehen ist absoluter Standard. Und wie gesagt: Wenn die Menschen fertig sind mit den Nerven, fangen sie an, solche Angebote zu akzeptieren. Die wollen einfach nur ihre Ruhe.

„Wenn die Menschen fertig sind mit den Nerven, fangen sie an, solche Angebote zu akzeptieren. Die wollen einfach nur ihre Ruhe.“

Ich habe mal ein Gutachten gemacht, bei dem aus meiner Sicht ein erklecklicher Betrag zusammenkam. Die Auftraggeber sagten dann aber: „Wir haben die Schnauze voll. Wir wollen uns jetzt nicht auch noch mit denen rumstreiten, nach allem, was die uns angetan haben.“

Oft geht es auch um das Prozessrisiko. Es ist immer wieder das Gleiche, ob bei Prämiensparverträgen oder dem Dieselskandal: Viele Leute wissen von Anfang an, dass sie sich eine Klage gegen ihre Bank nicht leisten können und lassen es gleich. Gerade wenn die Kasse wegen Falschabrechnungen leer ist fehlt ja das Geld für den Gutachter oder Rechtsanwalt. Wenn überhaupt, wehren sich vielleicht 1 Prozent der Betroffenen.

Und natürlich ist ein Rechtsstreit ein Vabanque-Spiel. Sicher ist der Ausgang bei einem Gerichtsverfahren nun wirklich nicht – im Gegenteil. Oft gilt vor Gericht der Grundsatz: Der Gläubiger ist der Brave und der Schuldner soll seine Schulden zahlen, fertig.

Beweislastumkehr als Lösung

Dass die Banken sich so die Taschen füllen, liegt an mangelnder Rechtsdurchsetzung, nicht an fehlenden Gesetzen oder schlechter Rechtsprechung. Im Gegenteil, wir haben eine hervorragende Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat längst klargemacht, dass Banken so nicht agieren dürfen.

Aber das interessiert diese Banken nicht. Sie machen einfach weiter. Und wer damit ein Problem hat, soll sich eben hochklagen. Das ist ein Geschäftsmodell. Diese Institute rechnen damit, dass sich kaum jemand wehrt.

„Wer damit ein Problem hat, soll sich eben hochklagen. Das ist ein Geschäftsmodell.“

Da hilft nach meinem Dafürhalten nur der Gesetzgeber. Wir brauchen eine Beweislastumkehr: Statt dem Kunden sollte die Bank beweisen müssen, dass sie im Kreditverhältnis richtig abgerechnet hat – notfalls mit einer eidesstattlichen Erklärung gegenüber dem Gericht.

Ansätze in diese Richtung gibt es auch schon aus der Rechtsprechung zum Diesel-Skandal. Da muss in bestimmten Konstellationen nicht mehr der Kläger beweisen, dass beim Auto etwas nicht stimmt. Stattdessen muss der Hersteller zeigen, dass er alles so zusammenbauen durfte.

Es wäre ein ganz einfaches Prozedere. Sollte eine Vorprüfung ergeben, dass bei der Abrechnung etwas nicht stimmt, sollte die Bank sämtliche Kosten tragen müssen, die durch Kontenprüfung und Rechtsverfolgung entstehen. Und zwar im Vorhinein, ohne Gerichtsurteil.

Letztlich kann ich sagen, dass mich die Entwicklung der Rechtsprechung in Deutschland insgesamt doch hoffnungsvoll stimmt. In den letzten 30 Jahren hat sich da wirklich einiges zugunsten der Bankkunden verändert. Auch wenn es noch ein weiter Weg ist. Die Richtung stimmt.

Ärger mit der Abrechnung? Was Unternehmer*innen tun können

Falschabrechnungen sind nach Meinung von Expert*innen keine Einzelfälle. Doch es gehört nicht zu den Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), laufend zu prüfen, ob Banken richtig rechnen. Unternehmer*innen müssen sich also selber kümmern, wenn sie befürchten, dass ihre Abrechnung für die Kreditzinsen nicht stimmt.

  • Ombudsstelle einschalten: Wer glaubt, dass seine*ihre Bank nicht korrekt abrechnet, kann sich als Kund*in einer Sparkasse oder Volksbank im ersten Schritt an die jeweilige Ombudsstelle wenden. Kund*innen von privaten Banken können sich an die Universalschlichtungsstelle des Bundes wenden. Eine weitere Anlaufstelle ist die BaFin. Wer sich beschwert, muss allerdings auch selbst die Beweise vorlegen. Die Erfolgsaussichten einer Beschwerde hängen stark vom Einzelfall ab.
  • Prüfen lassen: Wer es genau wissen will, kann die von der Bank erhobenen Zinsen durch eine Fachperson prüfen lassen. In diesem Fall vollzieht der*die Kontoprüfer*in minutiös nach, ob sich die Bank an die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchhaltung gehalten hat.
  • Notfalls zum Gericht: Wollen Kund*innen eine Rückzahlung von ihrer Bank durchsetzen, sollten sie etwaige Ansprüche bei der Bank geltend machen. Mit Glück lenkt das Institut von sich aus ein. Allzu wahrscheinlich ist das allerdings nicht. Wer auf volle Rückzahlung pocht, wird Ansprüche in aller Regel gerichtlich durchsetzen müssen.
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