Teure Wechselkarusselle

Folge 1: ein Versicherungsvermittler über schädliche Vertragswechsel bei Lebensversicherungen

22.06.2023

„Also manchmal schwillt einem auch als altgedienter Versicherungsvermittler noch der Kamm, wenn man sieht, was da draußen los ist. Ich bin inzwischen in Rente, arbeite nebenher noch ein bisschen in einer Versicherungsagentur mit – und habe in dem Geschäft schon einiges gesehen.

Aber die Unsitte mit den Umdeckungen, das ist schon speziell. Umdeckung bedeutet: Eine bestehende Versicherung, sehr häufig eine Lebensversicherung, wird beim Kunden erst schlecht geredet und dann gestoppt oder gekündigt. Und danach wird ein neuer – vermeintlich besserer – Vertrag verkauft, der dem Verkäufer eine neue Provision bringt.

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Gründe finden sich ja immer: angeblich geringe Renditechancen oder maue Konditionen, da kann man sich was aussuchen. Der Kunde versteht das in den meisten Fällen sowieso nicht, der will nur eine ordentliche Altersvorsorge. Ein Kunde hat mir erzählt, wie es bei ihm mehrfach lief: Sein Vermittler, sagt er, sei jedes Mal von sich aus gekommen und habe gesagt, er habe da jetzt etwas Besseres. Und der Mann hat dann auch gar nicht weiter gefragt.

Das Ziel ist nicht unbedingt, dem Kunden etwas Gutes zu tun

Und dann wird die Lösung präsentiert: ein neuer Vertrag. Klingt super, aber das Ziel der Aktion ist ja nicht, dem Kunden etwas Gutes zu tun. Es geht oft nur darum, dass der Vermittler eine neue Abschlussprovision verdient. Das können 1.000 Euro oder mehr sein.

Für die Versicherten sieht es anders aus. Sie müssen mehrmals Provision aufbringen – für den alten und den neuen Vertrag. Für sie ist so ein Vertragswechsel in der Altersvorsorge daher in den allermeisten Fällen ein schlechtes Geschäft und sie verlieren Geld. Das weiß aber natürlich kein Mensch.

„In den Unterlagen von Kunden kann man oft ganz genau sehen, wie da ein Vermittler eine Provision geschunden hat.“

Im Markt sind für solche Umdeckungen vor allem Finanzvertriebe bekannt – also Leute, die vorwiegend vom Verkauf und den Abschlussprovisionen dafür leben müssen. In den Unterlagen von Kunden kann man oft ganz genau sehen, wie da ein Vermittler eine Provision geschunden hat – mehr oder minder ohne Rücksicht auf das Interesse des Kunden.

Ich erinnere mich da an einen Riester-Fall, der mittlerweile schon länger her ist. Heute wird das bei Riester-Verträgen kaum noch gemacht, die meisten Anbieter wollen Riester ja nicht mehr verkaufen. Aber bei anderen Rentenversicherungen gibt es das wohl nach wie vor.

In dem Riester-Fall hatte mich ein Ehepaar halb privat angesprochen, die waren früher Kunden von mir. Sie baten mich um Hilfe bei ihren Verträgen. Die beiden wohnen in Norddeutschland, sind mittlerweile zwischen 40 oder 50 Jahre alt und kamen mit ihren Unterlagen zu mir.

„Alter Vertrag weg, neuer Vertrag her – so lief das jahrelang.“

Das Ehepaar hatte einen Haufen Vorsorgeverträge abgeschlossen, alle nacheinander. Alter Vertrag weg, neuer Vertrag her – so lief das jahrelang. Das Ganze hatte ihnen der Vermittler eines großen Finanzvertriebs als Optimierung ihrer Altersvorsorge verkauft. Allein dieses Ehepaar hatte im Laufe der Jahre insgesamt sechs Riester-Verträge. Das Guthaben des Mannes wurde in einen neuen Riester-Vertrag übertragen, als der Kunde Ende 2012 zu dem Vermittler kam. Und so ging es weiter: Der zweite Vertrag wurde 2014 beitragsfrei gestellt, also stillgelegt, und gleich ein neuer abgeschlossen. Auch der dritte wurde nach ein paar Jahren gekündigt. Und natürlich gab es wieder eine neue Riester-Versicherung – und jedes Mal kassierte der Vermittler.

Bei einem Vermittler sechs Mal Provision gezahlt

Auch die Ehefrau wurde entsprechend versorgt: Sie bekam  2016 einen Riester-Vertrag, der wurde nach zwei Jahren gestoppt – und ein neuer abgeschlossen.

Hinzu kam bei dem Mann 2020 auch noch der Wechsel von einem privaten Vorsorgevertrag auf eine neue Rürup-Police, das war der aktuellste Fall. Der Kunde sparte seit Ende 2004 mit einer privaten Fondspolice, die er seinerzeit noch schnell abgeschlossen hatte, weil man sich in diesem Jahr noch eine steuerfreie Auszahlung sichern konnte. Damals herrschte eine Goldgräberstimmung im Verkauf, in diesem Jahr wurden wahnsinnig viele Verträge abgeschlossen. Auch diese fondsgebundene Versicherung wurde dann im März 2020 vom Vermittler ersetzt, durch eine Rürup-Rente.

Alles in allem hatten die Eheleute also allein bei diesem Vermittler sechs Mal Provision gezahlt.

Diesen letzten Umtausch fand ich ganz besonders dreist, weil da ein steuerlich privilegierter Altvertrag stillgelegt und durch einen Vertrag ersetzt wurde, bei dem die Auszahlung nicht steuerfrei ist. Solche Umdeckungen zu Lasten der Kunden sind bei seriösen Vermittlern eigentlich verpönt. Ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, was für den Kunden daran von Vorteil sein soll!

„In aller Regel gewinnt nur der Vermittler: Er erhält jedes Mal eine neue Abschlussprovision.“

Solche Umtauschaktionen – alte Lebensversicherung stilllegen oder kündigen, neuen Vertrag abschließen – werden dem Kunden als Hilfestellung verkauft, so als gäbe es da etwas zu gewinnen. Das ist Blödsinn, in aller Regel gewinnt nur der Vermittler: Er erhält jedes Mal eine neue Abschlussprovision.

Als Profi konnte man bei dem Ehepaar mit Riester- und Rürup-Versicherungen leicht sehen, dass bei diesen Geschäften nicht die Sinnhaftigkeit für den Kunden im Vordergrund stand. Wahr ist aber auch: Für einen Laien, der sich mit Versicherungen nicht so auskennt, gab es darauf keine Hinweise. Wenn man seinem Vermittler vertraut, dann macht man das eben. Die Wechselgeschäfte wurden bei dem Ehepaar natürlich auch in keinem einzigen der Beratungsprotokolle festgehalten.

Hintergrund: Die Unsitte mit den Umdeckungen

Unter dem Begriff Umdeckung versteht man, wenn eine bestehende Versicherung stillgelegt oder gekündigt wird, um einen neuen Vertrag abzuschließen. Für die Kund*innen ist ein solcher Wechsel bei Lebens- und Rentenversicherungen meist mit enormen Nachteilen verbunden. Sie müssen oft geringere Garantien oder den Verlust von Steuervorteilen in Kauf nehmen. Außerdem fallen erneut Abschlusskosten an, die das Ersparte schmälern.

Die Jagd nach Provisionen verleitet Vertriebsleute und Anbieter*innen dennoch immer wieder, bereits Versicherte in einen neuen Vorsorgevertrag zu lotsen. Der Versicherungsmarkt in Deutschland gilt mit knapp 65 Millionen kapitalbildenden Verträgen als gesättigt. Viele Menschen haben schon eine Lebensversicherung oder zwei.

Jagd nach Provision in einem umkämpften Markt

Im umkämpften Markt wollen die Vertriebler verdienen. Am besten geht das mit Provisionen für einen Vertragsabschluss. Wer Verkaufsdruck hat und nicht genügend neue Kundschaft findet, kann notfalls mit der Wechsel-Masche (alter Vertrag weg, neuer Vertrag her) seine Einkünfte aufbessern – und lässt das Interesse der Kund*innen unter Umständen hintanstehen.

Konkrete Zahlen zum Wechselgeschehen gibt es nicht. Ab und an werden Aktionen von Versicherern, Vertrieben oder Einzelpersonen bekannt. Für die Riester-Rente gibt es grobe Indizien: Heute gibt es noch gut 10 Millionen Riester-Policen, seit 2002 wurden aber mehr als 17 Millionen abgeschlossen. Rund 7 Millionen Riester-Versicherungen müssen also gekündigt worden sein. Wie viele davon umgedeckt wurden? Unklar.

Nachteile für Kunden sind unbestritten

Übrigens gilt es auch nach den Wettbewerbsregeln der Branche zumindest als unfein, wenn Vermittler*innen der Konkurrenz einen Vertrag ausspannen – ihn also vorzeitig beenden, um ihn dann neu abzuschließen. So etwas solle bei Lebensversicherungen „unterbleiben“, heißt es in der Richtlinie, weil es „für die versicherte Person in der Regel mit Nachteilen verbunden ist.“

Der Verhaltenskodex des Versichererverbands GDV für den Vertrieb fordert klar: „Kunden sind in jedem Fall über eventuelle Nachteile konkret aufzuklären.“ Nur: Wer soll das überprüfen?

Jeder alte Vertrag stört das neue Geschäftsvorhaben

Solche Fälle gibt es immer wieder, wenn es schlicht ums Verkaufen und die Abschlussprovision geht. Denn die Leute haben ja nur ein begrenztes Budget, was sie für Versicherungen ausgeben können oder wollen. Wenn man als Vertriebler also zu einem neuen Kunden kommt, stört jeder alte Vertrag das eigene Geschäftsvorhaben – weil er das frei verfügbare Budget des Kunden mindert. So verdient man kein Geld. Schon aus diesem Grund wird ein neuer Vertrag häufig als der Bessere dargestellt. Das wissen die Leute natürlich nicht. Und auf Nachteile solcher Wechselgeschäfte wird nach meiner Erfahrung so gut wie nie hingewiesen.

Im Prinzip wird auch bei den vermeintlichen Beratungsanalysen, die Finanzvertriebe anbieten, nur versucht, das Budget für neue Vorsorgeverträge freizuschaufeln. Lebens- und Rentenversicherungen laufen sehr lange und sind gut verprovisoniert. Berechnungsbasis für die Vermittlervergütung sind alle Beiträge, die der Kunde in den Vertrag einzahlen wird. Da kommt einiges zusammen: 150 Euro Beitrag monatlich mal 30 Jahre sind zusammengerechnet 54.000 Euro Basiswert – und bei einem Satz von 2 bis 4 Prozent leicht 1.000 bis 2.000 Euro Provision.

„Aktuell ist das Modell – alten Vertrag stilllegen, neuen abschließen – fast immer nachteilig. Aber das Karussell dreht sich immer weiter.“

Der Trick an den Wechselkarussellen ist: Wer seinen Kunden viermal hintereinander einen neuen Vertrag verkauft, bekommt viermal so viel. Die Versicherten glauben, sie tun damit etwas für ihre Altersvorsorge und schließen immer wieder neue Verträge ab. Aber wegen der immer neu anfallenden Kosten kommt immer weniger bei ihnen an. So wird die Altersvorsorge zum Verlustgeschäft.

Fälle wie das Ehepaar aus Norddeutschland hat es immer gegeben. Besonders krass lief das Geschäft Ende der 90er Jahre und vor dem Ende der Steuerfreiheit im Jahr 2004. Da wurden sehr viele Altverträge kaputt gemacht. Und vieles deutet darauf hin, dass es nach wie vor ein großes Wechselgeschehen gibt.

Aktuell ist das Modell – alten Vertrag stilllegen, neuen abschließen – fast immer nachteilig. Schließlich haben Altverträge in der Lebensversicherung in der Regel höhere Zinsgarantien und Verträge aus der Zeit vor 2005 obendrein steuerliche Privilegien. Aber das Karussell dreht sich immer weiter.

„Anstand und irgendwelche Compliance-Regeln für Vermittler sind gerichtlich nicht vollstreckbar.“

Aus meiner Sicht ließe sich das Problem einfach lösen: Man müsste nur jeden Altersvorsorgevertrag und jede Veränderung personengebunden registrieren – mit ein paar Eckdaten wie der Vertragsnummer und Versicherungsdauer. Dann würde man auch Änderungen wie die Stilllegung des Vertrags festhalten – und so dem Wechselgeschehen auf die Spur kommen. Im digitalen Zeitalter sollte das eigentlich kein Problem sein.

Klar, solche Wechselkarusselle sind unlauter. Anstand und irgendwelche Compliance-Regeln für Vermittler sind aber gerichtlich nicht vollstreckbar. Am Ende bastelt jeder seine eigene Interpretation davon, was am Markt erlaubt ist – und die vermeintliche Beratung im Interesse des Kunden bleibt allzu oft leider nur ein hohles Lippenbekenntnis.“

Wechselangebot? Was Kund*innen tun können

Wenn Vermittler*innen dazu raten, eine bestehende Lebensversicherung – etwa einen Rürup-, Renten- oder Berufsunfähigkeitsvertrag – zu stoppen oder zu kündigen, um in einen neuen Vertrag zu wechseln, ist Vorsicht geboten. Der Umstieg ist für Versicherte sehr oft nachteilig.

  • Vergleichsrechnung: Lassen Sie sich nicht von schönen Worten blenden. Fordern Sie eine konkrete Vergleichsrechnung, wie sich die Umstellung des Vertrages finanziell für Sie auswirkt – schriftlich! Seriöse Vertriebsleute klären ungefragt über Nachteile bei einem Vertragswechsel auf.
  • Anreiz: Fragen Sie Ihre*n Vermittler*in, was er oder sie an der Vertragsumstellung an Provision verdient. So können Sie den finanziellen Anreiz für Ihr Gegenüber abschätzen.
  • Dokumentation: Bestehen Sie im Fall einer Vertragsumstellung auf eine aussagekräftige Beratungsdokumentation, die Vor- und Nachteile auflistet. Das Papier wird nach Aussage von Praktikern oft vergessen.
  • Beweislast: Wenn Sie bereits zu Ihrem Nachteil umgedeckt wurden, hilft Ihnen eventuell ein Urteil des Bundesgerichtshofs weiter. Demnach müssen Versicherungsmakler*innen eine Vergleichsberechnung erstellen oder wenigstens die Möglichkeit einer solchen Berechnung ansprechen (Az.: I ZR 274/16). Fehlt eine Beratungsdokumentation, kann sich vor Gericht die Beweislast zugunsten des Versicherten umkehren. Sprich: Makler*innen müssen dann belegen, dass sie korrekt beraten haben.
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