„Ich bin Erbe eines großen Unternehmens und gehöre zum reichsten Prozent der Bevölkerung. Mein Erbe beläuft sich auf eine zweistellige Millionenhöhe. Ich erzähle meine Geschichte anonym, weil meine Familie nicht als reich geoutet werden möchte. Ich respektiere diesen Wunsch, auch wenn ich das selber anders sehe. Ich persönlich fände es für unsere Gesellschaft besser, wenn transparent wäre, wer wie viel besitzt.
Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung besitzt das reichste Prozent der Menschen in Deutschland über 35 Prozent des Vermögens. Die ärmsten 40 Prozent hingegen besitzen gar nichts. Ich bin sicher: Diese großen Vermögensunterschiede sind nur möglich, weil sich Reiche verstecken können. Vielen Menschen ist daher gar nicht bewusst, welche Dimensionen die Ungleichheit hat.
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Wie schaut es in meinem Fall aus? Der größte Teil meines Vermögens ist gebunden in der Firma. Ich erhalte jährliche Ausschüttungen aus dem Unternehmen und aus den Rücklagen, die am Finanzmarkt angelegt sind.
Ich bin da quasi reingewachsen. 2009, als ich 15 Jahre alt war, hat mein Vater mir die ersten Anteile am Unternehmen übertragen. Damals stand eine Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer an. Die Familie befürchtete schärfere Regeln und wollte die günstigere Alt-Regelung nutzen. Einige Firmenanteile habe ich geschenkt bekommen. Andere habe ich meinem Vater mit einem Darlehen abgekauft, das ich jetzt über die Ausschüttungen abbezahle, weil das steuerlich günstig ist.
Durch die Übertragung der Unternehmensanteile bin ich dann Teil der Gesellschafterversammlung geworden, in der 15 Familienmitglieder vertreten sind. Aber weil es unser Unternehmen schon lange gibt und die Familie entsprechend verzweigt ist, sitze ich da nicht mit meinen Geschwistern oder Cousins und Cousinen zusammen, sondern mit Menschen, die ich vorher gar nicht kannte.
Die Gesellschafterversammlung ist eine Art Aufsichtsgremium. Es wird über Zahlen, Gewinne und Ziele des Unternehmens berichtet. Am Ende des Tages dürfen wir aber nur den Jahresabschluss abnehmen und die Geschäftsführung entlasten. Ziel dieser Struktur ist es, das Unternehmen in Familienhand zu behalten und Steuern zu minimieren. Gleichzeitig ermöglicht die Firmenstruktur, die Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit möglichst gering zu halten und Arbeitnehmervertreter*innen aus dem Aufsichtsrat herauszuhalten.
Gleichzeitig ermöglicht die Firmenstruktur, die Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit möglichst gering zu halten und Arbeitnehmervertreter*innen aus dem Aufsichtsrat herauszuhalten.
Die Steuer spielt bei allem eine große Rolle. So wird die Übertragung von Firmenanteilen in meiner Familie mittlerweile über Poolverträge geregelt. Der Grund ist: Wer mehr als 25 Prozent einer Kapitalgesellschaft besitzt, kann diese steuerfrei in der Familie weitergeben.
Wenn die Firmenanteile – so wie bei unserer Familie – sehr weit gestreut sind, können sich die Anteilseigner*innen als Pool zusammentun, bis sie die Marke von über 25 Prozent erreichen. Dann genießen sie die gleichen steuerlichen Privilegien. Die einzige Verpflichtung ist: Alle Pool-Mitglieder müssen in der Gesellschafterversammlung einstimmig abstimmen.
Mit dieser Methode können wir massiv Erbschaftsteuer reduzieren. Trotz Poolvertrag wird in meiner Familie aber immer noch Erbschaftsteuer bezahlt, weil ja auch noch andere Vermögenswerte wie Geld und Immobilien an die nächste Generation weitergereicht werden.
Das Verrückte ist: Nicht mal ich kann im Detail erklären, wie die steuerfreie Übertragung läuft – obwohl ich ja einer der Nutznießer bin. Für solche komplexen Modelle braucht man Expert*innen und Menschen aus großen Anwaltskanzleien. Das muss man sich leisten können.
Das Verrückte ist: Nicht mal ich kann im Detail erklären, wie die steuerfreie Übertragung läuft – obwohl ich ja einer der Nutznießer bin.
Um das noch einmal ganz klar zu sagen: Wir sprechen hier nicht von einem Graubereich. Das sind ganz legale Wege zur Umgehung von Erbschaftsteuern, die der Gesetzgeber genau so vorsieht.
Mittlerweile sehe ich diese Regelungen sehr kritisch. Warum ist es möglich, mit mehr Geld weniger Steuern zu zahlen? Das ist doch absurd. Ich spreche das auch gegenüber meinen Mitgesellschaftern und der Geschäftsführung an. Aber ich bin ja nur einer von vielen. Mehrheiten finde ich da nicht. Solange solche Steuersparmodelle für Familienunternehmen gelten, werden diese auch genutzt werden.
Meine Meinung ist: Es braucht eine öffentliche Debatte und Entscheidungen der Politik. Die Frage ist doch: Wer kann wie viel Steuern beitragen, um Leistungen des Staates zu finanzieren? Ich bin kein Steuerexperte, aber ich sehe, dass das Vermögen meiner Familie immer weiterwächst. Dabei ist unser Unternehmen auf vieles angewiesen, das der deutsche Staat bereitstellt: die Infrastruktur, gut ausgebildete Arbeitnehmer*innen, große Absatzmärkte. Deshalb sollten wir auch einen fairen Beitrag leisten. Wir könnten durchaus mehr Steuern zahlen, ohne im finanziellen Ruin zu landen.
Deshalb sollten wir auch einen fairen Beitrag leisten. Wir könnten durchaus mehr Steuern zahlen, ohne im finanziellen Ruin zu landen.
Häufig wird ja behauptet, dass es Arbeitsplätze kostet, wenn Erbschaftsteuern auf Betriebsvermögen erhoben würden. Für meine Familie kann ich sagen: Daneben gibt es auch noch das Finanzvermögen, das angelegt wird und stetig wächst. Damit könnten wir auf jeden Fall Erbschaftsteuern zahlen, ohne Arbeitsplätze abbauen zu müssen.
Meines Wissens gibt es in Deutschland keinen einzigen Fall, wo ein Unternehmen aufgrund von Erbschaftsteuern in Schieflage geraten ist. Außerdem könnte man eine solche Steuer ja auch über zehn oder 20 Jahre stunden, falls sie nicht aus den Rücklagen gezahlt werden kann. Dann beliefe sich die Steuer auf ein Prozent des Gewinns. Jedes erfolgreiche Unternehmen muss diese Summe aufbringen können.
Die Frage ist: Wie gehe ich mit meiner Analyse um? Mir ist vollkommen klar, dass ich in einem Widerspruch stecke. Ich profitiere von einem System, das ich eigentlich ablehne.
Mein Weg in dieser Sache ist, dass ich meine Privilegien nutze, um gegen das System vorzugehen. Ich setze mich mit der Initiative taxmenow für eine höhere Besteuerung von Vermögen ein und spende an Organisationen wie Finanzwende oder das Netzwerk Steuergerechtigkeit, die Steuerprivilegien anprangern.
Damit sich etwas ändert, müssen Lobbyverbände wie die Stiftung Familienunternehmen an Einfluss verlieren. Dort organisieren sich die allerreichsten Erbinnen und Erben Deutschlands. Es wird viel Geld in die Hand genommen, damit bei der Erbschaftssteuer alles so bleibt wie es ist.
Ich bin aber überzeugt: Wenn Milliarden unversteuert vererbt werden und das Vermögen sich in immer weniger Händen konzentriert, läuft etwas falsch in diesem Land.
Hintergrund: Erbschaftsteuer – wer zahlt und wer nicht?
Jedes Jahr werden in Deutschland bis zu 400 Milliarden Euro vererbt. Dabei ist der Geldsegen sehr ungleich verteilt. Die Hälfte der Bevölkerung erbt nichts. Nur 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung erben einen größeren Betrag ab 100.000 Euro aufwärts. Und nur 0,03 Prozent erben ein großes Vermögen von 20 Millionen Euro oder mehr.
Hinzu kommt: Hohe Freibeträge und Steuerprivilegien für besonders Reiche sorgen dafür, dass nur ein geringer Teil des vererbten oder verschenkten Vermögens besteuert wird. So hat der deutsche Staat im Jahr 2022 nur rund 9 Milliarden Euro durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer eingenommen. Zum Vergleich: Allein die Tabaksteuer hat im gleichen Jahr über 14 Milliarden Euro eingebracht.
Auffallend ist, dass mittlere Erbschaften und Schenkungen höher besteuert werden als große. So wurden 2019 Vermögensübertragungen zwischen 500.000 Euro und 2,5 Millionen Euro mit einem Steuersatz von durchschnittlich 8 Prozent versteuert. Die 127 größten Schenkungen mit einem Volumen von insgesamt 12 Milliarden Euro wurden dagegen mit weniger als 1 Prozent besteuert.
Der Grund für dieses Phänomen sind vor allem Ausnahmeregelungen für Betriebsvermögen. So können Unternehmensanteile in Höhe von bis zu 26 Millionen Euro komplett steuerfrei an die nächste Generation weitergegeben geben, auch schon zu Lebzeiten. Die einzige Bedingung: Die Erb*innen dürfen das Unternehmen in den folgenden Jahren nicht verkaufen und nicht allzu viele Mitarbeiter*innen entlassen.
Großerb*innen von mehr als 26 Millionen Euro können zusätzlich einen Antrag auf Steuererlass stellen, sofern sie als „bedürftig“ gelten. Bedürftig heißt in diesem Fall: Die Erb*innen können kein verfügbares Vermögen vorweisen, aus dem sie die Steuerschuld begleichen könnten. Das bietet Gestaltungsmöglichkeiten: Wer sein Privatvermögen in die eigene Firma steckt, bevor das Firmenvermögen übertragen wird, kann sozusagen Bedürftigkeit herstellen. Oder Betriebsvermögen wird schon an Kinder übertragen oder an eine privatnützige Familienstiftung.
Jedes Jahr gehen dem Staat durch diese Ausnahmen über 5 Milliarden Euro Steuereinnahmen verloren. Sie stellen laut Subventionsbericht der Bundesregierung die größte Steuersubvention in Deutschland dar.