Die eklatante Vermögensungleichheit unserer Erbengesellschaft

Martyna Berenika Linartas

12.07.2022

Deutschland versteht sich als Leistungsgesellschaft. Doch der Blick auf die Zusammensetzung von Vermögen, den wachsenden Trend der Vermögensungleichheit und die Rolle der Erbschaften lässt einen anderen Schluss zu.

  • Mittlerweile besitzen in Deutschland nur noch zwei Familien mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der gesamten Bevölkerung.
  • Bereits mehr als die Hälfte aller Vermögen in Deutschland wurde nicht erarbeitet, sondern vererbt und verschenkt.
  • Deutschland ist somit weniger eine Leistungs- als eine Erbengesellschaft.

Die extreme Vermögensungleichheit in Deutschland birgt den Sprengstoff, unsere Gesellschaft zu spalten und der Wirtschaft zu schaden. Trotzdem erfährt die Vermögensungleichheit viel weniger Aufmerksamkeit als etwa die Einkommensverteilung (siehe zum Beispiel Jahresgutachten des Sachverständigenrats 2021). Dabei wäre dies dringend nötig. Denn während der Gini-Index für Einkommen nach Steuer- und Transferleistungen hierzulande bei etwa 0,3 liegt, liegt er bei Vermögen bei etwa 0,83. Damit erreicht Deutschland in puncto Vermögensungleichheit einen unrühmlichen Spitzenplatz unter den Demokratien dieser Welt.

Gini-Index: Ein Maß für Verteilung, bei dem der Wert eins bedeutet, dass eine Person alles besitzt und der Wert Null bedeutet, dass alle das Gleiche besitzen.

Verhältnis von Vermögen zu Einkommen

So hoch wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Übrigens ist diese Angabe zur Vermögensungleichheit kein Ausdruck empirischer Daten, sondern das Ergebnis verschiedener Erhebungen, Statistiken und Kalkulationen. Denn seit die Vermögensteuer 1996 in Deutschland ausgesetzt wurde, fehlt uns schlichtweg eine solide Datengrundlage.

Zum Zeitpunkt der Abschaffung der Vermögensteuer war die Vermögensungleichheit im historischen Vergleich relativ gering, das Verhältnis von privatem Vermögen zum  Nationaleinkommen lag unter 400 Prozent und das reichste 1 Prozent der Bevölkerung besaß 26 Prozent des Vermögens. Heute ist das Vermögen-Einkommens-Ratio mit 511 Prozent das höchste seit 1917. Die privaten Vermögen in Deutschland sind also im Verhältnis zum Nationaleinkommen stärker gewachsen und mehr als fünfmal so hoch.

Die Ungleichverteilung des Vermögens hat auch zugenommen: Mittlerweile besitzt das oberste ein Prozent 35 Prozent dieses enormen Gesamtvermögens. Titelte der Spiegel 2018 noch, dass 45 Superreiche so viel Vermögen wie die ärmere deutsche Bevölkerung haben, besaßen 2021 lediglich zwei Familien mehr Vermögen als über 41,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist also extrem ausgeprägt und nimmt stetig zu.

Die Erbschaftswelle: Von der Generation des Wirtschaftswunders an die Babyboomer

Mit der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich wird auch die Frage nach der Zusammensetzung des Vermögens immer drängender. Vermögen kann entweder im Laufe eines Lebenszyklus angehäuft, oder aber vererbt und verschenkt werden. Über die genaue Höhe der Erbschaften und Schenkungen in Deutschland können keine genauen Angaben gemacht werden, da die Erbschaftsteuer auf jedes einzelne Erbe und nicht auf den Nachlass insgesamt erhoben wird. Allerdings sprechen wir hierzulande seit einigen Jahren von einer „Erbschaftswelle“ – zu Recht. Denn nach Schätzungen des DIW beträgt die jährliche Erb- und Schenkungssumme zwischen 2012 und 2027 bis zu 400 Milliarden Euro. Um dieses Volumen ins Verhältnis zu setzen: Die Erbschaften und Schenkungen betragen somit mehr als zehn Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts Deutschlands.

Und die Erbschaftsfrage wird weiter drängend bleiben. Dies belegen die empirischen Erhebungen zur demografischen Struktur der deutschen Vermögenden: 39 Prozent der Reichen sind 50 bis 64 Jahre und 38 Prozent über 65 Jahre alt; bei den Superreichen trifft dies  auf 37 Prozent bzw. 40 Prozent zu. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Generation des Wirtschaftswunders vermacht den Babyboomern nun ihr Erspartes.

Deutschland: Eher Erben- denn Leistungsgesellschaft

Nicht nur die Summe der Erbschaften und Schenkungen ist insgesamt gewachsen; auch der Anteil der Erbschaften am Privatvermögen hat zugenommen. In den frühen 1970er Jahren betrug der kumulierte Bestand an ererbtem Vermögen als Anteil des Privatvermögens weniger als 25 Prozent. Mittlerweile können wir von einem Anteil von über 50 Prozent ausgehen. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte aller Vermögen heutzutage nicht selbst erwirtschaftet, sondern vererbt und verschenkt wurden. Nach diesen Zahlen und per Definition ist Deutschland somit weniger eine Leistungs- denn eine Erbengesellschaft. Das Narrativ der Leistungsgesellschaft, das wir über Deutschland gerne erzählen, verkommt dem Trend nach zunehmend zu einem Märchen.

Derzeitige Erbschaftsteuer: Kaum Verteilungseffekte

Der hohe Anteil der Erbschaften am Gesamtvermögen weist auch darauf hin, dass Erbschaften eine hohe Verteilungswirkung haben – zumal sie kaum besteuert werden. Bis in die 1970er Jahre machten die Einnahmen aus der Erbschaftsteuer weniger als 0,5 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus. Erst 2016 wurde die Grenze von einem Prozent am Gesamtsteueraufkommen erreicht. Selbst Raucher tragen durch die Tabaksteuer mehr zur Finanzierung des Staatshaushalts bei als Erben. Die Einnahmen aus der Tabaksteuer beliefen sich 2020 auf 14,7 Milliarden Euro, die aus Erbschaften und Schenkungen auf 8,6 Milliarden Euro.

Einerseits lässt sich das niedrige Steueraufkommen durch hohe Freibeträge erklären, die so hoch sind, dass ein erheblicher Anteil an Erbschaften kaum oder gar nicht besteuert wird (derzeit beträgt der Freibetrag 500.000 Euro für Ehegatten und 400.000 Euro für Kinder).

„Denn wer hat, dem wird gegeben“

Andererseits gibt es aber auch immense Steuervorteile, die vor allem große Erbschaften verschonen: Ab zehn Millionen Euro wirkt die deutsche Erbschaftsteuer nicht mehr progressiv, sondern sinkt prozentual zur Gesamterbschaft stark ab. „Damit wirkt die Erbschaftsteuer in der Praxis regressiv“, wie Steuerexperte Stefan Bach betont. Und so verwundert es nicht, wenn der Präsident des DIW, Marcel Fratzscher, über Erbschaften aussagt, dass sie nicht nur einer, sondern der wichtigste Erklärungsfaktor für die hohe Vermögensungleichheit in Deutschland seien. Bereits heute läuft die Verteilung von Erbschaften und Schenkungen nach dem Matthäus-Effekt:

„Denn wer hat, dem wird gegeben.“

Derzeit erhalten die reichsten 10 Prozent der Gesellschaft die Hälfte aller Erbschaften und Schenkungen, während die ärmere Hälfte fast keine oder sogar Schulden erhält.

Erbschaften haben bereits heute und werden voraussichtlich auch künftig bedeutende Auswirkungen auf die Vermögensverteilung haben. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einer groß angelegten Studie. In einer (konservativen) Berechnung verschiedener Szenarien stellt die OECD dar, was mit hohen Vermögen geschieht, wenn Erbschaften und Vermögen nicht stark und progressiv besteuert werden. Über einen Zeitraum von fünf Generationen sehen die Überreichen in ausnahmslos allen Modellen ohne hohe und stark progressive Steuern auf Erbschaften, wie ihr Kapital von zehn Millionen US-Dollar auf die horrende Summe von 60 Milliarden US-Dollar exponentiell anwächst. Und was exponentielles Wachstum bedeutet und dass wir dieses in der Regel nicht wünschen, wissen wir allerspätestens seit Corona.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Gastbeitrag im Finanzwende-Blog. Die jeweiligen Autor*innen geben nicht zwangsläufig Finanzwende Positionen wieder.

 

Autorin Martyna Berenika Linartas

Martyna Berenika Linartas

Martyna Berenika Linartas ist Doktorandin am Exzellenzcluster „Contestations of the Liberal Script (SCRIPTS)“ an der Freien Universität Berlin. Sie ist Gründerin und Projektleiterin von ungleichheit.info (Launch voraussichtlich Ende Juli 2022), einer Initiative, die wertvolles Wissen zu Ungleichheit allgemeinverständlich vermittelt.

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